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Jungs, wollt ihr dass wir vom Sex mit euch erzählen?

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Früher, also in der Pubertät, dachten wir immer, es gäbe gar nichts Tolleres für euch, als wenn wir davon erzählen, wie es mit euch im Bett ist. Klar: Wenn diese Erzählungen beschämende Details enthielten - und „beschämend“ hieß damals noch ganz einfach, dass der Sex halt pannenreich und eher nicht so begeisternd war - dann wolltet ihr das vielleicht nicht mehr so gern. Aber in der Regel hieß Über-Sex-reden damals einfach nur: Der hat schon mal! Und das wiederum hieß: Der ist cool, reif und hat es irgendwie raus mit der Verführungskunst.  

Und dann hat sich über die Jahre ganz schleichend etwas geändert. Ob jemand schon mal hatte oder nicht ist egal geworden, weil man davon ausgeht, dass mittlerweile dann doch jeder schon mal hatte. Wir haben uns in unsere Identität als routinierte Sexhaber eingelebt. Das bringt einerseits mit sich, dass wir gar nicht mehr so einen großen Sex-Redebedarf haben, weil wir Vieles eben nicht mehr zum ersten Mal machen und weil diese ganze Sex-Sache uns überhaupt nicht mehr so existenziell berührt. Wir haben da ein größeres Selbstbewusstsein entwickelt und wissen: Gut ist, was uns gefällt und Regeln gibt’s nicht, weil jeder Mensch anders ist.  

Und andererseits hat unser Sextalk (entschuldige den Ausdruck, ein besserer fällt mir gerade nicht ein), wenn er denn stattfindet, heute eine ganz andere Qualität. Wir sind ehrlicher. Es geht nicht mehr darum, sich gegenseitig mit neuen Rekorden zu übertreffen. Wenn wir reden, reden wir über Unsicherheiten. Denn wenn es gut läuft, gibt es ja eigentlich gar nichts zu besprechen. Aber selbst wenn wir unseren Freundinnen im Überschwang davon erzählen, was für unfassbar aufregenden, weltbesten Megaheißsex wir gerade hatten, dann ist es trotzdem anders, als wenn wir es früher getan haben.

Wir ziehen nämlich in Erwägung, dass euch als entsprechenden Sexpartnern das nicht so recht ist, dass wir mit Anderen darüber reden, egal ob wir ihnen nun Gutes oder Schlechtes berichten. Denn „beschämend“ fängt jetzt vielleicht woanders an. Beschämend ist nicht mehr zwingend, wenn wir erzählen, dass es gerade nicht so toll läuft oder ihr diese oder jene seltsame Angewohnheit beim Sex habt. Beschämend kann jetzt auch sein, dass wir sagen, dass es der Wahnsinn war. Beschämend ist jetzt nämlich vielleicht einfach schon die Tatsache, dass wir überhaupt darüber reden. Oder? Wie seht ihr das? Ich meine, stellt euch vor, ihr trefft unsere Freundinnen beim nächsten Geburtstagsfest und ihr wisst, dass die jetzt vielleicht so was denken wie: „Aha, da ist er ja, der Elias, soso, und der hatte also vor zwei Wochen mit der Anna so krassen Sex auf diesem Tretboot“ bzw. „seit drei Monaten gar kein Sex mehr“ bzw. „gerade seine Vorhaut verletzt“ bzw. was weiß ich.  

Also, wie ist das, Jungs? Lagen wir da früher überhaupt richtig, dass ihr das gut fandet mit dem Rumerzählen? Und wie ist es heute? Und: Redet ihr eigentlich mit euren Jungs über unseren Sex?

Auf der nächsten Seite liest du die Antwort von elias-steffensen.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Au weh. Das klang zunächst so harmlos. Und jetzt merke ich: Das Ding erreicht eigentlich Sphären unseres oder wenigstens meines Selbstverständnisses, die ich hier nicht unbedingt hätte erreichen müssen. Weil da, glaube ich gerade jedenfalls, ein Verständnis von Sex an sich mitschwingt, bei dem ich nicht recht weiß, was ich davon halten soll.

