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Wie wir leben wollen

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Vergangenen Samstag stand auf der "Thema des Tages"- Seite der SZ-Regionalredaktion eine "Agenda für München": Die größten Probleme der Stadt tauchten da auf, mit Ansätzen, wie die neue Staatsregierung sie angehen kann – vom überlasteten Verkehrssystem bis hin zu maroden öffentlichen Bauten. Wir verfolgen diesen Ansatz hier weiter. Allerdings von der anderen Seite her: Von den Menschen, die die Stadt bespielen, formen und jetzt schon Dinge anders machen und denken. Dafür haben wir Referenten und Teilnehmer des Zukunftskongresses "In München: Wie wir leben wollen" um ihre persönliche Agenda gebeten. Man kann ihre Antworten als Auftrag an die Politik lesen – oder an uns alle.
 

Ressourcen sparen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Lukas Jaeger, 28, Gründer der Facebook-Gruppe Verschenk’s.
So habe ich die Stadt verbessert: "Verschenk’s München" ist eine Collaborative-Consumption-Facebook-Gruppe. Hier kann man Dinge verschenken, die man nicht mehr braucht, die für jemand anderen aber sehr wohl interessant sind. Mittlerweile haben wir etwa 16 000 Mitglieder und täglich werden bis zu 20 Gegenstände verschenkt: Möbel, Elektrogeräte, Geschirr, Bücher, Klamotten und sogar ganze Kücheneinrichtungen wechseln so ihre Besitzer.
Das ist meine Agenda für München: Die globale Ressourcenübernutzung bringt unseren Planeten immer mehr an die Grenzen seines ökologischen Gleichgewichts. "Verschenk’s" ist eine Alternative zum Wegwerftrend. Statt im Keller oder im Müll zu landen, finden die Dinge neue Eigentümer und Nutzer in der Nähe. Viele unserer Mitglieder sind junge Menschen, Studenten und Berufseinsteiger. Bei den Münchner Mietpreisen bleibt am Ende des Monats oft nicht viel Geld übrig, da ist es umso schöner, wenn man Dinge geschenkt bekommt. Mir persönlich ist es auch ein Anliegen, einen Impuls zu setzen, über das eigene Wegwerfverhalten nachzudenken: Es gibt immer jemanden, der sich noch über eine Sache freut.

 

Prämissen hinterfragen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Hanna Sammüller-Gradl, 29, Rechtsreferendarin und Vorsitzende des ThinkTank30, dem jungen Think Tank des 1968 gegründeten Forscherverbundes Club of Rome.
So habe ich die Stadt verbessert: Der ThinkTank30 setzt sich wie der Club of Rome für ein ressourcenschonendes Wirtschaften ein. Man könnte auch sagen, der Club of Rome darf sich mit dem Label "Wachstumsskepsis – das Original" schmücken, das wir nun für die heutige Zeit und die jetzige Generation mit Leben füllen.
Das ist meine Agenda für München: Unser Projekt "Beyond GDP", das wir gerade vorgestellt haben, hinterfragt die momentan alles überschattende Relevanz des Indikators "Wirtschaftswachstum" im Rahmen des Bruttoinlandsproduktes. Wir müssen stattdessen Faktoren wie die Verteilung des Einkommens, Bildungschancen und eine intakte Umwelt als Kriterien dafür heranziehen, ob wir in einer lebenswerten Stadt leben. Ohne eine intakte Umwelt ist ein qualitativ hochwertiges Leben nicht möglich. Durch die alleinige Konzentration auf wirtschaftliches Wachstum wird aber gerade dieser Aspekt oft vergessen: Das zeigt sich etwa bei der Zunahme des Verkehrs oder der Versiegelung von Grünflächen wegen des zunehmenden Investitionsdrucks – wie zum Beispiel im Münchner Westen in Freiham.



 

Lokal helfen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Jan Svensson, 34, einer der Initiatoren der Non-Profit-Organisation Quartiermeister München.
So habe ich die Stadt verbessert: Ich vermarkte ein Bier, dessen Gewinn an soziale und kulturelle Projekte in dem Stadtviertel geht, in dem es verkauft wird. Im ersten Jahr sind mehr als 4000 Euro zusammengekommen. Das Geld ging unter anderem ans HEi (Haus der Eigenarbeit) in Haidhausen und den Projekt-Laden International Haidhausen, der sozialpädagogische Integrationsarbeit für Familien, Frauen und Kinder unterschiedlicher Herkunft aus dem Stadtteil und den angrenzenden Wohnvierteln leistet.
Das ist meine Agenda für München: Wir müssen erreichen, dass Gewinne nicht in Steuerparadiese wandern, sondern in die Stadt München, genauer: in die Stadtviertel, in denen der Konsum tatsächlich stattfindet. So können wir viele soziale und kulturelle Projekte fördern, deren Finanzierung in den vergangenen Jahren stark gekürzt wurde. Der Konsument muss die Möglichkeit haben, auf soziale und faire Produkte zurückzugreifen, dann können wir in München viel erreichen.
 

