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Affengretsche

Text: NoraJuliane


Mehrere Frauen sitzen an einem Tisch und waschen Salat. Ueberrascht schauen sie auf, als ich vollbepackt durch das Tor stiefel, muede laechelnd, sonnenverbrannt und durchgeschwitzt. Jemand kommt mir entgegen. Man hatte vergessen, dass ich kommen wollte, aber macht nichts, kein Problem!! Mir wird ein Glas Leitungswasser gebracht. Ich befinde mich auf einer Farm,bin dort gerade angekommen, in Argentinien, Suedamerika, Provinz Buenos Aires. Ein grosses Gelaende, bewirtschaftet von einer Gemeinschaft, die sich die “zwoelf Staemme” nennen. 70 Personen bauen ihr eigenes Gemuese an, backen ihr Brot, bauen die Haeuser und fixen die Wasserleitungen, wenn noetig. Sie versuchen,moeglichst ohne Einfluesse oder Produkte der “Aussenwelt” auszukommen. Ziemlich erfolgreich. Die Maenner tragen Baerte, die Frauen selbstgenaehte weite Pluderhosen und duenne, jedoch keine Haut zeigende Oberteile. “Wir muessen Ruecksicht nehmen auf die Maenner, die keine Frau haben.“ So wird mir das erklaert, und ebenfalls eine ihrer Trachten gebracht. Schnell soll ich mich dann umziehen. Nachdem ich herausgefunden habe wo oben und unten ist, sitzt alles perfekt.



 …und es gibt Mittagessen. Es wird an einer grossen, goldenen Glocke gebimmelt und nach und nach trudeln alle ein, die meisten waren auf dem Feld, Auberginen ernten, Unkraut jaeten, bewaessern…  waehrenddessen haben die Frauen in der Kueche den Vormittag ueber das Mittagessen vorbereitet, Salat, viel Gemuese, Reis und selten Fleisch. Alles aus eigenem Anbau.



Schnell komme ich ins Gespraech mit einem Ehepaar aus Suedafrika. Emma und Martin, Ende zwanzig und Anfang dreissig. Beide haben vorher in Suedafrika gearbeitet, in einer Bank. Als sie juenger waren verbrachten sie durch Zufall etwas Zeit bei den “12 Staemmen”,kehrten aber nach Suedafrika zurueck. Und die Jahre gingen ins Land…  “So kann das nicht weitergehen!” Arbeiten, essen, schlafen, arbeiten, essen, schlafen, Wochenende, und alles wieder von vorne. Eine folgenschwere Entscheidung wurde getroffen, ein Flug nach Argentinien gebucht, und hier sitzen sie nun. Bereit, durch eine Taufe ihr Leben der Gemeinschaft zu weihen. Fuer immer. Elementar leben. Einfach leben. Mit Gott sein.



In der Gemeinschaft wird versucht, so bibeltreu wie moeglich zu leben (Deshalb auch kein rasieren, weder fuer Maenner noch Frauen!) auf einer Basis der Liebe, harmonisch Dinge fuer einander tun. Mit einem wichtigen Gesicht wird mir erklaert: “Draussen, da beginnt immer jeder Satz mit “Ich, ich, ich…!!” Hier, bei uns, beginnt jeder Satz mit “Gott, mein Vater wuenscht…” Haha, ein paar lustige Gedanken schiessen mir durch den Kopf, ich halte mich zurueck und nehme mir vor, darauf zu achten. …und komme zu dem Schluss: KEIN SCHWEIN sagt jemals im Alltag “Gott, mein Vater wuenscht.”



