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Fettes Brot, ärgere dich nicht!

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Ein Hinterhof auf St. Pauli, das Studio von Fettes Brot. Martin Vandreier, Boris Lauterbach und Björn Warns empfangen in der Küche – mit dem Habitus der Heimmannschaft, die gerade einen Lauf hat. Fünf Jahre haben sie kein Studioalbum veröffentlicht. Selbstverordnete Pause. Die Fans hatten Angst. Jetzt erscheint „3 is ne Party“. Warhol-Zitat. Vier is übrigens ne „Mensch ärgere Dich nicht“-Partie, die kein Ende hat, weshalb wir irgendwann aus Erschöpfung abbrechen. Jetzt aber erst mal los:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wann seid ihr das letzte Mal mit irgendwas richtig auf die Schnauze geflogen?
Martin: Spontan fällt mir leider nur ein: mit dem Fahrrad.
Boris: Du meintest aber eigentlich so richtig herbe Niederlagen.

Notfalls auch kleinere.
Björn: Im Kreativprozess erlebst du das ständig. Wir haben auch diesmal wieder viele Songs geschrieben, die es nicht aufs Album geschafft haben. Das ist immer mit Abschiedsschmerz verbunden.
Martin: Oder man kommt mit einer neuen Strophe ins Studio, voller Aufregung und mit roten Bäckchen …
Boris: … hat vergessen, die Hose anzuziehen …
Martin: … und rappt die Strophe den anderen vor. Die beiden sitzen auf dem Sofa und nicken auf eine Art, die ihre Zweifel nicht einmal notdürftig kaschiert. Das sind Rückschläge.

Weil du dann merkst, dass etwas dran ist an der Kritik?
Martin: Ja. Wenn man sich schon lange aneinander spiegelt, erkennt man an den anderen etwas, das man tief drinnen selbst schon geahnt hat. Das kann schwer sein.

Wie kritisiert ihr einander sonst?
Boris: Nett, aber offen. Und in jedem Fall so, dass am Ende kein Zweifel besteht. Das Schlimmste, was einer Band passieren kann, ist ein schaler Kompromiss aus Angst vor Konfrontation.

Diskutiert ihr hauptsächlich Inhaltliches? Müssen bei euch alle hinter den Aussagen stehen können?
Björn: Anders als in klassischen Rock’n’Roll-Bands schreiben bei uns drei Leute Texte. Da ist es schon wichtig, dass man am Ende bei einem Song rauskommt, der aus einem Guss ist.  

Habt ihr Rollen innerhalb dieses Prozesses?
Björn: Es gibt Stärken und Schwächen, die sich über die Jahre eingespielt haben.
Boris: Wobei das über die Jahre auch wechselt. Im Grunde ist jeder eingeladen, an allen Fronten mitzuarbeiten ...
Martin: ...ein offenes Angebot an unsere Jugendgruppe ...
Boris: ...was oft dazu führt, dass dann keiner etwas anpackt.

Martin (bevor er würfelt): Mal ganz kurz: Jetzt greife ich an übrigens!
Björn: Wen denn eigentlich?

Boris: Wir haben inzwischen sogar Bürozeiten, in denen wir arbeiten. Wir arbeiten immer seltener nachts. Wir treffen uns meistens um zehn oder zwölf und arbeiten bis fünf oder sieben. Und gehen dann nach Hause.

Das hört man von immer mehr Musikern.
Björn: Ich weiß nicht, ob es deswegen ein Trend ist, worauf du ja wahrscheinlich hinaus willst. Das war auch nicht bewusst gewählt, sondern es hat einfach Sinn ergeben, sei es, weil wir Kinder haben, die in die Schule müssen, oder weil der Tag dadurch einfach sozial verträglicher wird. Was jetzt nicht bedeutet, dass es uns keine Freude mehr bereitet, eine Nacht lang durchzusumpfen und dabei kreativ zu sein.
Boris: Ich kann tagsüber einfach deutlich besser arbeiten. Ich hab viel mehr Power und mir fällt mehr ein. 
Martin: Es gibt ja auch nichts schöneres als Songs, die anfangen mit „I woke up this morning ...“.
Björn: Aber es gibt doch auch genauso viele schöne Lieder, die mit „In the middle of the night ...“ anfangen.

Sehr höfliche Menschen. Auch bevor Martin die erste Figur des Spiels schlägt, hält er inne: „Jakob, ich würde jetzt …“, sagt er, holt dann aus einer Schublade allerdings ein ziemlich großes Messer hervor.

Martin: Ich möchte „Apfelschnitzschneider“ von Bartek bewerben. Ich habe gerade das Video gesehen – auf Empfehlung meines Bandkollegen Boris – und mir dieses Berufsbild zu eigen gemacht!
Er schneidet einen Apfel auf und verteilt ihn unter den Mitspielern.

http://www.youtube.com/watch?v=2szsfll2sDg

Danke. Wie hat sich die Bandpause angefühlt?
Björn: Ich realisiere erst jetzt, wie viel Zeit ich hatte. Was ich alles machen konnte: herrlich!

