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SEBASTIAN

Als meine Eltern damals aus ihren eigenen Elternhäusern auszogen, war davon auszugehen, dass sie jetzt mehr oder weniger für den Rest ihres Lebens in diesem neuen Heim wohnen würden, wenn nicht eine eheauflösende Mid-Life-Crisis und eine anschließende Zwangsversteigerung oder unerwarteter Reichtum mit einem Haus am Meer und Designermöbeln dazwischen käme. Es kam dann vielleicht doch ein weiterer Umzug dazwischen, ein Kind mehr als gedacht oder eins weniger - aber im Grunde bestand die Chance, dass jede Anschaffung für dieses gemeinsame Leben eine fürs gesamte Leben sein könnte. Heute ist das anders.  

Als Nadine und ich zusammenzogen, häuften sich in den Laderäumen unserer Sprinter stapelweise minderwertige Möbel, die nicht nur von einem Leben in studentischer Armut, sondern vor allem von einem Leben im ständigen Provisorium erzählten. Ich konnte sie nicht mehr sehen, diese "Lacks" und "Anebodas", die "Malms" und die "Billys", deren Flügeltüren schlaff hingen und deren beschädigte Oberflächen ihr wahres Innenleben aus Leim und Sägespänen nicht länger verbergen konnten. Nadine und ich, wir gehörten zweifelsohne zur Generation IKEA.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Mein erstes selbst gekauftes Bett, mein erster Schrank, meine ersten Regale und eigentlich alles, was so in einer Wohnung rumflog, kaufte ich in diesem blau-gelben Manifest der Wegwerfgesellschaft. In den Möbelausstellungen traf ich die immer gleichen Leute, die die immer gleichen Gespräche über „wohnliche Lösungen" führten und die immer gleich spitzen Bleistifte bohrten erst Löcher in meine Hosen und dann in meine Oberschenkel. Und während ich Pakete der stets billigsten Serien in die viel zu kleinen Autos lud, dachte ich mir immer, dass das alles nur für den Übergang sei und dass ich irgendwann, wenn ich groß wäre, mal richtige Möbel kaufen würde. Solche, wie ich sie von meinen Eltern kannte. Möbel, die etwas über ihre Besitzer sagten, anstatt ihnen nur zu gehören.  

Jetzt war es soweit. Ab jetzt sollte alles besser werden, der nächste Möbelkauf zum ersten Mal anders verlaufen als sonst. Nadine und ich, wir würden bei der Auswahl des Teppichs ganz anders vorgehen! Wir würden nicht den billigsten Vorleger für uns kaufen, wir würden einen kaufen, der etwas über uns aussagt und gleichzeitig einen, der uns gefällt und auf dem unsere Kinder würden spielen können. Wir würden nicht in diese riesenhaften Hallen gehen, in denen selbst die Wege vorgeschrieben sind, sondern in einen echten Laden mit echten Verkäufern, und wir würden alle studentische Sparsamkeit hinter uns lassen!  

Also kauften wir den zweitbilligsten Teppich bei IKEA.

Und als wir zu Hause ankamen und dieses als Teppich bezeichnete Gestrüpp entrollten, da schämten wir uns und uns wurde klar, dass unsere Möbel sehr wohl etwas über uns sagten, und zwar nichts Gutes, und dass wir vielleicht erst uns ändern sollten, um dann später auch unsere Möbel ändern zu können.  

Wir haben den Teppich zurückgebracht und sitzen nun auf dem Holzboden. Und vielleicht werden wir uns irgendwann daran erinnern, wer wir sein wollten und wer wir sind, und dann werden wir uns einen schönen Teppich kaufen, egal, was er kostet. Einfach, weil wir ihn wollen. 

Auf der nächsten Seite erzählt Nadine, warum sie sich Sorgen um Sebis und ihren Geschmack macht.