 Nach dem Essen wird auch mir Arbeit zugewiesen. Ich wische mit einem Schwamm Fliesen in dem Kuechengebaeude und unterhalte mich dabei sehr anregend mit der Suedafrikanerin Emma, und einem anderen Maedchen, das hier lebt. Jessica, Mitte 20, die gluehende Begeisterung fuer die Gemeinschaft, das Leben hier, spreuht aus ihren Augen. “Reinheit”, “Selbstlosigkeit”, “Vertrauen”, die wichtigsten Stichwoerter. Das groesste Glueck waere es, der Gemeinschaft dienen zu duerfen. Es gibt kein “Ich” mehr, nur noch “wir”. Ich bin gespannt. Und wirklich. Die Menschen kommen mir selbstloser, reiner vor als draussen.



Ich schlafe in dem Gebaeude der “Single-Frauen”. Nur verheiratet darf man mit einem Mann zusammenleben, nicht, dass ich das vorgeschlagen haette, ich erwaehne es nur so. Homosexualitaet wird abgelehnt. Als “pervers” betrachtet. Um fuenf Uhr morgens wird man sanft durch Gitarrenspiel und Gesang aus dem Reich der Traeume geholt, Mitglieder der Gemeinschaft stehen immer etwas frueher auf und ziehen um die Gebaeude, um das Aufwachen angenehmer zu gestalten. Wohlig raekelt und streckt man sich ein letztes Mal, waehrend der Gesang langsam leiser wird. Jemand macht das Licht an. Ich klettere runter von meinem Hochbett, ich habe meine normalen Schlafsachen an, kurze Hose, T-Shirt und gehe mit Waschzeug und Handtuch zum Badezimmer. Dabei durchquere ich das andere Maedchenzimmer. Man guckt mich komisch an. Ich denke mir nichts dabei, dusche, ziehe mir die Tracht wieder an, oben, unten, alles geritzt, und los gehts zur ersten morgendlichen Versammlung. Doch auf dem Weg faengt mich eine der Frauen ab, die sich “zustaendig” fuer mich fuehlen, mir das Grundstueck gezeigt haben, die Gewaender rausgesucht usw. . Und mit leiser Stimme weist sie mich zurecht, dass ich mich das naechste Mal bitte zuechtiger anziehe, wenn ich morgens zum Badezimmer gehe. Wenn mich ein Mann gesehen haette!! Katastrophe. Ohja, ich versichere ihr, dass das keine Absicht war und nehme mir vor, mich das naechste Mal auf dem 3 Meter Weg Richtung Badezimmer ordentlich zu vermummen. Wie sich das gehoert.



Dann: Versammlung. Wow! Alle treffen sich um sechs Uhr frueh in dem “Versammlungsgebaeude”, gross, hohe Decke, aus Holz und rund.



Es gibt heissen Mate- Tee fuer jeden in Metallbechern. Und ab geht die Party. Ein paar Musiker, beinahe eine Band, stimmen ein Lied an. Auf einmal laufen mehrere Mitglieder der Gemeinschaft mit todernsten Gesichtsausdruecken in die Mitte des Kreises, fassen sich an den Haenden und beginnen im Takt der Musik im Kreis zu laufen, eine besondere Schrittfolge verwendend, und dann ein Lied anstimmend.



Mal wird der Kreis erweitert, dann zieht er sich zusammen, mal schnell mal langsam, mal huepfend, mal klatschend. Hierbei handelt es sich um die als “brandneue Kultur” vermarktete Tradition der “12 Staemme.” Das zugucken macht Spass. Die Lieder sind sehr melodisch, tief, und angenehm anzuhoeren. Die Taenze energetisch. Anschliessend, nach vier,fuenf, Taenzen stehen alle ratlos im Kreis, keiner scheint zu wissen, wie es weitergeht. Dann auf einmal  faengt wahllos ein Mitglied an zu sprechen, redet irgendwas, mein Spanisch war zu der Zeit noch ziemlich schlecht, aber ich komme dahinter, dass er sehr dankbar ist, Aufnahme in der Gemeinschaft gefunden zu haben, allgemein dankbar ist, Gott vertraut und alle liebt. Yeah, denke ich mir. So geht das dann weiter. Jedem, dem`s auf der Seele brennt wird hier die Plattform gegeben seine Erguesse loszuwerden, sei es ueber besondere Vorkomnisse, Aergernisse, besonders schoene Momente, etwas zu der Erziehung der Kinder oder allgemein, die sich immer widerholende Dankbarkeit und Wertschaetzung, hier zu sein. Am Ende kommen alle zusammen und strecken ihre Haende gen Himmel. Dann gehts los. Alle fangen an zu schreien. Nach Erloesung, nach Yashua (dem hebraeischen Namen fuer Jesus), Freiheit, Gnade, Vertrauen…  und dann gibts Fruehstueck. Gemuese, Salat und Reis, dazu Mate-Tee, davon IMMER jede Menge. Und DANN der Nachteil der ganzen Geschichte. Die Arbeit.



