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Wie war 2013, Opa Gottfried?

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Jahresrückblicke haben in aller Regel das Anliegen, eine Antwort auf folgende Frage zu liefern: „Was war dieses Jahr wichtig?“ Das ist gut. Aber wir finden, dass eine andere Frage mindestens genauso wichtig ist: „Was haben wir verstanden?“. Deshalb haben wir ein digitales Magazin mit einer Liste gemacht: 100 Dinge, die wir 2013 begriffen haben. Dieser Text ist ein Auszug daraus. Das komplette digitale Magazin für Tablets und Smartphones kannst du mit der kostenlosen App der Süddeutschen Zeitung herunterladen. Du kannst es für nur 89 Cent kaufen; für Abonennten der Digitalausgabe der SZ ist das Magazin kostenlos.

Wir haben verstanden:

99. Man muss im Netz immer vorsichtiger werden, denn: Auch Opa liest mit!

Opa, 2013 war für dich das Jahr des Internets. Du hast dich bei Facebook angemeldet, geskypt, getwittert.. Was ist dein Fazit vom Internet 2013?
Opa: Ich habe sehr viel gelernt, bin gleichzeitig aber auch ein wenig enttäuscht. Ich mag Gedankenaustausche und Diskussionen. Im Internet habe ich allerdings oft das Gefühl, dass das zu kurz kommt, weil alles zu oberflächlich ist. Oftmals bekomme ich Mails, in denen steht: „Lange nichts mehr von dir gehört“. Aber die Absender kenne ich gar nicht. Da antworte ich dann auch nicht drauf. Außerdem ist es schwer, im Internet adäquate Gesprächspartner zu finden, gerade in meinem Alter.
Oma aus dem Off: Außerdem kommt Opa gar nicht mehr so viel zum Orgel üben. Wir wollen uns deshalb wieder mehr der Pfarrgemeinde zuwenden.  

Gab es auch positive Erlebnisse?
Opa: Ich habe zu vielen Menschen per Mail wieder Kontakt aufnehmen können, die ich lange nicht gesehen habe. Ein Neffe hat uns neulich auch mit seiner Frau besucht, das war ganz wunderbar.  

Welche Dinge bleiben dir 2013 noch in Erinnerung?
Opa: Natürlich die Bundestagswahl. Es tut mir leid, das so sagen zu müssen, aber: Da habe ich irgendwo Recht behalten. Ich habe gesagt: Als Steinbrück Kandidat wurde, war die Wahl verloren. Aber wenn die SPD jetzt, wie von Sigmar Gabriel angekündigt, die Fehler nicht nur bei der unbesiegbaren „schwarzen Witwe“ Angela Merkel sucht, ist sie sicher bald wieder auf dem Weg der Besserung.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit März 2013 bloggt Opa Gottfried zusammen mit seiner Enkelin. So richtig glücklich macht das Internet ihn allerdings nicht immer.

Es gab ja noch eine zweite „Wahl“ dieses Jahr, die für dich sicher wichtig war...
Opa: Du spielst auf die Wahl des Papstes an, oder? Mit Franziskus ist für die Kirche eine große Hoffnung verbunden, aber gleichzeitig auch eine große Krise. Er lässt jetzt ja die Katholiken nach ihrer Meinung zur Kirche befragen und wenn die Mehrheit da schreibt: „Schafft erstmal das Zölibat ab und kümmert euch um die Mitbestimmung der Frauen“, dann wird der aktuelle Zustand nicht mehr haltbar sein.
Oma: Der neue Papst bringt Unruhe in die Kirche. Aber das finde ich auch gut.
Opa: Man würde ja zu gerne wissen, was im Konzil kurz vor seiner Wahl so gestritten und besprochen wurde. Schade, dass das geheim bleibt.  