Angst war da gar keine? Boris hat als „Der König Tanzt“ ja auch solo Erfolg gehabt.
Martin: Mich hat das sehr aufgewühlt. Ich wusste nicht, ob wir danach wieder zusammenfinden. Meine größte Sorge war, dass Boris all das, was am Bandleben Spaß macht – Erfolg, Anerkennung, ausverkaufte Hallen –, auch allein erfährt. Und dass es dann keinen Grund gibt zurückzukehren.
Boris: Eine boshafte Unterstellung! Martin: Ich sage ja nur, dass es meine Angst war.
Boris schlägt eine Figur von Martin – „Zur Strafe, mein Lieber!“ – und bewirbt: „Das neue Album von Ronny Trettmann“.
Björn: … das wollte ich bewerben.
Boris: ... ein deutscher Dancehall-Direktor aus Leipzig, Erfinder des sächsischen Patois’ und Vorprogramm bei unseren zwei großen Shows in der O2-World in Hamburg und der Lanxess Arena in Köln.
Martin: Und schon hat der alte Medienprofi Lauterbach eine Eigenwerbung mit einer fremden verknüpft.
Boris: Ich mach’ das ja nicht erst seit gestern.  

Tut gut, mit Profis zu arbeiten!
Björn: Jetzt spiel’ mal weiter!  
Martin: Noch ein Apfelschnitz?
Boris: Es macht mir auf seltsame Art Spaß, das zu spielen.
Es entsteht eine längere Diskussion, während der die Band an Konzentration einbüßt. Meine Chance! Ich schlage eine Figur. Angriff!

Wie verletzend ist es wirklich, wenn einem größere Teile der Rap-szene die Kredibilität absprechen?
Björn: Phasenweise war das schon hart. Auf Festivals haben wir uns zwischen den anderen Bands früher manchmal gefühlt wie das Kind, das in der Sandkiste nicht mitspielen darf.
Boris: Aber unsere Position hat sich verändert. Wir haben uns zwischen den Stühlen gut eingerichtet. Die Tatsache, dass wir schon so lange eine konstante Größe sind, hilft auch: Das ist für manche seltsamerweise eine Qualität an sich.
Björn: Bisschen amimäßig, diese Denke. Boris, ich hab dich übrigens rausgeworfen, während du geredet hast. Und ich bewerbe etwas, von dem ich noch nicht abschließend sagen kann, wie ich’s finde: ein Video, in dem eine Journalistin den Rapper Xatar im Knast besucht …

… der dort wegen Überfalls auf einen Goldtransporter sitzt.
Björn: Wie gesagt: noch kein finales Urteil. Aber seit ich das gesehen habe, beschäftigt es mich sehr.

http://www.youtube.com/watch?v=3dYoaHqWOAc

Martin: Noch ein Apfelschnitz?
Boris: Ich habe fast das Gefühl beim Schulpsychologen zu sein, der einen zur Ablenkung in Spiele verwickelt.

Warst du mal beim Schulpsychologen?
Boris: Ja, aber ohne „Mensch, ärgere dich nicht“. Der hat herausgefunden, dass ich Legastheniker bin und ich musste dann einen Kurs machen.

Und hast du das immer noch?
Boris: Keine Ahnung. Heute kontrolliert mich ja keiner mehr.

Es kommt also nicht vor, dass die Kollegen sagen: "Lauterbach, Brot schreibt man ohne H"?
Martin: Auf der Single von Fettes Brot und James Last steht auf der Seite tatsächlich: "Fettes Brott". Fand ich damals sehr lustig. Noch ein Apfelschnitz?

Danke. Wieso klingt das neue Album, als wärt ihr gerade Anfang zwanzig und stündet noch voll im Saft?
Boris: Wohl ein Resultat der Pause. Es mangelte jedenfalls nicht an Motivation.
Björn: Überambitioniert, fand ich fast.
Boris: Und wenigstens ich hatte schon den Anspruch, dass alle sagen: Boah, jetzt haben sie echt noch mal einen rausgehauen, die alten Säcke!

Der Wettstreit treibt euch also wirklich noch an?
Martin: Ich will schon, dass junge Künstler mich noch herausfordern. Diese freshen Mutanten, die mir zeigen: Ich bin hier nicht der HipHop-Beamte, der sich drauf ausruhen kann, dass wir in den Neunzigern ein paar dicke Hits hatten.
Boris: In den Zweitausendern schon auch!

Macht ihr anders Musik, seit ihr ein eigenes Label habt?
Björn: Nö. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir manchmal wie Pippi Langstrumpf vorkomme, die sich selbst ermahnt, jetzt dann mal ins Bett zu gehen. Nur dass ich mir sage: So, nächste Woche gibst du einen Tag lang Interviews!

Auf dem Album heißt es: „Etwas, das uns Hoffnung gibt – Geschlechtsverkehr und Popmusik“. Ist Popmusik so groß?
Boris: Dass sie Hoffnung geben kann, meinst du?

Ja. Und dass sie auf einer Ebene mit Sex stehen kann.
Boris: Ich finde schon. Beides löst doch sehr ähnliche Euphorie aus. An beidem kann man sich festhalten, wenn sonst nichts läuft.

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