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Flug in die Ungewissheit

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Für die meisten Menschen sind Flughäfen und Flugzeuge Symbole der Freiheit und Grenzenlosigkeit. Für andere bedeuten sie genau das Gegenteil. Einer jungen Münchnerin wurde diese Tatsache vergangene Woche auf dramatische Art und Weise bewusst: Als sie am Flughafen auf dem Weg zu ihrem Gate war, drückte ihr eine Aktivistin einen Flugzettel in die Hand. Darauf stand, dass sich auf ihrer Maschine ein Mann befinde, der nach Afghanistan abgeschoben werden soll. Damit habe sie nicht gerechnet, erzählte die junge Sozialpädagogin im Interview mit dem Zündfunk. Als sie ins Flugzeug nach Ungarn stieg, gelang es ihr, den betroffenen Mann zu erkennen. Nachdem die anderen Passagiere auf ihre Einreden nicht reagierten und Flugpersonal und Pilot ihr sagten, dass Abschiebungen nicht im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft liegen – sie also nichts dagegen tun könnten –  weigerte sie sich, sich zu setzen. Das schon rollende Flugzeug wurde angehalten und die Abschiebung abgebrochen. Der Mann wurde zurück zu seiner Familie gebracht.  

Ähnliches gelang vor ein paar Wochen auch dem Kanadier François-Xavier Sarrazin, der sich gerade auf den Weg nach Ungarn zu seiner Freundin befand. Er weigerte sich, sich zu setzen, nachdem er ebenfalls durch eine Flugblattaktion mitbekommen hatte, dass sich ein 27-jähriger pakistanischer Flüchtling an Bord befand, dem eine Abschiebung bevorstand. 

Logo der Kampagne "Kein Mensch ist illegal", die sich gegen Abschiebungen einsetzt. Das auch der Einzelne etwas bewegen kann, haben kürzlich zwei junge Fluggäste bewiesen.

Fälle, in denen Mitreisende gegen Abschiebungen protestieren und Abbrüche bewirken, sind selten. Aber es gibt sie. Genaue Zahlen liegen dazu nicht vor, nur einzelne Medienberichte von Vorfällen. Laut einer Studie von Pro Asyl fanden im Jahr 2012 insgesamt 6.919 Abschiebungen von Deutschland über den Luftweg statt. Viele Passagiere wissen nicht, dass Abschiebungen nicht nur über die große Frontex-Agentur durchgeführt werden, sondern auch unter Augen der Öffentlichkeit in den normalen Charterflügen kleiner aber auch großer Fluggesellschaften wie Lufthansa, air berlin und Co, mit denen wir alle in den Urlaub fliegen. Manche Fluglinien haben darin ein gutes Geschäft gewittert, meint Bernd Mesovic, Politologe und stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl. „Einige kleine Fluglinien leben davon. Früher waren es die Airlines des ehemaligen Ostblocks, jetzt sind es kleine Charterflüge wie etwa Adria Airwaves“, so Mesovic.  

Dabei sind die Fluggesellschaften nicht verpflichtet, Abschiebungen durchzuführen – der Pilot kann diese auch im eigenen Interesse verhindern, wenn er möchte. Mit dem Schließen der Flugzeugtüren ist er alleine für die Luftsicherheit verantwortlich. An ihm liegt es zu entscheiden, ob ein schreiender oder stehender Passagier ein Risiko darstellt und zumutbar für die zahlenden Fluggäste ist. Fluglinien, die Flüchtlinge in die andere Richtung mit nach Deutschland transportieren, sind lediglich zur Übernahme der Rücktransportskosten verpflichtet. Wer das nicht tut, muss Strafe zahlen.  

Neben dem Unwissen über die Abschiebungen durch Fluglinien ist es aber manchmal auch schlicht und einfach Ignoranz, die die Passagiere daran hindert, in solchen Fällen einzuschreiten. Als François-Xavier Sarrazin gegen die Abschiebung des jungen Flüchtlings protestierte, rief ihm ein Mitreisender zu, er solle sich gefälligst hinsetzen und die Klappe halten, so Sarrazin im Gespräch mit der taz. Andere Passagiere haben wohl auch Angst vor den Konsequenzen, denn legal sind die Störversuche an Bord natürlich nicht. Konkret handelt es sich dabei um „eine Behinderung der Amtshandlung.“ In Deutschland gab es deswegen zwar schon Verhaftungen, die meisten Fälle werden aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht sehr hart bestraft. In Frankreich etwa wurde die Gesetzeslage in den letzten Jahren extrem verschärft, nachdem es zu einer Häufung solcher Fälle kam, sagt Mesovic.

Passagieren, die mitbekommen, dass gerade eine Abschiebung stattfindet, empfiehlt er, mit den Betroffenen zu reden und zu erkunden, ob alles rechtmäßig ablief und ob die betroffene Person vor Abflug noch Kontakt zum Rechtsanwalt hatte. Bei Zeichen der Verzweiflung auf jeden Fall ans Flugpersonal wenden und es darauf hinweisen, was der Betroffene im Ankunftsland zu fürchten hat. Wenn das nichts hilft, aufstehen und sich weigern, das Handy auszuschalten. „Die Fluggesellschaften haben natürlich keine Interesse daran, negativ Schlagzeilen zu machen“, meint Mesovic.  

Kann man durch eine derartige Störaktion wirklich etwas bewegen? Ja und nein, sagt Mesovic. Wenn sich keine neuen Argumente für ein Bleiberecht ergeben, wird die Abschiebung in überschaubarer Zeit noch einmal durchgeführt. Aber manchmal erreichen die Widerständler ihr Ziel, weiß Mesovic: „Wir erleben oft auch Fälle, in denen aus einer Widerstandshandlung ein Folgeverfahren resultiert, das dann wiederum zu einem Bleiberecht führte."



Text: simone-groessing - Foto: dpa

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