Ich finde, dieses Jahr gab es auffallend viel Berichterstattung über Flüchtlinge, auch wegen Lampedusa. Wie hast du das wahrgenommen?
Opa: Natürlich wurde viel Berichterstattung an der Insel festgemacht. Das Problem wurde aber weiterhin nicht an der Wurzel bekämpft. Man sollte die Menschen bestrafen, die die Schiffe so überladen. Und sich überlegen, wie man vor Ort den Menschen helfen kann. Dass man sie aufnehmen muss, wenn sie hierbleiben wollen, steht für mich außer Frage.

Oma: Da muss ich jetzt mal kurz ans Telefon kommen! (Knacken im Hintergrund, dann Oma lauter am Hörer) Ich habe da nämlich eine Idee: Franziskus will doch ernst machen und eine Kirche der Armen sein. Dann sollte er anregen, dass Menschen mit Geld sowohl in die Flüchtlingsgebiete als auch in deren Fluchtorte gehen und vor Ort anpacken. Für die Kirche ist das Geld doch ein Mückenstich, aber mit gut geschulten Leuten könnte man den Menschen vor Ort wirklich helfen.  

Dieses Jahr ist auch Marcel Reich-Ranicki gestorben. Oma: Den haben wir sehr geliebt! (Reicht das Telefon wieder an Opa)
Opa: Ein toller Mann. Ich war aber ehrlich gesagt erstaunt, wie viele ihn anscheinend als Brechmittel empfunden haben. Ich habe selten jemanden mit so heißem Herzen diskutieren hören. Schade, dass es das Literarische Quartett so nicht mehr gibt.  

Wen würdet ihr denn in ein neues Literarisches Quartett setzen? Gibt es jemand Junges im Fernsehen, den ihr gut findet?
Oma aus dem Off: Den Günther Jauch!  

Na, so jung ist der ja nun wirklich nicht mehr, Oma!
Oma: Na dann halt dieser... Steffens? So heißt der, glaube ich. Der, der überall Klettertouren macht und Terra X moderiert.
Opa: Na, der muss aber außerordentlich begabt sein, wenn der das alles selber macht. Den Hellmuth Karasek mag ich ja auch immer noch. Der könnte das ruhig weiter machen.  

Der ist aber auch schon ziemlich alt. Ein junger Mensch, der dieses Jahr auch Schlagzeilen gemacht hat, war ja Edward Snowden...
Opa: Da bin ich immer noch unentschlossen. Es war sicher schon gut, wenn er Öffentlichkeit für die Überwachung geschaffen hat. Aber ob auch das Mittel richtig war? Und dann auch noch die Sache mit dem Besuch von Ströbele bei ihm...
Oma: Na, aber so attraktiv wie der Ströbele ist, gab das natürlich jede Menge Aufmerksamkeit!  

Du findest Ströbele attraktiv?
Oma: Ja, sehr!
Opa: (spielt entrüstet) Findest du das etwa auch, Charlotte?  

Der ist mal locker 50 Jahre älter als ich!
Oma: Ach, so was überspringt man heute doch großzügig!  

Ähm... ich nicht. Letzte Frage: Gibt es Dinge im Jahr 2014, denen ihr schon entgegenfiebert?
Opa: Was die große Koalition tatsächlich in die Hand nimmt und real schafft, das erwarte ich schon mit Spannung.
Oma: Mich interessiert das auch! Es ist ja auch Europawahl und ich hoffe, dass sie etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa tun. Das der Norden und der Süden enger zusammenwachsen und man Probleme gemeinsam angeht. Und, was aus dem Sigmar Gabriel wird.  

Warum denn gerade Sigmar Gabriel?
Oma: Ach, ich hätte ja nie gedacht, dass ich das sage. Aber neulich habe ich eine Rede von ihm gesehen und da dachte ich: „Der ist schon ein kluger Mann“. Ich habe ihn fast lieb gewonnen und möchte nicht, dass er geht.  


Text: charlotte-haunhorst - Illustration: Katharina Bitzl

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