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Lass mich mit deiner Katze in Ruhe!

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Oma  

Meine Großeltern waren mir schon immer unbehaglich. Ihr ewiger Nachkriegshaushalt mit all den jugendherbergsmäßig weggetupperten Lebensmitteln, der chronisch runtergedrehten Heizung, den Energiesparlampen und den kalten Fliesen verursachte mir bei Betreten ihres Hauses sofort Heimweh. Bei ihnen zu sein war immer mit einer Angst verbunden, etwas falsch zu machen. Eine Tür offen zu lassen, so dass es irgendwo zog, Opa etwas wegzuessen, auf dem falschen Stuhl zu sitzen oder irgendwo Unordnung zu machen. Er ist mittlerweile tot. Meine Oma war neben ihm immer eher „die Gute“, aber jetzt, wo er weg ist, merke ich, wie wenig ich auch mit ihr klarkomme. Meine Oma ist nach außen hin sehr herzlich und immer für ein Schwätzchen zu haben. Doch hinter dieser Freundlichkeit steckt eine schwarz-weiße Welt, ach was: ein Dorf voller Urteile. Meine Oma respektiert keine Grenzen und denkt nicht, bevor sie redet. Reden ist überhaupt das falsche Wort. Sie ordnet an. Sie verteilt Befehle. Sie fragt nicht, sie entscheidet. Sie behält immer das letzte Wort. Ich habe immer versucht, etwas an ihr zu finden, dass ich lieben kann. Richtig geklappt hat es nie. Ihr Horizont scheint mir winzig. Sie sortiert Gehörtes in Schubladen, so dass alles auch noch so Differenzierte in ihren Ohren zu einem provinziellen Klischee wird. Ihre harsche Art überfordert und erschreckt mich jedes Mal aufs Neue. Klären konnte ich mein Problem mit ihr bisher nie, denn es ist, als käme all das, was mir wirklich wichtig ist, nicht bei ihr an.  

Das Problem ist, dass es eine ungeschriebene Regel gibt, die kennt jeder und sie heißt: Wer seine Großeltern nicht mag, ist arrogant und kindisch und auch ein bisschen dumm. Denn Großeltern waren auch mal jung, haben als wandelnde Geschichtsbücher sehr viel zu erzählen, zudem ganz bestimmt sehr viel durchgemacht und deshalb auch als alte Greise garantiertes Recht auf Liebe und Respekt.  

Deshalb versuche ich immer wieder, meine Oma verzeihlich zu sehen. Ich sage mir: Wie alle anderen will sie eigentlich nur gemocht werden. Dass sie diese Liebe und Selbstbestätigung mit völlig zweifelhaften Methoden zu erzwingen versucht, ist nichts als Hilflosigkeit. Und dann tut sie mir leid und ich versuche, süß und lieb und nett zu bleiben, ab und zu einen Brief zu schreiben, solche Sachen. Aber sehr, sehr, sehr oft ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie erleichternd es sein wird, wenn sie nicht mehr da ist und ich endlich aufhören kann mit diesem anstrengenden Spiel.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Babys  

Freilich war das ein recht gewaltiger Fehlgriff im Ton – ich möchte fast sagen: imperial unsensibel. Aber in dem Moment brach es eben aus mir heraus, und ja auch nur gegenüber der Tante: „Boah, ist das hässlich!“ Einer dieser Momente nassforscher Ehrlichkeit, die mit Blick auf das Foto einer Neugeborenen natürlich unangebracht ist. Aber das Bild war ein grünstichiges Portrait im Krankenhaus-Neonlicht. Auf einem veralteten Handy. Kein Baby wäre darauf schön gewesen – und dieses war eben von Haus aus keine Blume (hat sich inzwischen aber zu einem bildhübschen Mädchen ausgewachsen).  

Ich kann also nicht sicher sagen, ob es eher das Bild oder das Motiv war. Möglich ist beides. Denn ich mag Babys nicht. Kleinkinder auch nicht. Die Markscheide liegt für mich ungefähr da, wo sie Sätze wie „Nein, das finde ich falsch“ sinnvoll benutzen können. Bis dahin finde ich sie laut und nervig. Und Angst machen sie mir auch. Weil: Ein Baby auf dem Arm ist wie Schütze beim Elfmeter – man kann nur verlieren. Mit dem Geschrei, dem Fallenlassen und allem.

