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Magie

Text: Zwischenruf
In den funktional-hässlichen Fluren muss Magie sein. Heute sieht sie vermutlich aus wie ein frecher Weihnachtself, die Zipfelmütze schief auf dem Kopf und ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Und heute soll ich sein Opfer sein. Geheiligte Hallen sind sein Jagdrevier und Ahnungslose seine Beute.

Der Bücherstapel weist mich als fleißig arbeitenden Menschen aus, die Gedanken sind bei Antonius und Cleopatra, als ich zu den Kopierern laufe und direkt in seine Arme. Wir sind beide verdutzt und die Magie grinst und schlägt zu in Sekunden. Seine Arme um mich, meine um ihn und ich will ihn nicht loslassen. Es war zu lang. Die Überraschung bekommt Flügel und sein Kuss ist herzlich unüberlegt und ausnahmsweise so herzerschütternd ehrlich. Stumm und verdutzt gehe ich an die Arbeit und ich weiß, dass alle Augen auf uns sind. Wie immer.

In diesen paar Minuten, als wir schweigend, verlegen und ehrlich dastehen, glaube ich zum ersten Mal, dass alles irgendwie gut werden könnte. Ich glaube, ich hätte mir seinen Respekt erkämpft, ich glaube, wir würden die Masken beiseite lassen, ich glaube, wir könnten die letzten zwei Jahre streichen und einfach nochmal genau da anfangen, wo wir das erste Mal nebeneinander saßen und uns in die Haare bekamen.

Zwei Stunden später taucht er fast schon handzahm auf und sanft, höflich, fast liebenswert löst er wie abgesprochen unsere kleine Runde auf und wir ziehen los. Die Magie der funktional-hässlichen Flure hat mich fest in ihren Stricken. Ich bin glücklich. Und bemerke die Kleinigkeiten, die sich wieder einschleichen, noch nicht.

Aber als wir in unserem schlechten, aber alternativlosen Stammlokal sitzen, kommt alles wieder und meine Sehnsucht, meine Hoffnungen, meine Wünsche und Träume fliegen aus dem geschlossenen Fenster in den Nachthimmel und melden dort Konkurs an. Und je länger ich ihm zuhöre, dem Hasenverschenker und Vielflieger mit den grünen Augen, desto deutlich wird mir, dass er den Weg der grün-braun-geaugten Bestie gehen wird. Heute Abend noch. Jetzt.

Er ist nicht der, für den ich ihn hielt, er wird es nie sein und ich will es auch gar nicht mehr, denn bei ihm kann ich nur unglücklich werden. Als ich ihn ein letztes Mal umarme und seine Lippen auf meiner Wange spüre, zucke ich mit den Schultern. Nur mit halbem Herz höre ich, dass wir uns vor meinem Abflug nochmal sehen müssen. Vielleicht, Hasenverschenker, vielleicht.

Aber die Opernkarte nehme ich nicht zurück. Wegwerfen wäre immer noch eine gute Alternative. Einmal gemachte Fehler müssen wehtun und bis zum bitteren Ende erlebt werden. Da ist der Preis einer Opernkarte ein geringer gegen ein geheiltes Herz mit ganz kleinen Narben.

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