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1. Worum geht's da?

Um eines unserer Grundrechte: den Datenschutz. Seit anderthalb Jahren streitet die EU um ein einheitliches Recht – bisher hat nämlich jeder der 28 Mitgliedsstaaten seine eigenen Gesetze zu diesem Thema. Sie basieren auf einer Richtlinie, die tatsächlich 18 Jahre alt ist, also aus der Steinzeit des Internets stammt.  

Eine neue Verordnung soll den Datenschutz vereinheitlichen. Am Montagabend hat der zuständige Ausschuss im EU-Parlament dem Entwurf dieser Verordnung zugestimmt. Das heißt: Alle Fraktionen im Parlament stehen im Prinzip hinter dem Entwurf. Wenn das neue Gesetz ein Gebäude wäre, hätten die Architekten jetzt ihre Baupläne fertig gezeichnet und mit Statikern abgeklärt, dass das Dach stabil ist und der erste Spatenstich gemacht werden kann. Fehlt nur noch die Zustimmung der Bauherren.  

Abgekabelt: Die "Datenschutzgrundverordnung" ist das Ergebnis eines großen Spagats zwischen den EU-Abgeordneten. Bis Mai 2014 soll sie in Kraft treten.


2. Warum ist das wichtig?

Einmal, weil das Gesetz die Privatsphäre von 500 Millionen Menschen bestimmt – nämlich die jedes einzelnen EU-Bürgers, und zwar für die nächsten 15 Jahre. Andererseits haben die Enthüllungen von Edward Snowden in schockierender Klarheit gezeigt, welche Folgen die laxe Behandlung des Themas in der Vergangenheit hat: US-Geheimdienste zapfen mit Überwachungssystemen wie Prism seit Jahren Firmen wie Google, Facebook oder Apple an. Allein in Deutschland liest die NSA bis zu 500 Millionen Kommunikationsverbindungen im Monat mit. Gleichzeitig müssen die US-Firmen, die diese Daten sammeln, kaum rechtliche Scherereien mit Europäern fürchten. Sie können sich nämlich bisher ziemlich bequem in den europäischen Ländern anmelden, in denen die lockersten Datenschutzregeln gelten. Bei Facebook ist das zum Beispiel Irland.  

Wie heftig umstritten das Thema ist, zeigt auch die Zahl von Änderungswünschen, die EU-Abgeordete hatten: Über 3.000 Anträge gingen bei Jan Philipp Albrecht ein, dem deutschen Grünen-Abgeordneten, der den Entwurf formuliert hat. Schuld an dem Gefrickel, das die Reform fast gekippt hätte, ist unter anderem die groß angelegte Lobby-Kampagne der IT-Branche. Sie ist auf der Plattform Lobbyplag dokumentiert.       


Der Vermittler: Der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht (30) hat die Verhandlungen geleitet. Er ist zufrieden mit dem Resultat.


3. Was hat der Snowden-Skandal bewirkt?

Er hat im EU-Parlament offenbar tatsächlich so etwas wie ein Umdenken angestoßen. Die Verordnung, der am Montag zugestimmt wurde, hätte vor einem Jahr noch deutlich verwässerter ausgesehen: Viele Abgeordnete hatten Einwände gegen eine zu arge Verschärfung des Datenschutzes. Seit aber bekannt ist, wie viel die Geheimdienste mitlesen, sind einige der bereits gestrichenen Forderungen wieder im Entwurf. Zum Beispiel die, dass Unternehmen wie Google keine Daten an Drittstaaten weitergeben dürfen, die nicht den Datenschutz-Standards der EU entsprechen. Diesen Punkt hatte das Parlament zwischenzeitlich auf Druck der US-Regierung gestrichen, jetzt steht er wieder drin. Auch die Strafen bei Gesetzesverstößen werden teurer: Sie sind von zwei Prozent des Umsatzes eines Unternehmens auf die ursprüngliche Forderung von fünf Prozent gestiegen.   

4. Wie werten Experten den Entwurf?

Die Parteien sehen ihn größtenteils positiv, vor allem angesichts des riesigen Spagats, den Jan Philipp Albrecht zwischen allen Änderungswünschen hinbekommen hat. Andere Experten für Netzpolitik haben wegen dieser Kompromisse aber auch schwammige Formulierungen entdeckt, die sie für gefährliche Schlupflöcher halten: etwa dass Daten bei "berechtigtem Interesse" auch ohne Zustimmung des Nutzers verarbeitet werden dürfen. Oder dass Nutzer nicht nach ihrer Zustimmung gefragt werden müssen, wenn ihre Daten zu einem Profil zusammengefasst werden. 

5. Wie geht's jetzt weiter?

Der Entwurf geht als nächstes in den sogenannten Trilog. Das bedeutet: die EU-Kommission und der EU-Ministerrat verhandeln mit dem EU-Parlament über dessen Entwurf. Voraussichtlich wird der Vorschlag in diesen Instanzen noch weiter abgeschwächt, denn auch dort übt die Lobby Druck aus. Und die Mitgliedsstaaten sind nicht gerade überengagiert, was das Gesetz angeht: Als sich die EU-Innenminister Anfang des Monats zu einer Besprechung über die geplante Reform in Luxemburg trafen, reiste Bundesinnenminister Friedrich (CSU) nicht mal an.  

Es sei "erschreckend", sagt Verhandlungsführer Jan Philipp Albrecht, dass die EU-Staaten noch nicht begriffen hätten, "dass wir sofort etwas tun müssen, um den laufenden Rechtsbruch zu stoppen – und nicht am Sankt Nimmerleinstag." Eine Art Deadline gibt es nämlich: Im Mai 2014 ist Europawahl, bis dahin soll die verschärfte Vorschrift wirksam sein.



Text: jan-stremmel - Fotos: dpa, Fritz Schumann

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