Klingt nach Koketterie – ich weiß. Der Punkt ist aber, dass sie mir auch in den angeblich guten Momenten wenig geben. Natürlich ziehe ich das ganze Programm durch: „Wo ist das Baby?! Da ist das Baby!“, das übertriebene Gestrahle, das Gejauchze und Gequiecke, eine Sprache, als hätte ich jüngst einen Kopfschuss eingesteckt. Aber die glucksenden Reaktionen, wenn ich sie denn überhaupt ernte, wecken in mir sehr, sehr wenig. Deshalb muss ich die Freude darüber simulieren, vorspielen. Was alles noch anstrengender macht.  

Ich kann nicht sagen, dass ich mich dieser Gefühle schäme. Aber sie beunruhigen mich: Vielleicht geht das nie weg?! Vielleicht finde ich mein eigenes Kind irgendwann auch nur hässlich, dumm und laut?! Hat jemand einen Tipp? Oder ist vielleicht das ein Zugang: Ich sehe gerne Menschen zu, die sich an Kindern erfreuen. Bislang allerdings leider eher mit neidischem Unverständnis.        

elias-steffensen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Katzen 

 „Schau mal, wie süß sie schaut, magst du sie mal halten?“, fragt die Cousine. Sie hält mir ein haariges Büschel mit zwei viel zu großen Augen vor die Nase und wartet auf ein „Jaaaaaa!“ von mir. Ich kann es nicht. Nicht mehr. Die ehrliche Antwort auf die Frage der Cousine, die mir mindestens ein bis drei Mal im Jahr von jemand anderem gestellt wird, lautet: „Nein. Geh weg mit dem Viech. Ich will es weder halten noch streicheln noch sehen.“ Was ich sage, hört sich aber so an: „Du, nee, ich, ähh.... ich glaub, ich bin allergisch oder so.“ Unverständnis seitens der Cousine. Zweiter Versuch: „Ja, ich find’s ja auch schade.“  

Ich mag keine Katzen. Mochte ich noch nie. Hassen wäre zu viel gesagt. Das Kindchenschema schlägt bei mir einfach nicht an oder was auch immer die Menschen entrückt dreinschauen lässt, sobald irgendwo eine Katze zu sehen ist. Ich finde Katzen schlichtweg: blöd. Das zu sagen, wirft jedes Mal viel zu viele Fragen auf, die mir viel zu anstrengend sind. Katzen sind das häufigste Haustier der Deutschen, das Tier, vor dem keiner Angst hat, das irgendwie jeder mag, außer er ist erklärter Tierfeind. Und das bin ich auf keinen Fall. Ich mag nur die kleinen Tiere nicht. Also Tiere, die klein bleiben. Tierbabys schon, von großen Tieren halt.  

Kleintiere machen mir Angst, seit ich in der Schule während des Frankreich-Austausches nicht nur mit meiner Austauschpartnerin im Bett, sondern auch noch mit mehr als 60 (!) Hamstern, Mäusen, Meerschweinchen und Katzen in einer sehr kleinen Wohnung schlafen musste. Katzen sind mir besonders unheimlich. Sie kratzen einen grundlos und sehen immer seltsam eingeschnappt und arrogant aus. Das kann ich schon bei Menschen nicht ausstehen, also die letzten zwei Dinge, Ersteres kommt zum Glück selten vor. Katzen begegnen mir allerdings täglich. Das Internet ist voll von Katzenfotos, -videos und -GIFs. Dabei bin ich für Meme sehr leicht zu begeistern. Nur eben für ihre Hauptdarsteller nicht. Nicht einmal in meiner Straße habe ich meine Ruhe vor den Tieren, gegenüber von meinem Küchenfenster hängt seit der vergangenen Woche ein Piraten-Wahlplakat. Mit Katze. Warum? Internet-Partei und so, dachte sich wahrscheinlich der Mensch, der die Piraten-Plakate gestaltet hat. Was bei mir ankommt, ist: Oh, eine einsame traurige Frau mit Katze. Beide will ich nicht streicheln. Und wählen auch nicht.

