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Anna Deutsch ist Single, zum ersten Mal seit langer Zeit. Darum beschäftigt sie sich gerade viel mit Flirten und bevorzugt dafür Bars und Clubs anstatt sich bei Online-Datingplattformen anzumelden. Sie hat allerdings festgestellt, dass sich das Online-Flirten trotzdem in ihr Leben schleicht, und darüber einen Text für die „Elle“ geschrieben. Anna erzählt darin, wie sie einen netten Barkeeper kennengelernt hat und wie sie sich dann gegenseitig auf Instagram folgten. Kurze Zeit später meldete ihr Handy, dass besagter Barkeeper einige ihrer Fotos geliked hat, vor allem solche, auf denen sie selbst zu sehen war, und vor allem auch welche, die schon sehr alt waren.

Der Mann hat sich also die Mühe gemacht, sich alle 850 Fotos anzuschauen, die Anna bisher bei Instagram hochgeladen hat, und den schönsten davon per Doppeltipper mit dem Daumen ein Herz zu schenken. Anna hat für dieses digitale Komplimentieren ein eigenes Wort erfunden: „Deep Liking“ nennt sie es – weil der Likende so tief in das Profil des anderen vorgedrungen ist.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Ich mag dein Foto" kann auch "Ich mag dich" bedeuten.

Bisher nannte man Interaktionen dieser Art schlicht: Stalking. Und meinte damit nicht das echte, schlimme, ich-ruf-dich-nachts-an-steh-vor-deiner-Tür-und-lauere-dir-auf-Stalking, sondern das Netzwerk-Profile-Stalking. Das kennt jeder, der eine Person interessant oder komisch, klug oder blöd findet, und diesen Eindruck mit der Selbstdarstellung dieser Person abgleichen möchte. Schnell gerät man dann in eine Art Scroll-Trance. Wenn das Liken dazukommt, und vor allem, wenn man dabei im Dezember ein Foto aus dem Juni mit „Like“ markiert, dann macht man das mit Kalkül. Denn die Meldung „XY mag dein Foto“ hebt sich nur dann von allen anderen Meldungen dieser Art ab, wenn es sich dabei um ein Foto handelt, das eigentlich schon längst vom Strom des digitalen Vergessens mitgerissen wurde. Die Meldung sagt dann: „Hallo XY, Z interessiert sich für dich. Er hat nicht nur angeschaut, was von dir zufällig in seine Timeline geraten ist, sondern alles, was du jemals geschrieben und hochgeladen hast.“

Deep Liking muss nicht immer gleich Flirten sein, manchmal ist es auch eine einfache Sympathiebekundung. In jedem Fall aber ist es, wenn es sich zwischen zwei Menschen abspielt, die sich prinzipiell zugetan sind, eine schmeichelhafte Geste. Und dabei ganz leicht und unverbindlich. Anna Deutsch zitiert in ihrem Text Robert Weiss, der ein Buch über die Effekte von Technologie und Internet auf Sex, Intimität und Beziehungen geschrieben hat. Weiss nennt die sozialen Netzwerk-Profile „eine risikoarme Art persönlicher Interaktion“, ein Like zu verteilen sei für beide Seiten unverbindlich und jeder führe diese Aktion in seinem eigenen Raum und Zeitrahmen aus. Man muss sich dafür nicht sehen, nicht verabreden, nicht miteinander sprechen. So kann man das Flirten in die Arbeit oder die Bahnfahrt integrieren, ganz nebenbei und unaufwendig. Das passt gut dazu, wie wir auch sonst mittlerweile gerne Dinge tun: intuitiv, schnell, gleichzeitig.  

Allerdings ist Deep Liking auch öffentlich. Freunde und Follower können sehen, wenn Z viele Fotos von XY liked. Manchmal ist das sicher gewollt. Der Junge, der auf Facebook alle Profilbilder seiner neuen Freundin liked, möchte vielleicht auch, dass jeder weiß, dass diese beiden nun zusammengehören. Die Öffentlichkeit birgt aber auch viel Raum für Eifersüchteleien und übereifrige Interpretationen. Anna Deutsch erzählt von einer Freundin, die eifersüchtig wurde, weil sie gesehen hat, dass der Mann, mit dem sie ausging, auf Instagram Fotos einer anderen Frau geliked hat. Seitdem schaut sie immer deren Bilder durch, um zu sehen, ob er dort immer noch Herzchen verteilt, „obwohl das wahrscheinlich gar nichts bedeutet“. In diesem Fall ist es vorbei, mit der schönen Unverbindlichkeit. Die Menschen neigen eben dazu, zu deuteln und zu grübeln, wenn es um Mögen und Nichtmögen geht.  

Zum Schluss denkt Anna Deutsch noch darüber nach, dass alle ihre Beziehungen mit den damals aktuellen Kommunikationsmittel verschmolzen sind. Mit ihrem ersten Freund schrieb sie SMS, mit dem zweiten kommunizierte sie über Facebook, jetzt verteilt sie „Deep Likes“ auf Instagram. Trotzdem, schreibt sie, würde sie es bevorzugen, süße Barkeeper weiterhin in einer Bar zu treffen – „but that’s just me“.

Aber da liegt sie falsch. Das geht sicher nicht nur ihr so. Weil doch bestimmt jeder seine Flirts auch noch irgendwo draußen treffen will. Und weil doch auch sie ihren Barkeeper in einer Bar getroffen hat, erst danach haben sie sich online Herzchen geschenkt. Das Deep Liking ersetzt den persönlichen Kontakt nicht, es ergänzt ihn. So wie die meisten digitalen Interaktionen irgendeine analoge Handlung ergänzen, während furchtsame Menschen immer gleich denken, sie würden dafür sorgen, dass sich in hundert Jahren niemand mehr streichelt. Das wird nicht passieren. Man wird sich nur hin und wieder noch dazu mit kleinen Herzchen streicheln, die beim anderen auf dem Bildschirm auftauchen.

Text: nadja-schlueter - Foto: *pina / photocase.com

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