Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Berlint tut weh (Reinhard Mey)

Text: Zwischenruf
Berlin tut weh. Tat es schon immer. Berlin: wie eine heiße Herdplatte, die immer noch glüht. Man lernt es einmal und macht für immer einen Bogen darum. Einen großen.

Unsere Hauptstadt, was ist das schon? Eine Narbe in meinen Erinnerungen. Ein Ort, den ich nicht näher kennen will. London - herrlich, Paris - abenteuerlich, Dublin - heimelig, Rom - spannend, aber Berlin? Schmerzhaft.

Denke ich an Berlin, dann sehe ich den Alex. Im Fernsehen. Knapp nach dem Mauerfall, in den frühen 90ern, in grau-blau-verwaschenen Farben eines schlechten Fernsehers. Guten Morgen Berlin. Guten Morgen Deinen unerzählten Geschichten, den Geheimnissen, den grauenvollen Narben. Guten Morgen Hauptstadt mit Deinem multikulti-hippen Makeup.

Denke ich an Berlin, denke ich an meinen grauen und verregneten Geburtstag vor über zehn Jahren. Vor der Gedächtniskirche habe ich nur nicht geheult, weil mein Großvater das nicht verstanden hätte. Und auf dem Heimweg habe ich die Augen zugehalten und den Schirm umklammert, den ich gekauft hatte - wo? Natürlich im KaDeWe. Noch so ein schrecklicher Name.

Letztes Jahr: Berlin im heißen Junisonnenschein, die Kulturhauptstadt mit all ihren Verlockungen. Und auf dem Weg nach Gesundbrunnen sind die alten Tränen von vor über zehn Jahren wieder da. Familiengeschichten mit Johannisbeeren in einer Stadt, die nicht mehr da ist, Paradiese, die in Plattenbauten untergegangen sind.

Über kaum eine Stadt weiß ich so wenig wie Berlin. Und nun sitze ich tausende Kilometer davon und beschäftige mich mit ihr. Zu Hause konnte ich einen Bogen um sie machen, hier muss ich mein Geld damit verdienen und ich versuche, ein lockeres Touristenprogramm zu stricken. Nicht zu tief hinter die fröhliche Fassade blicken, in der auch meine Großeltern laufen, in der meine Mutter durch eine kalte, geteilte Stadt geht. Berlin ist Familiengeschichte, die wohlverwahrte, im Keller in Kisten, da gibt es ein Stückchen Mauer und das erzählt von Dingen, die beerdigt sind. Von zurückgelassenen Eltern, von Heimat, von einem Leben, das plötzlich anders aussah.

Es bleibt dabei: Berlin tut weh. Berlin mit den Straßen und Parks, mit dem falschen Lächeln, mit dem Grün, in dem die ganz eigenen Geschichten stecken. Berlin tut weh vor Reue, versäumten Gelegenheiten, Geschichten, die keine mehr sind.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: