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Eigene Welt

Text: Zwischenruf
Ihre Augen werden riesig, wenn ich erzähle und da hier sowieso alles egal ist, rede ich einfach weiter und lasse mich nicht von riesigen Augen stoppen. Mit ein bisschen psychologischer Rhetorik, sogar ehrlicher, nehme ich ihnen den Wind aus den Segeln und entführe sie noch ein Stückchen mehr in meine eigene Welt. Ich weiß, dass es darin Monster gibt, aber die haben heute Höhlenarrest und die Sonne scheint so schön auf die Weiten in meinem Leben. Also zeige ich ihnen die grünen Wiesen, alten Bäume, die beeindruckenden landmarks und meine Lieblingsflecken. Ich lasse sie die Eisberge auf dem blauen Meer sehen, die Möwen, die über die Wellen segeln, die Städte, die süchtig machen nach der Welt und ich zeige ihnen, wie sehr ich genau dort zu Hause bin. Mittlerweile haben sie die Augen geschlossen und ich muss gar nicht mehr erzählen, weil sie auch so das sehen, was ich für sie mit Worten und meinen Erinnerungen erschaffen habe.
Eines fällt ihnen in meiner Welt nicht auf: Sie ist leer an diesem Abend. Kein Mensch geht durch die faszinierende Stadt am Meer, niemand ist auf den sonnenbeschienenen Weiten zu sehen, keine menschliche Stimme singt ein Lied von der Liebe - das haben Wind, Wellen, Bäume und Möwen übernommen und ich lasse sie vergessen, dass irgendetwas in dieser Welt fehlt. Sie merken es nicht, sie fragen nicht, sie staunen nur mit riesigen Augen.

Als ich alleine in meinem Bett liege, hole ich die Monster aus ihren Höhlen und wir streifen alleine durch den dunklen Wald bis zum Meer, auf dem sich der Mond spiegelt. Wir starren ein paar Minuten Richtung Horizont und auch wenn im Moment alles so friedlich aussieht, wissen meine Monster und ich sehr genau, dass wir heute Abend nicht mehr schwimmen gehen. Die Strömungen sind zu stark und würden uns in die Tiefe ziehen. Meine Monster sind heute Nacht nicht unternehmungslustig und traben zurück zu ihren Betten, aber ich bleibe noch eine Weile am Meeresstrand stehen und starre auf die Wellen. Und ohne dass ich es merke, setzen sich meine Füße in Bewegung und schon schwimme ich im schwarzen Wasser. Die Wellen werden höher und die Strömung zieht mich aufs Meer hinaus.

Und aus der Nacht, meiner leeren Welt, da tauchst Du auf und schaust mich an mit Deinen meerblauen Augen, streckst die Hand aus und ziehst mich aus dem Wasser. Meine Monster winken vom Strand aus herüber und sie und ich, wir fragen uns, wann genau Du den Weg in meine Welt gefunden hast, welchen unbekannten Eingang Du genommen hast und ob Du bleiben willst. Aber so wie Du über die Wellen und auf den Mond schaust, würde ich sagen, dass es Dir ganz gut gefällt. Meine Welt ist ein bisschen reicher geworden heute Nacht. Willkommen.

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