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Head over Feet

Text: Yana
Ich schreibe jetzt mal was über F. Weil ich finde, das mit ihm ist sowas Besonderes, dass ich das einfach mal erzählen muss. Wenn ich anderen von ihm erzähle, gucken mich die meisten nur blöd an.

Kennengelernt haben wir uns vor ca. 12 Jahren (Gott, ist das lang her) im Internet. Keine Dating-Seite oder so. Wir hatten nur zufällig das selbe Hobby und waren im selben Internetforum. Es wurde auch relativ schnell klar, dass wir gleich ticken – was in solchen Internetforen nicht leicht zu erkennen ist, weil man ja eigentlich nicht privat redet, sondern über das Thema diskutieren soll, um das es in dem Forum geht. In diesem Fall Musik. Da haben wir uns allerdings bald drüber hinweggesetzt und haben dieses Forum immer wieder mit Privatgesprächen gefüllt, sodass wir immer wieder angemeckert wurden und letztendlich eMail-Adressen ausgetauscht haben, um nicht alles öffentlich besprechen zu müssen. Was dann kam, grenzt schon ein bisschen an Wahnsinn. Ich muss dazusagen, dass wir beide Typen sind, die beim Beantworten von Mails auf jeden einzelnen Satz eingehen.Während die Mails so zwischen uns hin und her wanderten, wuchsen sie zu unglaublichen Ungetümen heran: Ich habe sie manchmal in Word kopiert und Seiten und Wörter gezählt. Es gab Mails, die aus 40 Seiten bestanden. Das ist kein Scherz. Dementsprechend hat man manchmal Wochen gebraucht, um diese Monster-Mails zu beantworten. Und wenn man so lange nicht warten wollte, sondern dem anderen zwischendurch noch „mal eben kurz" was mitteilen wollte, hat man noch eine zweite Mail losgeschickt – die dann wiederum beantwortet wurde und länger und länger wurde. In der schlimmsten Phase waren es über 20 Mails, die gleichzeitig existierten und hin und her geschickt wurden und von denen die meisten aus mindestens 10 Seiten bestanden (wir wollten sie mal als Buch veröffentlichen – unter einem Pseudonym und mit dem Titel „Schreibflash"). Wir haben die Mails irgendwann durchnummeriert und ich kann mich erinnern, dass ich damals eine Liste angelegt habe, in die ich immer eingetragen habe, welche Mails gerade bei ihm sind und welche zum Beantworten noch bei mir lagern. Nach ungefähr 1 Jahr haben wir eingesehen, dass es so nicht weiterging (man hat ja nebenbei noch Job, Studium oder was auch immer). Er hat mir seine Telefonnummer gegeben. Ich habe mich aber nicht getraut, anzurufen, aus Angst, bei einem Telefonat könnte alles plötzlich ganz anders sein und nachher irgendwie....gestört. Zumal ich generell lieber schreibe als rede. Eines Tages hatten wir beide einen blöden Abend (mit den Personen, in die wir damals unglücklich verliebt waren) gehabt, und als wir wieder zuhause waren und uns per SMS von unseren ernüchternden jeweiligen Dates berichtet hatten, schrieb er plötzlich: „Ich ruf dich jetzt an." 5 Stunden später, als es langsam hell draußen wurde, haben wir aufgelegt. Und seitdem haben wir mehrmals pro Woche telefoniert, manchmal täglich, und selten unter 4 Stunden. Unser Rekord lag bei 7,5 Stunden. Am Stück. Was sich bis heute nicht wirklich geändert hat. Wir telefonieren immer noch mehrmals die Woche, und immer über Stunden. (letztens hatte er mal keine Zeit und musste nach 1 Stunde auflegen. Er: „Du musst nicht gleich denken, dass ich dich nicht mehr liebe, Hasi. Nur weil ich mal nicht so lang telefonieren kann!"). Ich kann auch gar nicht erklären, was wir uns dauernd so lang erzählen müssen....vielleicht liegt es daran, dass wir uns ja nicht sehen, und deswegen alles immer genau beschreiben müssen, was wir erleben. Bestimmt liegt es auch daran, dass wir uns für Details interessieren. Ich weiß, dass ich ihn nicht nur dann anrufen kann, wenn ich Gottweißwas erlebt habe. Er hört sich grundsätzlich alles an, was ich erzähle, und er kommentiert auch alles.