Also lieber erstmal das Früher: Da hast du mit deiner Einschätzung natürlich einen Volltreffer gelandet. Haben oder noch nicht haben, das war ein Thema, auf das schon mal das Berentzen-Glas erhoben wurde. Den besseren unter uns hat aber das Credo vom Gentleman, der genießt und schweigt, damals schon verboten, selbst damit anzugeben. Wenn ihr aber dann ... , puh ... , das war schon was. So weit, so vergangen, so dumm. So nachvollziehbar wohl auch.

Das „ob" wurde bei uns wie bei euch dann wohl abgelöst von einem „wie" – und damit hoffentlich grundsätzlich entdramatisiert. Schön. Und trotzdem stocke ich bei dieser Rubrik nun. Nicht aus Scham. Ich glaube, wenn euch Menschen nah genug sind, dass ihr von eurem Sex erzählt, dann ist das Thema bei ihnen auch gut aufgehoben. Selbst verletzte Vorhäute und Artverwandtes.

Ich stocke jetzt, weil ich mich bei einem Gedanken ertappe, der in deiner Frage vielleicht drinsteckt – vielleicht aber auch nicht. Der Gedanke geht ungefähr so: Würde ich wollen, dass ihr erzählt, wenn der Sex schlecht ist? Nein! Würde ich wollen, dass ihr erzählt, er sei so gigantisch pornös gewesen, dass es euch das Hirn rausgeblasen hat? Könnte schon sein!

Warum denke ich so? Weil ich beides in diesem Gedankenspiel auf mich bezogen habe. Und damit, behaupte ich, bin ich nicht allein. Wenn ihr über Sex redet, haben wir Angst, sind beschämt oder eben geschmeichelt, weil wir denken, dass ihr im Grunde über unsere „Qualitäten als Liebhaber" redet (entschuldige du bitte diesen Ausdruck, der aus derselben Hölle wie das Verb „bumsen" kommt – ein besserer fällt mir gerade nicht ein). Als ob gut Sex machen so etwas wäre wie gut Tennis oder schnell Gitarre spielen. Etwas, das nur von einem allein ausgeht, sich also nicht aus der Chemie zweier Menschen, Körper, Erfahrungen, Charaktere ergibt. Ich bekomme da gerade ein Gefühl von „Ich hab die Alte gestern Nacht mal so richtig geil verräumt!" nicht aus dem Kopf. Und das erschreckt mich.

Andererseits, wenn wir mit unseren Jungs über Sex sprechen (natürlich tun wir das auch), dann tauchen da schon auch Unterschiede auf: wie leidenschaftlich, fantasievoll, dominant, selbstbewusst, laut, selbstsüchtig, erfahren ihr wart. Sex ist nicht nur immer unterschiedlich, sondern schon auch immer unterschiedlich gut. Und auch wenn das Ganze auch beim Sex mehr ist als die Summe seiner Einzelteile: gänzlich losgelöst von den Einzelteilen ist er doch auch nicht. Oder? Sich was drauf einzubilden erscheint mir zwar so dumm wie jede andere Form von Stolz – aber auch menschlich. Also auch nicht grundsätzlich geschlechterspezifisch.

Was ich versuche zu sagen: Es stört uns eigentlich nicht, wenn ihr drüber redet. Wahrscheinlich schmeichelt es uns sogar. Aber ich traue meinen eigenen Motiven bei dieser Schmeichelei nicht. Will ich eigentlich doch nur hören, was für ein Premium-Stecher ich bin? Und falls ja: Wie blöd ist das? Mich würde ja nun interessieren, ob das bei euch anders ist? Vielleicht frage ich das dann kommende Woche.

elias-steffensen




Text: martina-holzapfl - Foto: Koecki/photocase.com

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