Zusammensetzen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Johanna Steuth, 28, Gestalterin für urbane und soziale Innovationen..
So habe ich die Stadt verbessert: Ich habe den "WIRfel" konzipiert, ein soziales Stadtmöbel zum Verweilen und Teilen, und es als Pilot-Projekt an verschiedenen Orten in München aufgestellt, zum Beispiel beim "Streetlife Festival", im Innenhof der LMU oder in der Fraunhoferstraße am "Park(ing) Day". Die Leute waren zunächst überrascht, irgendwann fingen sie aber an, aus den zwölf "WIRfel"-Elementen eine Bühne, Galerie, Sitzecke, Theke oder einen Spielplatz zu bauen. Ich wollte einen Ort der Begegnung schaffen, um eine neue Kultur des achtsamen Miteinanders im öffentlichen Raum zu erproben. Jetzt will ich ihn als Ort für Aktionen, Experimente und Wissensaustausch im Zusammenhang mit der Stadt und ihrer Entwicklung aufbauen.
Das ist meine Agenda für München: Was in Zukunft immer wichtiger wird, ist meiner Meinung nach eine enge Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und ihren Bürgern. So kann sie Mitbestimmungswünsche berücksichtigen und oft schon im Voraus herausfinden, was die Bedürfnisse ihrer Bürger sind, bevor sie zu Gegenpositionen werden. Wenn die Stadt mit künftigen Stadtentwicklungsprojekten ihre Lebensqualität noch steigern möchte, dann braucht sie – mehr denn je – die Unterstützung ihrer Bürger. Sie sollte deshalb direkte Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe suchen. Nur das schafft eine vertrauensvolle Basis für weitere Projekte.



 

Aufklären

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer wir sind: Daniel Überall, 35, Diplom-Kommunikationswirt, und Simon Scholl, 34, Diplom-Betriebswirt, Interkultureller Trainer – Gründer des Kartoffelkombinats, einer Genossenschaft für solidarische Landwirtschaft.
So haben wir die Stadt verbessert: Im Kartoffelkombinat organisieren inzwischen mehr als 300 Familien ihre eigene regionale Gemüseversorgung. Insgesamt streben wir 500 bis 600 an, damit die Gärtnerei ausgelastet ist und wir faire Löhne zahlen können. Das bedeutet, wir nehmen gerne noch Menschen auf, auch nur zum Ausprobieren. Außerdem ist unser Projekt eine Möglichkeit, "der eigenen Hände Arbeit" zu entdecken, zu gärtnern – und dadurch eine neue Wertschätzung für Lebensmittel zu entwickeln und aus dem urbanen Hamsterrad auszubrechen.
Das ist unsere Agenda für München: Wir merken, welche Potenziale das Kartoffelkombinat hat, und denken nach, wie groß wir in den kommenden drei bis fünf Jahren werden können oder sollen. Und wie wir andere dafür begeistern, solche Projekte auch in anderen Städten zu starten. Wichtig ist uns, auch aufzuklären: Es schadet nicht, wenn wir uns alle etwas wegbewegen von der Immer-Verfügbarkeit aller Obst- und Gemüsesorten im Supermarkt

Zu Leidenschaft ermutigen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Fabian Bau, 21, Mitgründer von Projektfirma.
So habe ich die Stadt verbessert: Als Mitgründer von Projektfirma motiviere ich Jugendliche und junge Erwachsene, bei ihrer Berufswahl ihrer Leidenschaft nachzugehen. Wir bieten Studien- und Berufsberatung, bei der wir Schüler und Studenten mit Trainern, Coaches und Mentoren zusammenbringen, die dann in multidisziplinären Teams an eigenen Ideen oder in Auftragsprojekten zusammenarbeiten.
Das ist meine Agenda für München: Einen Großteil unserer Lebenszeit verbringen wir an unserem Arbeitsplatz. Nicht nur unsere eigene Zufriedenheit hängt stark von unserer Arbeit ab – auch die Frage, wie wir die Welt, die Gesellschaft und die Stadt um uns herum verändern und gestalten. Mit Projektfirma möchten wir die Teilnehmer ermutigen, einen Beruf zu wählen, der ihren Interessen entspricht und einen positiven Einfluss auf ihre Mitmenschen und unsere Gesellschaft hat. Hier in München fangen wir an und hoffen, bald auch junge Menschen in anderen Städten und Ländern auf ihrer beruflichen Entdeckungsreise begleiten zu können.
 


