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Die Jagd//Bambi

Text: thelights

Ein Schritt vor den Anderen, tastet er sich langsam heran. Er hat schon immer den Schleichweg bevorzugt, das langsame anpirschen, die majestätischste Art und Weise auf Beutejagd zu gehen. Mit jedem Schritt den er sich annähert muss er leiser werden. Kein Geräusch soll die Ruhe stören, kein Knirschen sein Objekt der Begierde aufschrecken. Seine Wunden sind entweder gut verdeckt, oder schon längst wider verheilt – heute werden sie ihn nicht beinträchtigen. Er ist im Moment, in seinem Element, in ekstatischer Erwartung in seinem inneren, außen jedoch vollkommen kühl und gebannt. Jedenfalls sollte er das sein, wollte er das sein. So wird es ablaufen, nicht anders, er hatte es sich fest vorgenommen – die Vergangenheit zurücklassen, nur an heute denken. Im Jetzt leben, den Augenblick greifen, endlich Gewinner sein. Er strengt sich an, konzentriert sich auf seine eigenen Gedanken, wiederholt im Kopf seine Vorsätze. Wie kann ich den Augenblick leben, fragt er sich. Was bedeutet so etwas überhaupt.



Verdammt! Er hat die Beute kurz aus den Augen gelassen und diese hat sich bereits etwas entfernt. Schnell muss er hinterher, trotzdem leise bleiben, unauffällig sein. Es gelingt ihm nur halbwegs und ein Blick erhascht ihn. Ein rätselnder Blick, eine Frage, gestellt mit den Augen. Noch ist nichts verloren, er kann seine selbstgestellte Mission noch erfüllen. Es gibt vielleicht Abzüge in der B-Note, aber wen interessiert so etwas schon, schließlich ist er noch ein Anfänger, ein absoluter Amateur. Er ist jetzt ganz nahe, fast müsste sein Atem auf ihrer Haut spürbar sein, aber eben nur fast. Kurz davor hält er, verengt die Augen zu einem kleinen Schlitz, fixiert sie, spannt seine Muskeln an. Bloß nicht versteifen! Der größter Fehler der jetzt passieren kann. Oder den richtigen Moment verpassen. Noch weiß sie nicht, was sie erwartet. Dabei ist es doch so vorhersehbar. Er ist eben nicht der beste Jäger und hatte seit jeher einen Hang zur Ungeschicklichkeit. Eventuell ahnt sie schon etwas, er kann es nicht sehen, nicht spüren – mit keinem seiner in Alarmbereitschaft gesetzten Sinne fassen. Das Summen einer Mücke ist zu hören, ein ganz leises Rascheln der Blätter, welches erahnen lässt, das der Wind den Ort noch nicht verlassen hat. Sonne und Wolken, seit Stunden im Wechselspiel, trockene Luft, eine erträgliche Kälte. Keine Ausreden mehr jetzt. Die Seiten seines Sichtfelds werden weiß, er nimmt nichts mehr wahr außer das fixierte Objekt. Seine Ohren sind taub, seine Nase geruchslos. Er ist ein großer Jäger, ein Meister seines Fachs, reden ihm seine Gedanken, die Geschichten und die vielen Sachen die er gehört hat, ein. Jetzt oder nie! Ein Gefühl von Angst und Übermut durchfährt seinen Körper, eine hektische und ungelenke Bewegung später schaut sie ihn verdutzt an, weicht zurück und fragt: „Ist alles okay bei dir? Du verhältst dich schon den ganzen Abend so komisch – und was war das denn eben?“. Er ist kreidebleich und zittert leicht, zumindest bildet er sich das ein, ob es wirklich stimmt ist schwer zu sagen. „Ne, bei mir ist alles gut soweit, weiß gar nicht was du meinst. Aber ich bin schon den ganzen Tag ziemlich müde. Du kannst dir ein Taxi nehmen oder?“



Als sie die Haustür verlässt spürt sie die aufkommende Enttäuschung. Ein Taxi wollte sie heute nicht mehr nehmen müssen, und morgen auch nicht. Eigentlich nie wieder. Am liebsten wäre sie für immer bei ihm geblieben. Zumindest vor diesem Abend. Die letzten Wochen hatte sie sich wie ein gejagtes Wild gefühlt, immer auf der Hut, und irgendwie, wie so oft, hatte sie gefallen gefunden daran. So gar nicht feministisch, denkt sie, vor allem wenn der Gedanke in einer solchen Metapher verpackt ist. Aber ihre Gedanken hört zum Glück niemand und sprechen würde sie so nicht. Niemals!



Wie die Katze mit der Maus hatte er mit ihr gespielt – dachte sie zumindest. Er wusste das er sie hat, das sie ihm nicht mehr entkommen kann, und hat sie doch immer wieder ein paar Meter laufen lassen, bis er blitzschnell die Pfote wieder auf ihrem Schwanz hatte. Allerdings wäre es nicht nötig gewesen, sie wäre sowieso nicht mehr weg gelaufen – und er hätte auch nicht spielen müssen, weil er das Spiel schon längst gewonnen hatte. So dachte sie sich das, vor heute Abend. Jetzt weiß sie, dass er zu schüchtern ist und am Ende auch irgendwie abgedreht wurde. Schade eigentlich, sie hatte sich gerade an die Rolle des Rehs gewöhnt und sich dem Freitod hingegeben. Die Rolle des Rehs, widerholt sie ihre Gedanken, das ist schöner als eine kleine Maus zu sein.



 

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