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Jungs, warum hebt ihr uns so gerne hoch?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Es gibt diese Szene nicht nur im Film: Ein Mann und eine Frau begrüßen sich auf dem Bahnsteig, nachdem einer von ihnen gerade aus dem Zug gestiegen ist. Sie küssen und umarmen sich sehr fest und in diesem Moment des freudigen Überschwangs passiert es dann manchmal: Der Mann lehnt sich in der Umarmung etwas nach hinten oder er fasst die Frau um die untere Körperhälfte und schon berühren ihre Füße nicht mehr den Boden. Er hebt sie an, ganz leicht nur und ganz kurz, bevor er sie sanft wieder absetzt und noch ein Mal küsst, nun ein bisschen länger.  

Ich habe das schon oft beobachtet, mehr noch: Ich habe es sogar schon so (oder so ähnlich) erlebt. Es gibt diese Momente, in denen ihr anscheinend das Bedürfnis habt, uns hochzuheben oder sogar umherzutragen. Wenn ihr uns euphorisch begrüßt, lasst ihr uns kurz schweben. Wenn wir betrunken sind, nehmt ihr uns Huckepack. Wenn wir auf dem Sofa eingeschlafen sind, tragt ihr uns ins Bett.  

Keine Sorge – wir finden das prinzipiell ja schön. Immerhin fühlt man sich unglaublich geborgen, wenn man von einem vertrauten Menschen hochgehoben oder getragen wird. Das kennen wir im besten Fall alle noch von früher, als wir klein waren: Oma, die einen zur Begrüßung hochhebt, Mama, die einen ins Bett trägt, der große Bruder, der einen Huckepack nimmt. Wenn ihr das heute tut fühlt sich das für uns also an wie ein Liebesbeweis, wie „Mir kannst du vertrauen, ich passe auf dich auf“. Aber dieser Liebesbeweis hat einen Beigeschmack. Denn ein bisschen entmündigt fühlen wir uns dadurch auch. Wie kleine Mädchen, die man eben mal über die Schulter werfen und aus Spaß in den nächsten eiskalten See schmeißen kann. Und so als würdet ihr uns auf einmal „meine Kleine“ oder „Süße“ nenne, obwohl ihr das sonst nicht tut, weil wir weder klein noch süß sind. Es ist also mal schön und mal unangenehm, so einfach hochgehoben zu werden.  

Und wir fragen uns: Warum macht ihr das eigentlich? Wir haben nie darum gebeten und wir heben euch auch nicht hoch. Okay, in vielen Fällen seid ihr größer, schwerer und mit mehr Muskelmasse ausgestattet als wir (die Natur will es so), aber so weit sind wir ja inzwischen, dass anatomische Unterschiede uns nicht mehr unbedingt zwingen, etwas zu tun oder zu lassen. Wir erwarten ja auch nicht, dass ihr uns unseren schweren Koffer tragt. Erklärt also bitte mal, woher er kommt, dieser Hochhebe- und Umhertrage-Wille? Was wollt ihr uns damit sagen? Was sagt ihr euch selbst damit? Und: Würdet ihr eigentlich manchmal auch gerne zur Begrüßung über dem Bahnsteig schweben? Wir ließen da mit uns reden (und würden bei allzu großen anatomischen Unterschieden bestimmt auch ein bisschen dafür trainieren).


Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Von wegen! Da werfe ich ja gleich mal „blutige kleine Füße“ in den Raum. Zerschunden von bestimmt sehr süßen aber zu engen hochhackigen Schuhen. Und sage dann: Pah! Als ob ihr uns noch nie gebeten hättet, euch zu tragen. Nix da! Ganze Straßenzüge – rauf und wieder runter. Und dabei immer die Rechtfertigung im Ohr: „Aber sie sind so schön ...“ (die Schuhe, nicht die Straßenzüge).  

Das ist jetzt nicht exakt das Thema, ich weiß. Aber so geht’s ja trotzdem nicht. Was nun das eigentliche Thema betrifft: das ist zweigeteilt in eine ziemlich pragmatische und eine eher verborgene Komponente. Die pragmatische deckt sich sehr nahtlos mit deiner Beobachtung:  

Zum Beispiel am Bahnhof. Da haben wir euch ja vermutlich eine ganze Zeit nicht gesehen. Also freuen wir uns – und zwar ziemlich doll. Und das wollen, nein das müssen wir zeigen. Es muss raus. Geküsst haben wir euch schon. Umarmt auch. Sehr fest, wie du beobachtet hast. Aber es ist Freude übrig und Überschwang. Und wenn wir noch fester drückten – was wir könnten, wir sind ja ziemlich stark – täte euch das weh. Das Heben ist an diesem Punkt also eine Art Überdruckventil: Die überschüssige Energie bricht sich eben nach oben Bahn. Was auch schon erklärt, warum wir das umgekehrt nicht unbedingt haben müssen: Es schiene mir - ihr seid ja schließlich nicht ganz so stark - eine eher wackelige Angelegenheit mit Verletzungspotenzial zu werden. Wenn ihr jetzt dafür unbedingt trainieren wollt, soll's mir Recht sein. Dann könnt ihr vielleicht auch zwei Spezi-Kästen tragen. Aber wahrscheinlich kann man mit der Zeit auch Schöneres anfangen.

Ich glaube aber, dass da im Hintergrund noch etwas anderes mitspielt, wenn wir euch hochheben. Deshalb habe ich vorhin mal „hochheben, Sigmund Freud“ gegoogelt. Aber da kam nix. Keine Angst vor der Übermutter oder so. Deshalb muss ich etwas spekulieren. Ich glaube tatsächlich, dass es bei der Hebefigur um Vertrauen geht. Allerdings noch etwas anders, als von dir geschildert. Wer hochgehoben wird, der verliert freilich sehr buchstäblich den Boden unter den Füßen. Aber auch im übertragenen Sinne. Es ist ein minimaler Kontrollverlust. Ein winziges Gefühl von Ausgeliefert sein, oder – aktiver formuliert – von Hingabe. Und ich glaube, wir wollen gerne merken, dass ihr das geschehen lasst. Für ein paar Sekunden nur.

Ob das ehrbare Motive sind, weiß ich nicht. Aber überleg mal wie’s wäre, wenn das nicht ginge. Der Bahnhof also wieder, die Umarmungen, die Küsse, das Hochheben, all die Liebe, die sich Bahn bricht – und zack: Panikattacke, strampeln, winden und „Ich will sofort runter!“ Da muss man über einen gemeinsamen Hund nicht mehr nachdenken.

Gänzlich ausschließen will ich übrigens alle Deutungsversuche, die mit „Dirty Dancing“ zu tun haben. Und, mit Verlaub, aber manchmal habe ich außerdem das Gefühl, dass ihr uns am Bahnhof ganz, ganz verstohlen anhopst. Aber da kann ich mich auch täuschen. Unter „anhopsen, Sigmund Freud“ habe ich auch nix gefunden.

elias-steffensen

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