Vernetzen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer ich bin: Joscha Lautner, 26, Unternehmer und Mitgründer von Impact Hub München, einem Arbeitsplatz und Treffpunkt für Sozialunternehmer.
So habe ich die Stadt verbessert: Als Geschäftsführer der Hub Munich GmbH für Kooperationen und Finanzierung lebe ich meinen Traum der Welt von morgen bereits heute: Ich schaffe Arbeitsplätze für und eine Community von verantwortungsbewussten Sozialunternehmern.
Das ist meine Agenda für München: München hat eine starke Unternehmerszene und viele junge Menschen, die Unternehmer werden wollen. Es fehlen jedoch Orte – außerhalb der Unis –, an denen sie sich vernetzen können und Unterstützung bekommen. Mit dem "Impact Hub" wollen wir die Situation für Sozialunternehmer verbessern: Wir schaffen ein Ökosystem für ihre tägliche Arbeit, Meetings, Co-Creation, Innovation und zum Netzwerken. Die lokale und globale "Impact Hub"-Community vereint Gründer, Selbstständige und Unternehmer, die alle gesellschaftlichen Wandel antreiben.

Selbermachen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer sind wir: die Kulturwissenschaftlerin Anja Junghans, 31, und die Kulturarbeiterin Linn Quante, 29.
So haben wir die Stadt verbessert: Wir sind gemeinsam, aber auch unabhängig voneinander in verschiedenen Projekten in München aktiv, unter anderem bei den Veranstaltungsreihen "Creative Nite", "Knit Nite" und den "STADTfragen". Zusammen haben wir im Frühjahr die "12 Tafeln" ins Leben gerufen, bei denen wir an insgesamt zwölf Abenden im Jahr in kleiner Runde mit wechselnden Gästen zu Themen diskutieren, die uns aktuell beschäftigen: zum Beispiel über Teilen/Tauschen, Reparieren und Protest.
Das ist unsere Agenda für München: München ist reich an kleinen, unabhängigen Produzenten und Do-it-yourself-Akteuren – man entdeckt sie nur nicht immer sofort. Da ist zum Beispiel das FabLab in Neuhausen, der Atelierladen siebenmachen in Giesing und der Gemeinschaftsgarten o'pflanzt is! am Leonrodplatz. Es lohnt sich, wenn man die Augen offen hält, dann entdeckt jeder etwas für sich. Bei den Projekten geht es nicht nur ums Stricken, Reparieren und Gemüseanbauen, sondern darum, unsere Gewohnheiten zu hinterfragen und Alternativen auszuprobieren und anzubieten.


Freiräume zulassen

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wer bin ich: Manfred Eccli, 32, selbständiger Architekt beim Teleinternetcafé - Büro für Stadtplanung und Architektur und dem Kollektiv Moradavaga, lebt in Tramin in Italien und Berlin.
So habe ich die Stadt verbessert: Als Teleinternetcafé - Büro für Architektur und Urbanismus haben wir zusammen mit dem Büro TH Landschaftsarchitektur Hamburg den Ideenwettbewerb zum Kreativquartier an der Dachauer Straße gewonnen. Unser Entwurf, der neben gewerblichen, kulturellen und kreativwirtschaftlichen Nutzungen 900 Wohnungen und eine Grundschule vorsieht, greift die Kunst- und Kulturszene auf, die sich im nördlichen Teil der Fläche der ehemaligen Luitpoldkaserne etabliert hat. Nun wird ein Rahmenplan dazu entwickelt, der zeigen wird, inwieweit unser Entwurf Realität wird.
Das ist meine Agenda für München: Kulturell und künstlerisch zwischengenutzte Industrieflächen wie das Areal an der Dachauer Straße sind wichtige urbane Impulsträger. Die Stadt München steht, speziell was neue Wohnräume betrifft, unter einem hohen Entwicklungsdruck. Gleichzeitig findet man in München immer weniger innerstädtische Räume mit einem Charakter wie das am Leonrodplatz, das einer kulturellen und künstlerischen Zielgruppe geeignete und kostengünstige Räume anbietet. Vielfältige kulturelle Nutzungen haben sich hier bereits angesiedelt, die Herausforderung besteht nun darin, dieses Potenzial zu nutzen und mehr Industriebrachen zuzulassen.


Text: kathrin-hollmer - Fotos: Laura Zalenga, Florian Generotzky, privat

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