NADINE

Es kommt ziemlich häufig vor, dass nur Sebi und ich über unsere Witze lachen müssen; dass wir im Kino die Augen verdrehen und unsere Freunde danach einschlagen, weil sie den besten Film des Jahres gesehen haben; und noch heute steigen uns, wenn wir an das Verschwinden von Starbuck in „Battlestar Galactica“ denken, die Tränen in die Augen. Sebi und ich sind ständig von genau den gleichen Dingen genau gleich fest überzeugt, dass sie unfassbar genial oder unfassbar schlecht sind. Anscheinend haben wir einen identischen Geschmack – aber einen ziemlich anderen Umgang damit:  

Während Sebi stets betont, dass wir eben einen anderen Geschmack haben als alle anderen, stelle ich mir manchmal die Frage, ob wir vielleicht einfach gar keinen Geschmack haben. Während unsere Filme, Bücher und Platten noch für uns sprechen, sehe ich bei unseren Klamotten, beim Talent im Wasserfarbenmalen und der Einrichtung unserer ehemaligen WG-Zimmer durchaus ein paar Defizite.  

Sebi erklärt währenddessen, dass er immer nur so einen billigen Wasserfarbkasten hatte und dass unsere Möbel nur deshalb nicht schön wären, weil wir ständig übergangsweise in Köln, übergangsweise in Paris, übergangsweise in Berlin und übergangsweise in Ludwigsburg wohnen und es sich deshalb nie gelohnt hätte, schöne Möbel anzuschaffen. Dass sich „übergangsweise“ zu inzwischen acht Jahren läppern würde, konnte ja keiner ahnen. Ich weiß allerdings nicht, ob „übergangsweise“ tatsächlich der einzige Grund für unseren fragwürdigen Stil ist.  

Diesmal sollte alles anders werden! In seinem unerschütterlichen Optimismus begann Sebi voller Elan mit Hämmern, Schrauben und Sägen. Er baute Regale zusammen, stellte Unter- und hängte Oberschränke auf, er installierte Lampen, sägte eine Arbeitsplatte zurecht und baute eine Spüle ein. Ich schraubte währenddessen eine Kleiderstange fürs Schlafzimmer zusammen. Am Ende war Sebi so stolz, dass er alles aufgebaut hatte, und ich so stolz, dass ich mir den perfekten Mann (einen Geisteswissenschaftler, der virtuos mit der Stichsäge hantiert) geangelt hatte, dass uns unser erneuter stilistischer Fauxpas erst später ins Auge fiel.  

Da standen weiße "Expedit"-Regale neben Birkennachbildungen, ein dunkelbrauner Stuhl mit bunter Kissenauflage vor einem Schreibtisch mit metallenen Beinen, die türkisen Hängeschränke bissen sich unangenehm mit der anthrazitfarbenen Arbeitsplatte. Endlich wurde mir bewusst, wie viele Farben es eigentlich auf der Welt gibt – denn sie alle kamen in unserer Wohnung vor. Das einzige, was mir gefiel, war die Sortierung unseres Bücher-, DVD-, Platten-, Gesellschafts- und Computerspielregals. Das war in zweitägiger Kleinstarbeit nach Hoch- und Populärkultur, Disziplinen, Genres und Alphabeten eingeräumt worden. Mit einem Handgriff fand ich jetzt meine französischen Strukturalisten und Sebi seine „Bioshock“-Spiele und wir freuten uns, wie schlau unsere Kinder einmal dank dieses Regals werden würden. Jetzt mussten wir nur noch den Rest der Wohnung auf dasselbe Niveau bringen.  

In den folgenden Wochen kauften wir drei verschiedene Teppiche und brachten sie drei Mal wieder zurück. „Das liegt daran, dass wir einfach kein Geld für einen richtigen Teppich haben“, sagte Sebi, als wir resigniert auf unserem nackten Holzboden saßen – und ich nickte, denn ich wollte ihm nicht die Illusionen rauben. Dabei wusste ich, dass die Teppiche nicht bloß zu billig waren; sie hatten einfach nicht hierher gepasst – und wenn man stilistisch einigermaßen versiert ist, muss man eigentlich nicht erst in den Laden fahren, den Teppich kaufen, ihn zu Hause auf den Boden legen und wieder in den Laden zurückbringen, um das zu erkennen.

Beruflich werden wir gerade Filmemacher. Beim Film gibt es zum Glück Ausstatter, die die Zimmer einrichten – mit günstigen, tollen Möbeln vom Flohmarkt, die wir selber irgendwie nie finden. Vielleicht sollten die Ausstatter auch mal in unserer echten Wohnung vorbeikommen. Bis dahin haben wir sie schon mal mit den Weltraum-Postern, die uns Simon aus der WG über uns gebracht hat, aufgerüstet.

nadine-gottmann


Text: sebastian-hilger - Illustration: Yinfinity

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