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Hallo Idiot!

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Der Brief beginnt mit "Hallo Migrant", dann folgt etwas, das klingen soll wie eine sprachwissenschaftliche Abhandlung. "Migrant stammt aus der lateinischen Sprache. (...) Aber migrare heißt auch auswandern. Wir sehen darin eine patente Lösung." Der Brief ging am Wochenende an mehrere Berliner Bundestagskandidaten mit Migrationshintergrund - beigelegt war ein selbstgestaltetes "Rückflugticket" mit Ziel: Heimat. Beides stammt von der Berliner NPD.

Die rassistische Postwurfsendung ist ein Wahlkampftrick, den Neonazis seit einigen Jahren immer öfter anwenden. Aber diesmal gab es postwendend eine sehr öffentliche Ohrfeige: Ein Mann, der sich als "besorgter Deutschtürke" ausgab, veröffentlichte am Montagabend eine Antwort auf einem Blog. Sein Brief beginnt mit: "Hallo Idiot. Das Wort 'Idiot' stammt aus der griechischen Sprache". Der Text karikiert dann scharfzüngig und fast im Wortlaut den NPD-Text - und wird seit Dienstag zehntausendfach im Netz geteilt. Wir haben den Autor ausfindig gemacht und ihn gebeten, seine Sicht auf Deutschland, das Prinzip "Migrationshintergrund" und plumpe Neonazi-Propaganda zu erklären.

Er will anonym bleiben, verrät aber soviel: Er ist männlich, Student und in Deutschland geborener Deutschtürke.

"Ein Flugticket in die Heimat? Da bin ich doch schon!"


"Ich habe so einen Tick: Wenn jemand mir meine deutsche Identität absprechen will, korrigiere ich sein Deutsch. Das heißt nicht, dass ich ein Profi der deutschen Grammatik bin, ganz im Gegenteil: Ich mache das meistens nach Gefühl. Und genau darum geht es ja! In seiner Muttersprache muss man nicht wissen, warum etwas richtig oder falsch ist - man weiß es einfach. Weder ist Deutsch für mich eine Fremdsprache, noch ist irgendetwas Deutsches mir fremd. Da kamen mir die paar Fehler im NPD-Text natürlich gelegen.

Ich bin genervt, immer wieder mit denselben Ressentiments konfrontiert zu werden. Wir sind alle Teil einer multikulturellen, bunten Familie: die Deutschen. Wir sind zum Großteil hier geboren, haben unseren Lebensmittelpunkt hier, tragen zum Erfolg Deutschlands bei und leiden an denselben Dingen, an denen jeder andere Deutsche auch leidet. Ich habe jahrelang mit Zorn reagiert, wenn jemand versucht hat, mir meine Zugehörigkeit streitig zu machen. Das bringt auf Dauer nichts. Wenn man die Dinge mit Humor nimmt, sieht die Welt oft ganz anders aus.

Wir müssen endlich begreifen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Deutschland hat die besten Voraussetzungen, global zu glänzen: Millionen deutscher Kinder wachsen in ihren Familien bilingual und multikulturell auf. Im internationalen Wettbewerb ist das ein klares Plus! Wer behauptet, Multikulti sei gescheitert, erklärt auch Millionen von deutschen Identitäten für gescheitert. Das entspricht nicht der Realität. Denn wenn man Deutschland mal von außerhalb betrachtet, treten vor allem unsere internationalen Kompetenzen in den Vordergrund. Ausländer freuen sich immer zu sehen, wie bunt die deutschen Innenstädte mittlerweile sind.  

Links der Nazi-Brief - rechts die Antwort. Und hier in Originalgröße.


Und wenn ich 'Ausländer' sage, meine ich nicht die vielen arabischen, persischen, polnischen, russischen, afghanischen, kurdischen, japanischen oder türkischen Deutschen. Denn die können höchstens 'neue Deutsche' sein. 'Ausländer' ist man zwei, vielleicht drei oder vier Jahre lang. Doch wie viel Jahre eines 70- oder 80-jährigen Lebens soll man denn damit verbringen, ein Fremder im eigenen Land zu sein? Ein guter Freund hat mir mal gesagt: 'Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss.' Dieser Satz hat sich in meinem Bewusstsein eingeprägt. Deutschland ist meine Heimat, also erkläre ich mich auch nicht mehr.

