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Mädchen, warum dürfen wir nicht bi sein?

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Liebe Mädchen,

folgenden Satz werdet ihr sicher nie von uns hören: "Boah iiih, wie kannst du denn mit einer Frau ins Bett gehen?!" In vertrauteren Tischrunden, also dort, wo man auch mal die B-Ware der eigenen Gedanken preisgibt, passiert es ja nicht selten, dass eine von euch zugibt, gerne auch mal mit einer Frau zu knutschen oder abwechslungshalber in ein fremdes Mädchenbett zu steigen. Die sanfte Haut, der süße Duft, die wissende Zartheit der Berührungen – ihr könnt da ganz schön lange schwärmen, selbst wenn ihr sonst solide in Richtung Jungsufer orientiert seid. Und Himmel, wer wären wir, könnten wir euch da nicht allerbestens verstehen!

Euch Mädchen wird spontanes bi-Sein als unkonventionelle Weltgewandtheit verbucht, ihr könnt von lesbischen Episoden erzählen wie vom Ausflug in ein Maharishi-Kloster: Im schlimmsten Fall hält man euch für ein wenig exzentrisch und verschroben, der ganz große Teil von uns gibt euch aber auf der inneren Bonuskarte einen positiven Vermerk wegen angenehmer Unverklemmtheit.

Wehe aber, wir Hetero-Jungs äußerten mal ein entsprechendes Grundinteresse an einem der Unseren! Gerät einer von uns in einer vertrauten Tafelrunde mal ins Theoretisieren über ein besonders athletisches Kreuz oder gar die Vorzüge eines schön prallen Schwanzes, und sei es noch so stoßsicher eingepackt in Formulierungen wie "steh-ja-nicht-drauf-aber-irgendwie-müsste-man-ja-schon-mal", wird es auf eurer Seite des Tisches gleich still und verdruckst, als wäre irgendwas Teures zerbrochen.

Was findet ihr so schlimm daran, wenn wir mal Lust auf ein Homo-Abenteuer haben? Gerade ihr, die ihr doch auch auf Jungskörper steht, müsstet das doch nachvollziehen können? Und wenn wir schon dabei sind: Hat das was damit zu tun, dass ihr ja, wenn wir das richtig sehen, auch eher keine Jungs-Jungs-Pornos mögt – während wir die Konstellation Mädchen-gegen-Mädchen doch sehr charmant finden?

Auf der nächsten Seite: Die Mädchenantwort von martina-holzapfl



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Liebe Jungs,

entschuldigt meinen lauten Einstieg, aber: Wann in Himmelherrgottskruzifixes-Namen kommt es denn bitteschön vor, dass ihr mal von einem "athletischen Kreuz" oder gar einem "prallen Schwanz" schwärmt? Neverfuckingever! Als ob ihr euch non-chalant an den Küchentisch setzt und uns einen von eurer homosexuellen Experimentierfreude erzählt. Nicht einmal nach 18 Bier würdet ihr das tun. Und genau das ist ja das Problem.

Unter euch Jungs scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass jeder Gedanke an gleichgeschlechtliche Experimente öffentlich und mit übertriebenen Gesten des Ekels abgestritten werden muss. "Iiiih ein anderer Schwanz, nee, also nix gegen Schwule, echt nicht, aber da wird mir einfach intuitiv schlecht" hört man von euch wesentlich häufiger als das Gegenteil. Und solange ihr uns das Bild vermittelt, ein Richtung Homo tastender Hetero-Mann sei etwas Befremdliches, irgendwie Ekliges, oder halt einfach eh schwul, brennt sich auf Dauer leider auch in unser Unterbewusstsein die Vorstellung, es gäbe gar keine Bi-Männer. Oder anders gesagt: Ein Bi-Mann, glauben wir dann, ob wir wollen oder nicht, ist kein dauerhafter Zustand, sondern eine schleichende Übergangsphase von Hetero zu Homo. Wir schreiben uns auf den inneren Merkzettel: Interessiert sich dein Freund sexuell auch mal für einen Mann, wird er dich bald schon für ihn verlassen.

Klar, das ist bei näherer Betrachtung absolut hirnrissig, naiv, faschistisch, nicht spruchreif, und so weiter. Aber leider ist wohl etwas dran. Weil wir in diesem seltsamen Teufelskreis das Klischee ja auch immer neu beleben. Ihr sagt: "Ih", wir denken "Oh, stimmt" und ihr denkt "Boah, die findet das auch" und so weiter.
Und so kommt es, dass wir NIE von Fantasien über rummachende Männer erzählen. Weil wir das von euch ja auch nie hören. Weil uns das niemand als potentiell heiß verkauft. Es gibt kein Sexy-Ideal eines Bi-Mannes. Das ist also das Eine: Wenn ihr bi seid, empfinden wir das als bedrohlichen Wackelzustand. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Männersex an und für sich eklig finden. Wir kommen nur gar nicht darauf, uns mit ihm zu befassen.

Das Zweite ist: Wir haben natürlich einen Exklusivitätsanspruch an euch. Wenn wir uns verknallen, wollen wir uns an irgendeinem Punkt auch mal sicher sein können, dass wir jetzt die Einzige, Tollste, Beste, Heißeste sind. Gäbe es da nun immer das männliche Geschlecht als unbesiegbaren weil ja schon anatomisch gar nicht zu vergleichenden Plan B, dann wäre das nicht mehr so einfach. Dann wäre das alles plötzlich schrecklich verunsichernd und wir müssten uns immerzu fragen, warum wir euch denn nicht einfach genügen können. Klar also, dass wir es genießen, wenn ihr sagt, dass ihr andere Männer unsexy findet. Denn das heißt: Yeah, doppelte Punktzahl für uns. Nur wir haben, was ihr wollt. Es fühlt sich gut an, das zu wissen.

Natürlich wirft das jetzt aber wieder die Gegenfrage auf: Wieso habt ihr bei unseren lesbischen Anflügen eigentlich keine Angst, dass wir euch eines Tages für eine Frau verlassen? Wo ist dieser Exklusivitätsanspruch bei euch? Oder rechnet ihr einfach damit, dass wir das Ganze sowieso nur als Interessantmachungs-Instrument einsetzen, dass wir gar nicht wirklich scharf auf gelegentliche Frauenabenteuer sind, sondern nur eure Pornofantasien anreizen wollen?

martina-holzapfl

Text: lucas-grunewald - Foto: theelectriclowrider/photocase.com

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