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Schluss mit lästig

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Der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub ist schlimmer als alle Montage des Jahres plus die versehentlich verkaterten Freitagvormittage zusammen. Er ist so schlimm, dass ich mir schon sehr oft gewünscht habe, ich wäre niemals auf die schwachsinnige Idee gekommen, überhaupt freizunehmen – weil es kurz vor der Auszeit immer so anstrengend ist.

Gern würde ich einmal das schaffen, was anderen Menschen an ihren letzten Arbeitstagen offenbar gelingt: den Schreibtisch aufräumen, die Pfandflaschen abgeben, ein paar Reisetipps von Kollegen abholen und dann kurz vor 18 Uhr in aller Ruhe die Abwesenheitsnotiz im Mailprogramm aktivieren.

Ich hingegen sitze an meinen letzten Arbeitstagen spätnachts erschöpft vor meinem Rechner und schreibe Artikel fertig. Gepackt habe ich natürlich noch nicht, eigentlich hätte ich Sonnencreme und etwas für die Reiseapotheke kaufen müssen, und außerdem wollte ich mir doch ausdrucken, wie ich vom Flughafen zum Hotel komme.

Jedes Mal wieder nehme ich mir vor, es diesmal besser zu machen. Ich schreibe Listen, welche Aufgaben vor dem Urlaub unbedingt noch erledigt werden müssen und welche noch zwei Wochen warten können. Ich lehne zusätzliche Aufträge ab und sage: Nein, das schaffe ich vor meinem Urlaub leider nicht mehr. Doch all diese Zeitmanagementtipps funktionieren bei mir nicht.

Letztlich ist es wohl mein Hang zum Prokrastinieren, der mir meinen Start in den Urlaub versaut. Ich gehöre zu den Leuten, die Druck brauchen beim Arbeiten. Druck im Sinne von Deadlines, die auch wirklich ihren Namen verdienen: Entweder der Text wird fertig, oder er stirbt. Und ich ein bisschen mit, zumindest in der Fantasie des Auftraggebers. Was bei mir nicht funktioniert: Abgabetermine, bei denen ich weiß, dass es eigentlich noch Luft nach hinten gibt, dass ich ohne größeren Ärger auch einige Tage später abgeben kann. So etwas darf man mir nicht sagen.

An das Arbeiten auf den letzten Drücker bin ich also gewöhnt – aber der letzte Arbeitstag vor dem Urlaub spielt trotzdem noch einmal zwei Ligen des Grauens weiter oben. Denn vor einer zwei- oder dreiwöchigen Auszeit kommen bei mir auf einen Schlag so viele Deadlines zusammen, dass ich damit einen ganzen Friedhof füllen könnte.

Also arbeite ich bis in die Nacht alles weg, was wegmuss. Schlafen, ach, schlafen kann man auch im Flugzeug, und packen, tja, da schmeiße ich halt schnell was in den Koffer. Was fehlt, kann man notfalls vor Ort kaufen (eine Annahme, die sich übrigens einmal in einem Kuba-Urlaub bitter gerächt hat – da konnte man nämlich so gut wie gar nichts kaufen). Natürlich denke ich in dieser Nachtschicht alle möglichen Exitstrategien durch, wie ich doch noch um eine pünktliche Abgabe herumkommen könnte. Schwere Krankheit, Familientragödien oder zwei gebrochene Hände vortäuschen, so tun, als hätte ich den Termin falsch aufgeschrieben – was einem halt so einfällt. In der Uni war ich einmal besonders kreativ: Ich musste einen Termin für die Hausarbeitenabgabe einhalten, sonst hätte ich den Kurs wiederholen müssen. Ich wäre wohl auch fertig geworden, wäre mir nicht ein genialer Trick eingefallen, der dazu führte, dass ich doch wieder trödelte: Ich habe unter das Deckblatt mit dem Titel einfach eine Hausarbeit aus einem anderen Fach geheftet und so getan, als hätte ich da was vertauscht. Ein „Versehen", das der Prof meist erst nach einigen Tagen bemerkt und in der Regel verzeihlich findet. Und schon hat man wieder Zeit geschunden!

In der Arbeitswelt darf man sich aber nicht so viel erlauben wie an der Uni. Und sollte ich in der Nacht vor der Reise doch nicht alles fertig bekommen, kommt die eklige Konsequenz aus der Aufschieberei: im Urlaub arbeiten. Das ist nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern auch demütigend, weil ich mir eingestehen muss, dass ich ein planloser Schussel bin. Und es wirft meist auch logistische Schwierigkeiten auf: Will ich den Rechner wirklich im Rucksack durch Costa Rica schleppen? Gibt es auf dem Segelboot Internet? Ich habe schon – das ist keine Übertreibung – nachts in einem Motel am Yosemite Park unter der Bettdecke (um die Mitreisenden nicht zu stören) einen zweiseitigen Artikel auf dem iPhone getippt. Ein anderes Mal saß ich drei Tage in einem Hotelzimmer in Ouagadougou, Burkina Faso – und habe Reisetipps zu Sylt geschrieben.

Eins muss ich zu meiner Rechtfertigung sagen: Es ist noch immer gut gegangen. Bisher habe ich immer alles so hingekriegt, dass mir – bis auf Schlafmangel und verlorene Nerven – kein langfristiger Schaden aus der Trödelei entstanden ist. Was aber dazu beitragen dürfte, dass ich an meinem Arbeitsrhythmus nichts ändern werde. Es sei denn, ich gehe dieses Prokrastinationsproblem endlich einmal richtig an. Gleich morgen am besten. Oder zumindest bis vor dem nächsten Urlaub. Ganz bestimmt.

Text: jetzt-redaktion - Text: Judith Liere ; Foto: Mr.Blank / Photocase

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