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Adventskalendergeschichte: Das Lächeln des Rentieres (Tor 13)

Text: petol
Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Fast so glücklich machend wie Schokolade, aber dafür kalorienarm.

24.12.2013 | 02:00 Uhr
Es fällt ein weiterer Schuss. Die Menschenmenge wirkt wie ein Ameisenhaufen, der durch einen Tritt zerstört wurde. Die Leute sind panisch; viele schreien und suchen sich Schutz, während andere so schnell flüchten, wie sie nur können. Norman hat den Überblick verloren und richtet seine Pistole erneut wahllos auf die Menge. Er fixiert diverse Köpfe an und versucht, deren Gesichtsausdruck zu deuten. Sein Finger ist am Abzug.
Er sieht eine verzweifelte Mutter, die sich schützend vor ihre Tochter stellt. Sie erinnert ihn an seine ehemalige Mathelehrerin, die ihm immer den Notenschnitt ruinierte. Er sieht einen Typen in seinem Alter, der ihn an seinen ehemals besten Kumpel erinnert. Sie zerstritten sich klassisch aufgrund einer Frau. Er sieht so viele Gesichter, die aber alle eins für ihn bedeuten. Antipathie.
Er drückt ab. Einmal, zweimal. Norman verballert das gesamte Magazin innerhalb weniger Sekunden und unzählige Körper gehen leblos zu Boden. Blut spritzt auf Normans Weihnachtsmannkostüm, erwischt auch sein Gesicht und den langen Bart, der mittlerweile dunkelrot eingefärbt ist. Norman scheint wie im Rausch. Er brüllt absolut durchgescheppert und mit irrem Blick: „Ihr wart alle nicht artig! Oh nein! Das wart ihr wirklich nicht!“
Kurz darauf zückt er eine Kalaschnikow, die er unter seinem langen Mantel versteckt hatte. Er ballert direkt erbarmungslos um sich und kreischt „Zeit für eure ganz persönliche Bescherung, Bitches!“ … mitten im Blutbad wacht Norman auf.



Er sitzt vor seinem PC. Vor ihm eine halb gegessene Packung irgendeines Mikrowellenmenüs und ein Dosenbier. Er trägt noch den Weihnachtsmannbart, der zum Glück aber sauber ist. Auf dem Monitor ist ein YouTube-Video zu sehen. Dicke Frau fällt vom Stuhl, lol. Weitere Vorschläge von anderen Videos mit dicken Frauen in schwierigen Lebenslagen werden ihm vorgeschlagen, doch dafür hat Norman gerade keinen Kopf.
Was hat er da geträumt? Einen Amoklauf während seiner Arbeit als Weihnachtsanimateur? Sicher, er kann den Job nicht leiden, aber das ist kein Grund, direkt ein Sturmgewehr zu ziehen. Er ist über sich selbst erschrocken und trink erst mal einen Schluck Bier.
Der Traum stimmt ihn nachdenklich. Tatsächlich hat er sich vor kurzem erst eine Pistole besorgt. Keine scharfe, sondern eine Gasknarre. Er ist in den letzten Monaten sehr unsicher geworden; kein Job, keine Freundin, man kennt diese Spirale. Verschlimmert hat sich die Lage, als er eines Abends auf dem Heimweg einer Kneipentour von ein paar Kerlen überfallen wurde. Sie traten auf ihn ein und forderten sein Geld samt Handy. Doch abgesehen davon verlor Norman in jener Nacht noch mehr. Er verlor seinen restlichen Mut und legte sich eine Waffe zu, in der Hoffnung, dass sie ihm mehr Sicherheit verschafft.



Er schaltet den Rechner aus, entledigt sich des Bartes, und legt sich in sein Bett. Nochmal möchte Norman nicht mehr so ein Drama träumen, drum konzentriert er sich auf Dinge, die ihm gefallen.
Eine Kreuzfahrt auf der eigenen Yacht. Eiskaltes Bier. Emma Stone und Zooey Deschanel spielen Beachvolleyball. Ein Delorean wie aus Back to the Future. Ein Sechser im Lotto samt Superzahl. Ein Jobangebot als Vorstand irgendeiner wichtigen Firma. Einmal wieder Kind sein. In einem siebten Ei wirklich eine Happy Hippo Figur finden. Auf dem Cover der GQ als „Most sexiest man“ groß rauskommen. Eine Hitsingle landen. Eine eigene Familie haben.
Norman schläft sanft ein und träumt von dicken Frauen.



Fortsetzung folgt.

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