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Adventskalendergeschichte: Das Lächeln des Rentieres (Tor 12)

Text: petol
Eine Weihnachtsgeschichte in 24 Teilen. Fast so glücklich machend wie Schokolade, aber dafür kalorienarm.

24.12.2013 | 01:00 Uhr
Gustav kriegt kein Auge zu. Der Anruf seines Sohnes hatte ihn ordentlich aufgewühlt; er wälzt sich im Bett hin und her, von Müdigkeit keine Spur. Konstantins Ankündigung, am Abend vorbei zu schauen, brachte Gustavs Pläne durcheinander. Im Grunde wollte er nach dieser Nacht nur noch ein letztes Mal aufwachen. Ein letztes Mal frühstücken, die Morgenroutine hinter sich bringen, die letzten Vorbereitungen für sein persönliches „Christmas-Dinner for One“ treffen, bis er den Abend mit Hilfe seines Tablettencocktail ausklingen lässt.
Für immer.
Sein weihnachtliches „Dinner for One“ ist ein Geheimnis von Gustav. Eine Art Spiel, welches ihm die Einsamkeit an Heiligabend erleichtern soll. Seit dem Tod seiner Frau hat Gustav sich diverse Rituale angeeignet, wie die besagten Weihnachtsklänge von Frank Sinatra am Adventskranz.
Wenn er sein Leibgericht auftischt, deckt er auch für seine verstorbene Frau und seinem Sohn, ein wenig wie im TV-Sketch „Dinner for One“, der jedes zum Jahreswechsel ausgestrahlt wird.
Nur ohne Butler.
Mit den Jahren erweitere Gustav das Geschehen, indem er auch für sie auftischte, als ob sie mit ihm speisen würden. Seit ein paar Jahren spricht er auch mit ihnen. Manchmal laut, manchmal im Gedanken. Er erzählt ihnen, was er neulich in der Zeitung las oder dass die Spritpreise teurer wurden. Manchmal muss er lachen, wenn ihm beispielsweise etwas Kurioses widerfahren ist, und er es begeistert in die einsame Tischrunde einwirft.
Oft kommen ihm dabei die Tränen, da sein Lachen nicht erwidert wird. In solchen Augenblicken spricht er zu seiner verstorbenen Frau. Sagt ihr, wie sehr er sie vermisst und wie sehr ihm ihre Berührungen fehlen. Ihr Lachen. Ihre Grübchen, wenn sie lächelt. Außerdem hat sie die besten Plätzchen gebacken, die er je gegessen hat. Auch diese Kleinigkeiten fehlen ihm.
Dann richtet er das Wort an seinen Sohn, stets in der Hoffnung, dass er das hören mag. Wo auch immer er gerade ist.
Gustav sagt ihm, dass er unendlich stolz auf ihn ist. Dass Konstantin das größte Geschenk sei, was seine Frau ihm je hätte machen können. Er hofft, dass es ihm gut geht und er ihn irgendwann wieder sieht und das alles besser wird.



Er quält sich aus dem Bett und kontrolliert ein weiteres Mal, ob alles an seinem Platz ist. Die Tabletten sind noch da, sowie der Zettel mit dem Hinweis auf einen Abschiedsbrief samt Testament und der Telefonnummer Konstantins. Für einen Moment überlegt Gustav, ob er den Anruf geträumt haben könnte. Hat er sich alles nur eingebildet? Wie so oft zuvor? Er erwägt kurz, ob er telefonisch nachfragen soll. Ein schneller Blick auf die Uhr hält ihn davon ab.
Stattdessen nimmt er eine der Schlaftabletten und stellt die nahezu voll Packung wieder an seinen Platz. Auf dem Weg zurück ins Bett wirft er einen Blick auf ein Porträt seiner Frau, welches im Wohnzimmer steht, wo er auch die Tabletten aufbewahrt. Er hält kurz inne und nimmt das Bild in die Hand und streichelt sanft mit dem Zeigefinger über die Fotografie.
„Gute Nacht, Liebling“, flüstert er leise. Gustav stellt das Bild zurück und legt sich schlafen.



Fortsetzung folgt.

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