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Beim Sänger im Wohnzimmer

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jetzt.de: Glückwunsch zum Jahrestag! Kannst du das Gefühl dieses Jubiläums mit einem Wort zusammenfassen?  
Tex: Stolz trifft es nicht ganz, eher Freude. Weil das alles einfach sehr viel Spaß macht.  

Wir hätten  auf "Überraschung" getippt.   
(Lacht) Klar ist es irre, was aus TV Noir geworden ist. Vor allem, wenn man darüber nachdenkt, wie alles anfing, mit dieser netten Runde in einem kleinen Berliner Café, und wie es sich zu etwas entwickelt hat, an dem jetzt viele Menschen Vollzeit arbeiten.  

Wie genau hat es denn angefangen?  
Der Indiesänger Enno Bunger wollte ein Konzert in Berlin spielen, und ich wurde gefragt, ob ich vor ihm auftreten möchte. Es zeichnete sich ab, dass das Konzert schlecht besucht sein würde. Also habe ich vorgeschlagen, Glühwein zu holen und für ein bisschen Vorweihnachtsstimmung zu sorgen. Spaßeshalber habe ich dann Enno auf der Bühne interviewt. Als er danach seine Lieder spielte, war ich wie vor den Kopf gestoßen: Sein Auftritt kam super an, weil die Leute ihn vorher ein bisschen kennenlernen durften.  

Und dann hast du die Kombination von Interview und Konzert zum Prinzip erhoben?  
Ich dachte, dass noch viel mehr entstehen könnte, wenn man die Intimität von solch kleinen Songwriter-Abenden – also dieses warme Gefühl, das entsteht, wenn Künstler in kleinen Barräumen einfach mal die Klampfe rumreichen – wenn man das paart mit einer gut organisierten Moderation.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tex Drieschner, Musiker, Erfinder und Moderator von TV Noir.

Klingt die Musik besser, wenn man davor ein bisschen plaudert?   
Eine Freundin von mir betreibt Hirnforschung und hat mal untersucht, welche Regionen im Hirn wie aktiv sind, wenn man sich zum Beispiel eine romantische Komödie ansieht. Dabei kam raus: Wenn man die Protagonisten erlebt hat, wie sie  umeinander ringen und sich doch nicht kriegen, explodiert im Gehirn irgendwas, wenn plötzlich der große Kuss kommt. Wenn man aber nur den Kuss sieht und vorher nichts, ist alles viel weniger interessant. Bei Musikern und ihren Konzerten ist es ähnlich. Wenn man ein bisschen über sie weiß, wirken ihre Songs  intensiver.   

Denkst du manchmal: Schade eigentlich, dass ich  nur der Moderator bin und nicht der Musiker, der interviewt wird?
(Lacht) Nein, es ist toll, wie es ist. Ich bin ja auch als Künstler weiterhin  aktiv, war gerade erst wieder auf Tour. Am Anfang von TV Noir war ich auch noch einer von drei Musikern auf der Bühne, die aufgetreten sind. Irgendwann hatte ich aber das Gefühl, dass ich mich für eine Sache entscheiden muss. Wenn ich irgendwann mal wieder als Künstler bei TV Noir zu sehen sein sollte, wird sicher jemand anderes moderieren müssen.  

Vor TV Noir hast du lange an deiner Musikkarriere gefeilt. Durch deine Sendung werden junge Künstler nun  schnell im Internet berühmt. Wie fühlt sich das an?  
Ich hatte eine Zeitlang einen verrückten Manager, der nie Geld von mir für seine Arbeit bekam, sich aber den Arsch für mich aufgerissen hat.  Immer wieder hat er gesagt: Wir sind ganz nah dran! Irgendwann hat sich herausgestellt, dass das alles gelogen war und er sogar E-Mails gefälscht hatte. Ungefähr anderthalb Jahre hab ich mit ihm auf den Durchbruch gewartet. Danach dachte ich: was für eine traurige Zeit.   

Was hat das bei dir verändert?  
Ich habe mich gefragt: Was ist mir eigentlich wirklich wichtig? Warum mache ich Musik? Mir wurde klar, dass der breite Erfolg natürlich vieles leichter macht, dass aber das Spielen vor Leuten, die mir etwas bedeuten, der eigentliche Kern ist. Seitdem ich das weiß, habe ich auch Frieden mit meiner kommerziellen Entwicklung geschlossen und muss nicht mehr unbedingt ein Star werden.  

Du hast ja immerhin in der Hinterhand ein Mathematikstudium und Berufserfahrung in der IT-Branche...
...weshalb ich auch nie wirkliche Existenzangst hatte. Es war nie so, dass ich unbedingt einen Hit landen musste, um weiter Musik machen zu können. Ich war in einer privilegierten Situation.   

http://www.youtube.com/watch?v=b_18xDJKPi4 Der Trailer für eine Folge mit Mighty Oaks und Martin Gallop.

Würdest du jungen Künstlern raten, was Anständiges zu lernen?   
Nein, das nicht. Ich merke bei vielen Musikern, dass sie mit ihrem Erfolg vernünftig umgehen können. Aber es gibt auch Bands wie zum Beispiel Juli und Selig, die mir erzählt haben, dass sie rückblickend ganz ungeschickt mit bestimmten Situationen umgegangen sind. Sie haben alles, wirklich alles radikal der Karriere untergeordnet. Weil sie der Meinung waren: Genau jetzt muss es für uns das ganz dicke Ding werden. Für Künstler in einer solchen Phase ist eine Sendung wie TV Noir eigentlich nicht das richtige Format. Bei uns geht es nicht um den kommerziellen Erfolg   

Wobei sich viele Bands ja um einen Auftritt bei TV Noir reißen, um den nächsten Karriereschritt machen zu können.   
Das stimmt. Ich habe neulich auch mal versucht herauszufinden, nach welchen Kriterien wir die Künstler einladen, und was die vielleicht gemeinsam haben. Auf den ersten Blick machen sie alle irgendwie Folkmusik oder zumindest akustisch orientierte Indie-Musik. Aber wir hatten auch schon Leute wie Rainald Grebe, Annett Louisan und Eva Briegel. Der gemeinsame Nenner aller Künstler, die bei TV Noir auftreten, ist in meinen Augen eine ungeheure Dringlichkeit, was Musik angeht. Wir mögen Leute, die um ihre Texte ringen und ihr Letztes für die Musik geben.   

Wagen wir noch einen Ausblick: Wie wird TV Noir  in fünf Jahren aussehen?   
Unser Prinzip ist: Es muss Spaß machen und es muss Sinn machen, und wenn mal ein Projekt weniger Spaß oder Sinn macht, dann machen wir davon weniger, bis es wieder passt. Ich würde mich  freuen,  so weiterzumachen, wie wir jetzt arbeiten. Ob wir das schaffen, ist schwer zu sagen. Einerseits läuft es gerade wirklich gut, und es wollen tatsächlich unheimlich viele Künstler mitmachen. Andererseits wissen wir nicht, ob wir es hinbekommen, die Sendung finanziell auf ein nachhaltiges Level zu hieven. Das einzige, was ich jetzt versprechen kann: Wenn in fünf Jahren noch irgendwo TV Noir drauf stehen wird, wird es sich auch immer noch so anfühlen wie im Moment.

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