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Mädchen, warum klaut ihr immer unseren Nachtisch?

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Die Rechtslage ist eindeutig. Und das – liebe Mädchen – sollte euch eine dringende Warnung sein! Um es also vorweg gleich klarzustellen: Was man küchenjuristisch gerne als "Mundraub" bezeichnet, wurde abgeschafft, da wart ihr alle noch in Abrahams Wurschtkessel. 1975 war das, und §370 a.F. StGB, der das bis dato regelte, lässt keine Zweifel daran, dass es sich auch damals schon keineswegs um ein Kavaliersdelikt handelte. Ich hab das recherchiert: Eine Geldstrafe von 150 Mark drohte nämlich demjenigen, der "Nahrungs- oder Genußmittel oder andere Gegenstände des hauswirtschaftlichen Verbrauchs in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte zum alsbaldigen Verbrauch entwendet oder unterschlägt".

Will sagen: Ihr macht euch alle strafbar! Ständig! Es geht heute nämlich um Essenraub. Von unseren Tellern, in eure Münder. Corpus Delicti Nummer 1: Nachtisch! Tathergang:  

Kellner: "Noch ein Dessert?"  

Ihr (Luft schwer durch die Vorderzähne pfeifend): "Pfff, also für mich nicht mehr."  

Wir: "Tiramisu."  

Ihr: "Krass, dass du echt noch was essen kannst!"  

Das Tiramisu kommt. Im schlimmsten Fall ist es ein besseres Lokal, die Portionen entsprechend winzig. Wir essen also. So glücklich, wie es die Nachtisch-Menge eben zulässt. Ihr guckt. Etwas zerknirscht. Dann etwas traurig. Dann so angesäuert, wie es der Rahmen eben zulässt. Und dann pickt ihr hinein ins Essen – ein bisschen herrisch manchmal fast.  

Versteht mich nicht falsch. Wir lieben euch. Und wir gönnen euch jeden Bissen der Himmelsbrot-köstlichsten Speisen. Aber dass es immer unsere sein müssen, das verstehen wir nicht. Deshalb müsst ihr’s uns erklären.  

Was passiert da bei euch? Und damit vermutlich eng verbunden und wichtig: Wann passiert es? In dem Moment, in dem wir etwas bestellen? Wenn es auf den Tisch kommt? Oder erst an dem Punkt, an dem es zur Hälfte weg ist? Und auch über das Vorher müsst ihr uns aufklären: Warum kein eigener Nachtisch? Ist das was mit "Auf die Linie achten"? Ist es Koketterie? Müssten wir sagen, dass ihr es euch doch leisten könnt (was ihr ja könnt)? Oder seid ihr einfach wirklich nur satt und werdet dann plötzlich, nun ja: futterneidig? Allgemein neidisch? Geiz wird’s ja nicht sein. Also: Was dann? Tischt's auf!        

Auf der nächsten Seite: die Mädchenantwort von martina-holzapfl.



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich hab auch mal recherchiert, du komischer Nerd. Und jetzt pass auf: "Wenn du in den Weinberg eines andern kommst, darfst du so viel Trauben essen, wie du magst, bis du satt bist, nur darfst du nichts in ein Gefäß tun." 5. Buch Mose ist das, du Korinthenkacker. Und jetzt frag ich dich: Was hat – historisch gesehen – mehr Gewicht? Eben. Komm mir also nicht so!

Ansonsten hast du allerdings schon einen Nerv getroffen. Weil: Tatsächlich passiert da etwas in uns, das sich mit reiner Ratio nicht gänzlich erfassen lässt. Also auch chronologisch: Wir haben gegessen. Wir sind exakt richtig satt – ein Gefühl, das ihr ja nicht kennt. Wir fühlen uns rundum wohl. Dann: Kellner, Wir, Ihr – und bäm – Kopfkino: Ihr über ein Tiramisu gebeugt, Kakao-Pulver im Bart und auf dem Weg in die Fress-Apnoe – aber dabei bestimmt sauglücklich.  

Also grübeln wir. Wären wir nicht auch NOCH glücklicher mit ordentlich Mascarpone im Bauch? Und während wir so grübeln, kommt das Ding ja auch schon, und ihr futtert los, und bekommt diesen versonnenen Blick, bei dem nie ganz klar ist, ob sich euer Gehirn gerade aufgehängt hat. Und ja, Herrgott, irgendwie wollen wir da dann schon auch hin.  

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere – ich glaube übrigens die wichtigere – heißt: verbotene Frucht. Denk mal zurück an die Mittagessen bei den Großeltern. An die großen Schüsseln mit Essen, die in der Mitte des Tischs standen. Und an die strenge Regel: Nur vom Teller, nie direkt aus der Schüssel. Und wie es plötzlich nichts Besseres gab, als die Kartoffeln direkt aus dem Porzellan-Trog zu löffeln. Und wie uninteressant dieselben Kartoffeln schlagartig wurden, als unsere Omas sie resigniert auf den Teller gehäuft hatten.  

Genau das ist es. Wir wollen kein Tiramisu. Aber wir wollen euer Tiramisu ganz unbedingt. Aktionen wie deine komische Strafgesetzbuch-Tirade verstärken das eher noch. Und weil das natürlich nur bedingt rational ist, gibt’s auch nix, was ihr dagegen tun könnt. Absolut gar nichts. Schluckt’s also.

Text: elias-steffensen - Cover: andreafleischer / photocase.com; Illustrationen: katharina-bitzl

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