Ich muss aufs Feld, als waere ich ein richtiger Mann. Huehnerkacke verteilen, auf frisch abgeernteten und nun zur  Neubepflanzung vorbereiteten Feldern. Barfuss mit Schubkarre zum Haufen, Schubkarre mit Huehnerkacke vollladen, zum Feld schieben, mit einer Harke verteilen. Und das dann die ganze Zeit. Die Sonne knallt. Von acht uhr morgens bis halb eins, dann klingelt die Glocke und es gibt Mittagessen. Dann eine Stunde Pause, und weiter gehts. Bis 6 Uhr. Dann wieder grosse Versammlung. Gesungen und getanzt, geschrien und geweint, auch das geschafft, Abendessen. Gegen 10 gehts in die Falle.



Am Wochenende wird die Sau rausgelassen. Sabat. Freitagabend gibt es ein besonderes Essen, Musik, es wird getanzt (natuerlich nur die traditionellen Taenze, wo ALLE ZUSAMMEN einen ringelreigen tanzen koennen.) Samstag wird nicht gearbeitet. Faulenztag. Es darf sogar lange geschlafen werden, BIS ACHT UHR. Nur fuer diesen tag wird ein riesiger Pool mit Wasser gefuellt, das dann am naechsten Tag zur Bewaesserung der Felder verwendet wird. Volleyball, Fussball, herumrennende Kinder, schwimmen, Sonne. Abends dann wieder essen, besondere Musik, Taenze.  Hin und wieder werde ich  (bei den einfachen Taenzen) dazu aufgefordert, mit zu tanzen. Ich gebe mein bestes und huepfe frohgemut!!



Dann, nach der letzten abendlichen Versammlung, ein paar Tage spaeter, der Aufruf: Emma und Martin moegen bitte in den Kreis kommen.  Ernste Gesichter. Dann, ganz feierlich, wird ihnen mitgeteilt, dass im Anschluss an die Versammlung ihre Taufe stattfinden wird, um fuer immer Teil der Gemeinschaft zu sein. Dann, ob sie was dazu zu sagen haetten. Das ist jetzt ein Moment grosser Anspannung, nun wird ERWARTET, dass sie die richtigen Worte finden, genug Emotionen zeigen… und los gehts. Martin faengt an, mit belegter Stimme redet er  von der grossen Bedeutung, die die Gemeinschaft in seinem Herzen eingenommen haette, dass er sich noch nie so zuhause gefuehlt haette, frei, auf einmal gaebe es einen Sinn im Leben. Als sei er auf einmal von einem Blitzschlag getroffen worden, einem Blitzschlag der Erkenntnis, dass keine andere Lebensweise mehr fuer ihn infrage kaeme. Er sei aufgewacht. Alle klatschen, gut gemacht. Emma ist dran. Sie ist emotionaler. Widerholt sinngemaess Martins Worte, aber weint dabei. Noch besser. Weinen ist gut. Dann gehen alle Richtung Pool, ein zweiter Pool, ein etwas kleinerer, als der grosse, der normalerweise am Sabat verwendet wird. Alle stellen sich im Kreis um den Pool auf. Emma und Martin verschwinden mit ein paar Mitgliedern der Gemeinschaft. Kommen nach kurzer Zeit mit Blumen und weissen Gewaendern hergerichtet zurueck. Vorsicht steigt Martin in den Pool, begleitet zur linken und zur rechten von je einem Mitglied der Gemeinschaft. Dann passiert nichts. Keine Anweisungen, gar nichts. Alle starren ihn an. Und Martin beginnt zu schreien. Ein tiefer, kehliger, moerderischer Schrei. Er geht in die Knie, den Blick zum Himmel gerichtet. Der Name “Yashua” formt sich. Seine Barthaare zittern, in seinen Augen spiegeln sich die Wolken. Entrueckt. Masslos ergiesst sich seine Seele in Schreie, “I need to be saved, Yashua, save me, I need salvation-“ irgendwann kann er nicht mehr. Kraftlos haengt er zwischen den beiden Gemeinschaftsmitgliedern. Diese nicken sich einmal zu und tauchen Martin ganzkoerper unter Wasser. Nun ist er dabei. Er taucht wieder auf. Und wird aus dem Pool  gefuehrt, direkt von den Gemeinschaftsmitgliedern umringt, ihm wird ein Handtuch gereicht, er wird umarmt.  Dann ist Emma an der Reihe.



