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Trend zur Lücke

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Cara Delevingne ist Model und ihre Oberschenkellücke hat 3.653 Twitter-Follower. Natürlich kann die Oberschenkellücke nicht schreiben, aber weil sie so unglaublich beliebt ist, hat jemand ihr den Account @CarasThighGap eingerichtet.  

Die Oberschenkellücke ist in den vergangenen Jahren zum obersten Schönheitsideal geworden. Früher wollten Mädchen große Brüste oder eine Wespentaille haben. Heute wünschen sich viele, dass zwischen ihren Oberschenkeln eine möglichst große Lücke zu sehen ist, wenn sie mit geschlossenen Beinen stehen. Auf Tumblr, Pinterest, Twitter und Instagram gibt es riesige Bildersammlungen, die Frauenkörper von der Hüfte bis knapp über die Knie zeigen, immer mit einer Lücke zwischen den sehr dünnen Schenkeln. Es gibt sogar Anleitungen, wie ein solcher Thigh Gap zu erreichen sei, in Foren wird darüber diskutiert. Das Vice Magazine hat die Gegenrichtung eingeschlagen und der Lücke Anfang des Jahres den Kampf angesagt, auch viele andere Blogs und Magazine äußern sich kritisch. Jetzt hat es der Thigh Gap sogar in den "Guardian" geschafft. Dort berichtet Model Robin Lawley über die Reaktionen auf ihr Cover-Foto der „Vogue Italia“: Sie wurde als fett beschimpft, weil ihre Schenkel sich berühren. Es herrscht Oberschenkellücken-Extremismus.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dass die Oberschnkellücke anatomisch oft unmöglich ist, sieht man daran, dass Barbie eine hat. Zum Vergleich die "realistisch proportionierte" Barbie: Würde sie die Beine schließen, wäre da keine Lücke.

Wann genau und durch wen der Thigh Gap so beliebt wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Klar ist, dass sich bei sehr dünnen Models die Beine oft an keiner Stelle berühren. Und weil Models gerade für viele junge Mädchen als Schönheitsvorbilder fungieren, bedeutet die Lücke zwischen den Schenkeln für diese: Da ist kein Fett und darum ist es schön. Neben dem ersten Trugschluss (nur dünn ist schön), gibt es bei dieser Sache noch einen zweiten, rein anatomischen. Denn ob man eine Oberschenkellücke hat oder nicht, hat vor allem damit zu tun, wie breit die Hüften sind und wie die Beine im Skelett zueinander positioniert sind, und weniger damit, wie dünn oder dick man ist. Wer O-Beine hat, wird zum Beispiel immer eine Oberschenkellücke haben. In manchen der „Ratgeber“, die einem erklären wollen, wie man selbst eine solche Lücke bekommt, wird darauf hingewiesen, dass aus genetischen und anatomischen Gründen nicht jeder eine Oberschenkellücke haben kann. Anschließend wird aber trotzdem behauptet, dass man Diät halten und trainieren soll, dann werde das schon klappen mit der begehrten Lücke.  

Die Körperpartie zwischen Schambein und Knien steht exemplarisch für das Dünnsein, an ihr soll man es ablesen können, besser als irgendwo sonst. Wahrscheinlich, weil es gerade die Schenkel sind, die Mädchen und Frauen oft als ihre „Problemzonen“ bezeichnen, die am schnellsten Fett ansetzen und damit aus dem Ideal fallen. Die Überschneidungen zwischen den Befürwortern des Thigh Gap und den Anhänger der „Pro Ana“-Bewegung, die die Magersucht als Lebensmodell und das Dünnsein als höchstes Ziel verfolgen, sind darum auch entsprechend groß. „Thinspirations“, Bilder, auf denen extrem dünne Frauen zu sehen sind und an denen sich die Mädchen orientieren, zeigen oft Oberschenkellücken. Wer dieses Ideal anstrebt, sagen die Bilder, der muss abnehmen. Das ist gefährlich, weil es in eine Essstörung führen kann. Einer der Gründe, warum vor allem Mädchen in der Pubertät an Magersucht erkranken, ist die Veränderung des Körpers, der weiblicher wird, der Rundungen bekommt. Das Hungern verhindert diesen Prozess und der Körper bleibt kindlich. Auch dafür steht die Oberschenkellücke, denn knabenhafte, gerade Beine haben vor allem dünne präpubertäre Mädchen.  

Die große Thigh-Gap-Bilderflut ist aus noch einem Grund verheerend. Die Mädchen werden durch die Fotos nicht nur komplett auf ihren Körper reduziert, was schlimm genug wäre, sondern sogar nur auf einen Teil davon. Die Devise, dass Schönheit auf einem Zusammenspiel von Körper und Charakter, auf einem Menschen als Ganzes basiert, wird oft genug auf den Körper reduziert. Hier wird sie noch stärker heruntergebrochen. Die Bilder zeigen Frauen und Mädchen, die völlig ihrer Identität und sogar ihres Körpers beraubt sind. Man sieht kein Gesamtbild, keine Proportionen, die Frauen haben kein Gesicht, keine Schultern, keinen Oberkörper, meist auch keine Füße. Sie bestehen nur aus Schenkeln – und sogar davon soll möglichst wenig existieren. Das Bild mit der größten Leerstelle zeigt die größte Schönheit. Wer verschwindet, ist schön, schön ist, wo nichts ist.  

Von "Grazia Daily" nach dem Twitter-Account für ihre Oberschenkellücke gefragt, antwortete Cara Delevingne: „I think it’s quite funny. [...] They're just sweet fans and they're now like, 'we've found a whole family in your body parts.' It's quite crazy.“ Süß und verrückt findet sie das also. Gefährlich und traurig findet sie es nicht. Dabei ist es genau das. Denn der Trend zur Oberschenkellücke verzerrt das weibliche Körperbild noch mehr als ohnehin schon. Darum möchte man fast sagen: Mut zu keiner Lücke! Am schönsten wäre es allerdings, wenn es dafür keinen Mut bräuchte.

Text: nadja-schlueter - Foto: dpa

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