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Betrunkene vs. Jogger

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Die Situation:

Ein Jogger, im schlimmsten Fall trägt er Funktionskleidung, trabt seines Weges. Auf diesem Weg steht, wahrscheinlich rauchend, in jedem Fall aber eher immobil, ein Betrunkener und stiert, wie Betrunkene nun mal stieren: nicht unbedingt feindselig, aber grundskeptisch allem Nichtalkoholisierten gegenüber. Die Reaktionen übereinander rangieren meistens zwischen Kopfschütteln und kleineren Beleidigungen, wobei der Betrunkene eher beleidigen ("Rauch mal lieber eine, du G'schaftelhuber!"), der Jogger dafür heftiger kopfschütteln wird.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Dort treffen sie aufeinander:

Überall, wo sowohl verstärkt gejoggt als auch getrunken wird: in Parks also und an Flüssen (seltener an den Zubringerwegen mit Bar-Anschluss). Brisanz bekommt der Konflikt, weil beide Parteien diese Gebiete als ihren natürlichen Lebensraum ansehen.  

Darum hassen diese beiden einander:

Man muss hier dem Spontanimpuls widerstehen, von unterschiedlichen Welten oder gar Persönlichkeiten zu sprechen (siehe auch unten). Zieht man die Extrempole Leistungssportler und Alkoholiker ab, befinden beide sich nämlich in eher außeralltäglichen Situationen. Und wann immer man etwas persönlich Ungewöhnliches tut, beeinflusst das die Wahrnehmung. Das Böse ist immer außerhalb von uns selbst? Das gilt besonders im Bereich „Selbstoptimierung und anderer Freizeitausgleich“: Gerade der Gelegenheitsjogger neigt dazu – vielleicht auch mit von Endorphinen verklärtem Blick – sein Tun als den Weg zur Erleuchtung, als Wahrheit zu empfinden. Der Betrunkene wird genau diese vermeintliche Überheblichkeit im federnden Schritt des Sportlers zu lesen glauben – und seinerseits nicht verstehen, warum es etwas Sinnvolleres fürs Wohlbefinden geben sollte, als Bier beziehungsweise mehr Bier.  

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:

Morgen werden die Karten neu gemischt. „Trinker“ und „Jogger“ sind keine starren Lebenskonzepte (siehe oben). Wer heute betrunken ist, kann bereits morgen Jogger sein und vice versa. Und dann kehrt sich auch die damit verbundene Wahrnehmung komplett um.

Das können wir von ihnen lernen:

Gut und Böse, das sind nur Konventionen. Manchmal sogar nur Ergebnisse des Augenblicks. Oder natürlich: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.

Text: jakob-biazza - Collage: fraueva / photocase.com und Reuters

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