kathrin-hollmer


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Serien

Serien sind das Format, in dem die große Kunst unserer Zeit gemacht wird, das liest man seit Jahren überall. Viele Hollywood-Stars machen inzwischen auch Fernsehserien. Aktuelle Serien sind in jeder Kneipenrunde und in jedem Großraumbüro ein tägliches Gesprächsthema. Nur ich kann nie mitreden. Ich gucke keine Serien.

Einige meiner Freunde haben alle Staffeln von How I Met Your Mother mehrfach angesehen und können jedes Wort mitsprechen. Ich kenne, glaube ich, die Folgen eins bis vier. Dabei finde ich HIMYM ziemlich unterhaltsam. Überhaupt finde ich viele amerikanische Serien lustig oder spannend oder beides. Aber bei keiner Einzigen habe ich auch nur die erste Staffel vollendet. Völlig unabhängig davon, ob es um eine banale Sitcom geht oder eine aufwendig produzierte Geschichte: Ich kann mit Serien als Medium nichts anfangen.

Abgeschlossene Serien, von denen schon alle Staffeln ausgestrahlt sind, erschlagen mich mit der schieren Menge an Filmmaterial. Ich kann mir nicht vorstellen, sie irgendwann alle anzusehen, daher fange ich gar nicht erst an. Aktuelle, noch laufende Serien dagegen geben ja einen Fortsetzungsrhythmus vor, in dem man sie bequem mitverfolgen könnte. Aber das sorgt dafür, dass ich mich wie ein gehetzter Hund fühle. Wenn ich eine Woche unterwegs bin oder wenig Zeit habe, müsste ich anschließend neben den ganzen E-Mails und der Schmutzwäsche auch die verpassten Folgen abarbeiten. Denn so fühlt sich das für mich an, nach Arbeit.

Mein vorerst letzter Versuch, mich mit dem Medium Serie anzufreunden, war die YouTube-Sendung Shore, Stein, Papier. Die fand ich richtig spannend, und die Folgen dauern jeweils nur etwa drei Minuten, das wäre wirklich zu schaffen. Trotzdem bin ich nie über Folge sieben hinaus gekommen. Ich kann nicht erklären, warum. Am Sonntag soll es regnen. Vielleicht starte ich nochmal einen Anlauf. Vielleicht auch nicht.

christian-endt



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Bier  

Das Problem ist in diesem Fall weniger der Gegenstand selbst als der Ort, an dem ich ihn hasse: München. Und: Bier. „Noch nie, nein!“ „Ja, doch, hier geboren.“ „Nein, nein, nicht schwul“ (doch, diese saublöde Frage kommt schon immer noch). Ich mag’s einfach nicht. Der Geruch. Der Geschmack. Irgendwie sogar die Farbe. Jagen kannst du mich damit. Erst recht in allen Mischvarianten.  

Das ist nun natürlich keine Seelenqual. Keine ungeliebte Oma. Keine Baby-Abneigung. Aber komisch trotzdem. Weil: Ich höre immer wieder Menschen mit der Liebe eines fürsorglichen Elternteils über die erste Halbe des Abends sprechen. Über das Radler, an dessen Glas sich an heißen Sommertagen Kondenswasser bildet. Über das angeblich unersetzbare Gefühl, wenn der güldene Trunk vom Rachen zur Kehle rollt. Über den unnachahmlichen Geschmack eines „Gustls“.  

Und mich würgt es. Für mich schmecken sie alle nur nach etwas Vergorenem, das besser ein Brot, in jedem Fall aber etwas Festes geworden wäre. Und über diesen Punkt komme ich einfach nicht hinaus. Sogar bei Whisky habe ich das geschafft. Aber Bier? Keine Chance. Trotz München und so.

jakob-biazza


Text: jetzt-redaktion - Collagen: Michaela Maget

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