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Ding der Woche: Der Nie-wieder-Essen-Drink

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Die Nahrung der Zukunft sieht aus wie Sperma, verdünnt mit Wasser. Sagt eine der wenigen unabhängigen Testpersonen, die das geheimnisvolle Gebräu bisher probieren durften. Ein milchiges Weiß, sämig-dickflüssig. Geschmack: erdig-süß, im Abgang hefig.  

Die Nahrung der Zukunft ist ein Getränk, das sich aus einem Pulver anrühren lässt. Es trägt den Namen "Soylent", entwickelt hat es ein 24-jähriger Software-Entwickler aus Kalifornien. Er heißt Rob Rhinehart und fand eines Tages: Wir verschwenden zu viel Zeit und Geld mit Essen und all dem lästigen Kram, der an diesem Themenkomplex noch so hängt. Einkaufen, Gemüse schneiden, Kochen, Abspülen, solche Sachen. Die ja umso stärker nerven, wenn man Single ist und kein Geld für tägliche Restaurantbesuche hat.  

Rhinehart ist Single und eher kein Großverdiener, überschneidet sich also erstmal mit ziemlich vielen Menschen Mitte 20. Was er aber daraufhin tat, zeigt gut, wo sich 24-jährige Software-Entwickler aus Kalifornien von uns grummligen Normalessern unterscheiden: Rhinehart schlug nach, was genau unsere Menschenkörper eigentlich so brauchen. Nicht in Lebensmitteln gemessen, sondern exakter. In chemischen Stoffen und Mikrogramm.

Er stieß auf Kohlenhydrate und Proteine. Fett. Cholesterin. Natrium, Kalium, und noch 26 weitere Stoffe. Er besorgte sie sich bei Versandhändlern für Chemiebedarf, dazu eine Feinwaage. Er wog die weißen, hellbraunen, feinen und grobkörnigen Pülverchen, vermengte sie mit Olivenöl und verrührte alles zu einer homogenen hell-beigen Masse. Gemessen an der offiziell empfohlenen Tagesdosis der National Academy of Sciences hatte er jetzt alle Zutaten einer ausgewogenen Ernährung vor sich liegen wie ein Feinmechaniker ein zerlegtes Uhrwerk.

Nahrung in ihrer Reinform. Sie sah so aus:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

  

Das war im Februar. Seither hat Rhinehart nur gelegentlich etwas anderes zu sich genommen als das weiße Getränk. Dreimal täglich trinkt er einen Becher. Die drei Portionen decken seinen Bedarf so exakt, als würde er Bissen für Bissen nach einer Tabelle essen. Er hat jetzt deutlich mehr Zeit für Dinge, die ihm – anders als Essen - wirklich wichtig sind: Arbeiten, Fitness, Freunde treffen. Tatsächlich geht er zweimal die Woche mit Freunden Abendessen, zwecks Genuss und Gesellschaft. Am liebsten Sushi. Das ist bekanntlich überdurchschnittlich teuer, macht aber unterdurchschnittlich satt – zwei Probleme, die für ihn der Vergangenheit angehören.  

Aus Rhineharts Sicht stellt das Gewese um feines und gesundes Kochen eine Art Sackgasse der Evolution dar - schließlich wurde Kochen ursprünglich dazu erfunden, Nährstoffe leichter aus Nahrungsmitteln zu gewinnen. "Essen ist ein Zufluchtsort für Reaktionäre", sagt er. Sein Pulver macht sozusagen einen großen Schritt über das lästige Zubereiten von schwer verdaulichen Rohprodukten. Soylent versammle alles Nötige, ganz ohne Giftstoffe, Allergene, Abfall. Es lasse sich leicht lagern und transportieren, der Welthunger könne in absehbarer Zeit ebenso überwunden werden wie die zunehmende Fettleibigkeit in den Industrieländern. Allergien, Sodbrennen, Verdauungsprobleme: adé!  

Vergangene Woche startete Rhinehart einen Aufruf zum Crowdfunding: 100.000 Dollar, erklärte er, würden ihm helfen, seinen Drink in größerem Rahmen zu produzieren und zu vertreiben. Die 100.000 Dollar waren in weniger als zwei Stunden gesammelt – inzwischen sind es knapp 430.000 Dollar.  

Seit Beginn seines Experiments lässt Rhinehart sein Blut regelmäßig testen und führt Buch darüber. Bisher, schreibt er, sei er gesünder denn je. Er esse keine Pizza mehr, keine Burger. Er habe mehr Energie, seit sein Magen weniger verdauen müsse. Er gehe öfter ins Fitnessstudio und fühle sich wacher und leistungsfähiger als je zuvor.

Die einzige größere Änderung an seinem Rezept nahm er im April vor: Nach zwei Monaten Soylent-Diät hatte er bemerkt, dass seine Fürze nicht mehr rochen. Außerdem schmerzten die Gelenke. Der Software-Entwickler fahndete nach dem Fehler. Er fand ihn: Schwefelmangel. Also fügte er zu seiner Tagesdosis zwei Gramm Schwefel hinzu.

Text: jan-stremmel - Fotos: Facebook

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