Naja, nicht mehr so oft.

Der Antwortbrief war eine Schnapsidee: Ich habe das Originalschreiben am Montagabend im Internet gesehen, zufällig! Dann habe ich angefangen, Zeile für Zeile die Sätze umzudrehen. Am Ende musste ich ganz schön lachen. Dann habe ich den Text nur noch in das Brief-Layout der NPD eingefügt, anstelle des NPD-Logos ein Herz, et voilà! Ich musste das als Foto nur noch ein paar Facebook-Freunden schicken, und schon war die Welle losgetreten. Dass es solche Resonanz haben würde, hätte ich nie erwartet.  

Ich fühle mich von der NPD nicht bedroht, aber schon angegriffen. Der Brief ist ja sehr allgemein gehalten, nicht persönlich. Aber dennoch. Das beigelegte Flugticket ist lustig – Ziel: Heimat. Da bin ich doch schon! Wo soll ich denn hin?  

Da fällt mir eine Anekdote ein: Als ich meinen Führerschein ganz neu hatte und mit dem Wagen von meiner Mutter mal zur Schule durfte, sind wir mit einigen Freunden während der Freistunden in die Innenstadt gefahren. Ich hatte aus Versehen im Parkverbot geparkt, weil ich die Schilder nicht auseinanderhalten konnte. Da rief uns eine alte Dame hinterher: "Ihr Assis! Geht doch dahin, wo Ihr herkommt!". Ich dachte mir in dem Moment: "In die Schule? Nach Hause? Was denkt die denn, wo ich gerade herkomme?"  

Ich bin in einem internationalen Deutschland großgeworden. Mein Vater war Student, als ich geboren wurde. Wir haben in Uninähe gewohnt, da waren Menschen von überall. Ich habe mich auch nie diskriminiert gefühlt, bis dann irgendwann die ersten 'neuen Deutschen' mir erzählten, dass wir hier diskriminiert werden würden. Natürlich gibt es Probleme. Und auch ich wurde bei mehreren Job-Bewerbungen schon abgelehnt und führe es, ehrlich gesagt, auch manchmal auf meine Herkunft zurück. Aber selbst wenn es solche Menschen gibt: deren Zeiten sind bald vorbei.   

"Man kann nicht alles mit Humor nehmen."


Der Brief stört mich, denn mir liegt viel an Deutschlands Zukunft. Ich möchte mitgestalten, mit aufbauen. Ich bringe zwei Sprachen mit, eine weltweit anerkannte akademische Ausbildung und viel Energie. Mit alledem möchte ich Deutschland im internationalen Wettbewerb unterstützen. Wenn mir dabei jemand im Wege steht, habe ich ein Problem damit. Mehr nicht.

Dass man alles mit Humor nehmen kann, bezweifle ich aber. Spätestens wenn man Angst um sein eigenes Wohlbefinden haben muss, ist der Spaß vorbei. Ich möchte ja auch anonym bleiben. Weniger, weil ich Angst um meine Gesundheit habe. Aber es würde mein Wohlbefinden schon beeinträchtigen, wenn ich Drohbriefe erhalten würde. Aber: Immer, wenn ich Probleme mit Menschen hatte - und so oft kam das zugegebenermaßen nicht vor - habe ich festgestellt, dass man mit einem Lächeln weiter kommt als mit Zorn. Die Welt ist viel zu klein und ein Leben viel zu kurz, als dass wir es uns erlauben könnten, nicht kontaktfreudig zu sein.  

Ein NPD-Verbot sehe ich kritisch. Soweit ich weiß, sind europaweit viele Parteiverbote rechter Parteien in noch größeren neuen Parteien resultiert. Das kann nicht das Ziel sein. Es macht auch keinen Sinn, wenn diese Leute sich in den illegalen Untergrund zurückziehen. Lieber habe ich meine Probleme vor Augen und versuche sie zu lösen, als dass ich sie verdränge, bis sie dann unlösbar werden. Das gilt doch für so viele Dinge im Leben, wieso nicht auch in der Politik?"


Text: jan-stremmel - Illustration: katharina-bitzl

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