Nachdem wir uns ganze 3 Jahre kannten und er längst mein bester Freund geworden war, haben wir beschlossen, uns zu treffen. Wir haben ein Wochenende zusammen verbracht, das ich auch durchaus nicht schlechtreden möchte, aber komisch war es schon ein bisschen. Was wahrscheinlich hauptsächlich an mir liegt. Nach all den Jahren, in denen ich ihm am Telefon immer restlos alles erzählt hatte, hat es mich extrem irritiert, ihn als Person vor mir zu haben. Ich konnte ihm nicht in die Augen gucken und wenn er mich angeschaut hat, hätte ich mich am liebsten ins Nebenzimmer verzogen, um nur noch seine Stimme zu hören, so wie ich es gewohnt war. Das bedeutet nicht, dass ich das Treffen je bereut habe oder sich nachher etwas geändert hätte. Trotzdem hat sich das in den darauffolgenden Jahren nicht wiederholt. Irgendwie hatten wir auch nie wirklich das Bedürfnis, einander zu sehen. Am Telefon waren wir uns viel näher. Keine Ablenkung drum herum, keine anderen Leute um uns, kein Abendprogramm....- nur unsere Stimmen. Er ganz bei mir und ich ganz bei ihm. Ich kann verstehen, dass mein Exfreund eifersüchtig war. Denn F. habe ich immer alles erzählt. Für gewöhnlich war er der erste, der Dinge erfahren hat und er hat immer meine echten Gedanken erfahren. Ich hatte nie das Bedürfnis, ihm etwas vorzumachen. Mich interessanter, witziger, abenteuerlustiger zu präsentieren. Es hätte auch nichts gebracht: Sobald ich angefangen hätte, ihn zu belügen, wäre unsere Beziehung (die darauf basierte, dass man gezwungen war, alles zu erzählen und genau zu beschreiben) hinfällig gewesen. Also habe ich es nie zugelassen, dass etwas zwischen uns kam. Nicht mal mein damaliger Freund. Nach der Trennung von Letzterem haben F. und ich beschlossen, uns wiederzutreffen (er: „Kannst du dieses Mal bitte ein bisschen weniger autistisch sein als beim ersten Mal?"). Das war fast 8 Jahre nach unserem ersten Treffen. Wir waren 1 Woche zusammen im Urlaub. Es war toll. Schön, ihn bei mir zu haben, ihn anzusehen, wenn er mit mir spricht,...Im Gegensatz zum ersten Treffen, wo ich es völlig ungewohnt und fast schon unerträglich fand, ihm in die Augen zu sehen, habe ich das dieses Mal genossen. Man hat auf sämtliche Details am anderen geachtet: Wie gestikuliert er, wie sieht er aus, wenn er lacht, welche Bewegungen oder Gesten sind typisch für ihn, wie reagiert er, wenn er nervös ist, wie guckt er mich an, wenn ich mit ihm spreche,....Und auch Dinge wie: Wie riecht er, wie fühlt es sich an, ihn zu umarmen,...



Es ist wahnsinnig toll, jemanden wie ihn zu haben. Jemanden, den man immer anrufen kann, der immer Zeit für mich hat. Jemanden, der mich auch nach 12 Jahren nicht langweilig findet, sondern manchmal mehrere Tage hintereinander anruft, nur um sich meine kleinen Alltagserlebnisse anzuhören oder mit der Begründung: „Ich hatte gerade das Gefühl, du wartest darauf, dass ich anrufe." Jemand, dem ich alles erzählen kann, auch Dinge, die ich mich nicht trauen würde, anderen zu erzählen, aus Angst, schief angeguckt zu werden und auf Unverständnis zu stoßen, und seine Antwort zu hören, die in den meisten Fällen lautet: „Ich weiß." Jemand, der mich so gut kennt, dass er auch am Telefon Dinge wahrnimmt, die ich gar nicht ausspreche. Jemand, den ich in 12 Jahren nur 2 mal gesehen habe, und mit dem ich mein Leben (das, was wirklich wichtig ist) doch intensiver teile, als mit jedem anderen.



Manchmal frage ich mich, wo er all die Jahre gewesen ist, vor unserer Begegnung in diesem Forum, als er mich zum Lachen gebracht hat, als er über Leute gelästert hat, die mit einem Christus-Fisch am Auto herumfahren. Aber dann denke ich, dass wir auch vorher schon zusammengehört haben (nicht umsonst hat er als Kind einen Matrosenanzug gehabt und ich ein Matrosen-Kleidchen. Man stelle sich dieses Bild vor!) und wenn ich an so etwas glauben würde, würde ich sagen, es war Schicksal, dass wir uns kennengelernt haben. Aber weil ich an sowas nicht glaube, denke ich, es war der beste Zufall, der mir je widerfahren ist, und dafür bin ich unendlich dankbar. Ich hab dich lieb, F. 



You treat me like I'm a princess
I'm not used to liking that
You ask how my day was



You are the bearer of unconditional things
You held your breath and the door for me
Thanks for your patience



You're the best listener that I've ever met
You're my best friend, best friend with benefits
What took you so long



You've already won me over in spite of me...
Don't be surprised if I love you for all that you are
I couldn't help it, it's all your fault



 

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