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So weit

Text: Zwischenruf
Jetzt ist es also schon so weit gekommen. Ich führe Dich als Autorität an, zitiere Dich. Zum Glück nur in einer Fußnote, ansonsten würde vermutlich mein Computer implodieren, die Welt kurz lachend aufschnaufen und sich dann erst weiterdrehen und mein Dozent ein bisschen fassungslos über seine imaginäre Brille starren. Es ist ja auch so schon schlimm genug. Albern wäre es, wenn ich Deinen Namen in Tagträumen in mein paper getippt hätte, mit den Gedanken irgendwo weit weg von meinem Schreibtisch und bei eingeschaltetem Verstand wäre mir dann aufgefallen, was ich da so anstelle. Erschrocken wäre ich und hätte fix gelöscht, halb amüsiert, halb schockiert von meiner Fingerfertigkeit während Tagträumen und Ende. Aber so tauchst Du auf Seite vier auf und starrst mich vorwurfsvoll und fassungslos an, wenn ich schreibe. Du willst hier keine Autorität sein, sagst mir ganz klar, dass Du hier nichts zu suchen hast. Besonders nicht dann, wenn ich gerade - zumindest ein bisschen - Deine Welt auseinandernehmen, sie unters Mikroskop lege, Experiemente mache und alles fein säuberlich aufschreibe, nachdem ich es vermessen und kartografiert habe. Und dann komme ich vielleicht zu nicht ganz so charmanten Schlüssen, die Du selbst nur zu gut kennst, aber dafür willst Du keine Autorität sein. Also schaust Du lieber vorwurfsvoll, Dein Name ist Unmut, der Link ärgerlich zusammengezogene Augenbrauen, aber in den zwei Sätzen, die Du sagst und sagen darfst, sehe ich das amüsierte Funkeln in Deinen Augen.

Und Du schaust links und rechts und zuckst mit den Schultern, ein kleiner Seufzer und dann beginnst Du ein Gespräch mit zweien Deiner Crew-Mitglieder, die neben Dir stehen und ein bisschen verlegen dreinschauen und dazu gesellt sich Dein Amtskollege aus dem vorigen Absatz, der auch nicht glücklich aussieht, weil ich ihn ein bisschen zerpflückt habe. Und ihr vier schaut anklagend, als ich mein Dokument öffne und zum gemeinen Teil kommen will. Also gut, ihr habt gewonnen, heute Abend nicht mehr. Vielleicht morgen. Und in der Schlussfolgerung werde ich euch in Schutz nehmen, versprochen. Du ziehst ungläubig die Augenbrauen hoch, beide auf einmal und Deine Augen blitzen angriffslustig. Ich wusste gar nicht, dass Du das kannst - so böse dreinsehen. Ich grinse ein bisschen - schließlich bist Du hier nur Papiertiger - aber ich weiß doch, dass ich nachgeben werde. Noch nicht einmal Dein zitierfähiges Ich möchte ich unglücklich machen. Obwohl alles von Dir zitierfähig ist; ich habe Dich nie fluchen gehört, nur ziemlich aufgebracht, aber auch dann noch sehr eloquent. Und wenn Dir die Worte fehlten, hattest Du sehr beredete Gesten. Als ich Dir das sage, schaust Du noch ärgerlicher, aber Du schweigst verbissen - These bestätigt.

So kann ich meinen Arbeitstag unmöglich beenden, Du ärgerlich, stumm und beleidigt und ich im Streit mit einem Papiertiger Deiner selbst. Ganz behutsam schubse ich Dich mit Cursor an und Du zuckst zusammen, ich höre Dich grummeln und es klingt nicht freundlich. "A., please, don't be angry with me". Offensichtlich muss ich sehr flehentlich geklungen haben: Du schaust auf und auch schon wesentlich versöhnlicher. Ich erkläre also nun zum zweiten Mal, dass ich auch Deinem papierenen, akademischen, öffentlichen Ich nichts antun werde und dass Du und Deine (und meine doch auch!) Welt glänzend aus dem paper hervorgehen werden. Ich kann doch gar nicht anders.

Das leise Lächeln ist in Deinem Namen zurück und happy leuchtet nun in Deinem Zitat. Mein Bildschirm strahlt förmlich und ich weiß, dass Du mein Talisman bist für die folgenden Seiten - auch für den gemeinen Teil, in dem ich Dich beschützen werde so gut und eloquent ich nur kann. Ein paar fiese Kommentare in Richtung alter Amtskollegen müssen wohl sein, aber wissen beide, dass sie wahr sind und dass Du der wesentlich bessere Mann warst und bist.

Ergeben nickst Du und streckst Dich - es war ein langer Tag für uns beide. Fragend schaue ich Dich an: "Subject and document closed?", Du winkst müde und rollst Dich auf Deinem Link zusammen, ein bisschen wie eine Katze und ich lache leise, als ich mit dem Cursor über Deinen Rücken streiche und Dir eine Decke aus () bastle. Das Gähnen versteckst Du hinter der Hand, aber Deine Augen schauen müde aus. Ich winke lächelnd und schließe das Dokument - bis morgen.

Als ich meinen Desktop betrachte, komme ich mir ziemlich albern vor. So weit ist es also gekommen: Ich spreche mit einem Namen, mit Buchstaben und verhandle mit ihnen über mein paper. Aber ich weiß, dass Du morgen da bist, wenn ich weiterschreibe, ausgeschlafen und nicht mehr ärgerlich, sondern hier und da mit einer Innensicht und einem Grummeln, wenn ich es zu weit treibe. Und ich freue mich darauf, mich mit Deinem Namen zu unterhalten. Und Deinen zwei Sätzen. So weit ist es in der Tat gekommen.

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