Als es vorbei ist,  bin ich geschockt. Es war unheimlich. Unheimlich intensiv. Ich fuehle mich fassungslos, zitterig. Meine Augen sind waesserig. Ich haette weinen koennen. Ich weiss nicht, ob es schoen war. Oder wie ich das benennen soll. Ich gehe langsam zu Emma und Martin, und gratuliere ihnen. Und laechele sie an. Ich freue mich fuer sie, denn sie scheinen unglaublich gluecklich. Ihnen wird das Stirnband umgelegt, das signalisiert, dass sie nun ein Teil der Gemeinschaft sind.



Ich bleibe noch ein paar Tage laenger. Dann verlasse ich die Gemeinschaft. Mir wird angeboten, laenger, oder auch fuer immer in der Gemeinschaft zu bleiben. Hier braeuchte ich kein Geld. Wuerde ich mich dafuer entscheiden, waere es tatsechlich eine Moeglichkeit, sich komplett von saemtlichen Strukturen der Gesellschaft auszuklinken. Der Gedanke ist unheimlich. Mir schiesst der Gedanke durch den Kopf, wie es waere, wenn ich meine Eltern und Freunde anriefe, und ihnen mit todernster Stimme mitteile, dass ich mich dazu entschieden haette, den Rest meines Lebens Gemuese erntend auf einer Farm in Suedamerika zu verbringen, als Teil einer hochchristlichen Gemeinschaft. .. dass ich Gott gefunden haette, und sie bitte nicht versuchen sollen, mich umzustimmen. Mir laeuft ein Schauer ueber den Ruecken angesichts dieser Moeglichkeit. Obwohl mich die Reaktionen meiner Eltern schon interessieren wuerden, entscheide ich mich dagegen. Es ist ein trauriger Abschied, insbesondere von Emma und Martin und Jessica. Ich nehme mir vor, irgendwann zurueckzukommen. Zu Besuch. Der Gedanke ist verrueckt, dass sich in zehn oder zwanzig Jahren alles nur minimal veraendert haben wird. Die Menschen aelter, andere Menschen, das Land anders. Neue Kinder. Die alten Kinder erwachsen. Und das waere es.  Dieselben Rituale, derselbe Alltag. Jeden Tag um halb eins bimmelt die Glocke, und alle erscheinen zum Mittagessen. Tag ein, Tag aus. Waehrrenddessen wuerde ich studiert haben, in meiner eigenen Wohnung leben, immer wieder neue Menschen kennen lernen, so viele neue Entwicklungen. Ein letztes mal winken….



…und weiter gehts mit einem absoluten Kontrastprogramm im Kern der Hauptstadt, Buenos Aires… 



 


Nora von Breitenbach 

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