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Liebe und Verführung

Text: michael1973

Sie freute sich schon auf die Party. Ihr Freund würde sie gleich abholen. Sie gingen öfters auf Partys, meist zusammen mit Freunden. Und dort trafen sie normalerweise auch andere bekannte Gesichter, die in der gleichen Gegend wie sie beide aufgewachsen waren.



Sie hatte sich schon zurechtgemacht, sorgfältig ihre Kleidung ausgewählt, sich zurückhaltend geschminkt und sich vorsichtig mit Parfüm bestäubt. Sie achtete auf ihre äußere Erscheinung sehr genau, wie es viele junge Frauen in ihrem Alter, sie war mittlerweile 25, taten. Sie hatte schon einige Komplimente über ihr Aussehen gehört, und sie hörte sie gern. Ihr Freund Marcel sagte ihr auch des Öfteren, wie gut sie aussah. Groß, aber nicht zu groß, schlank, aber nicht zu schlank, blonde, lange, nur leicht gewellte Haare und schließlich Brüste in der richtigen Größe. Dies meinte zumindest ihr Freund, und er war sicherlich nicht der einzige mit dieser Ansicht, wie sie vermutete. Sie war mit Marcel schon einige Jahre zusammen, so dass sie eigentlich bisher nur von ihm intime Komplimente bekommen hatte. Das hatte ihr bislang auch vollkommen gereicht. Obwohl schon Mitte zwanzig hatte sie ausschließlich mit Marcel geschlafen. Sie flirtete gerne mit anderen jungen Männern. Und diese flirteten gerne mit ihr. Aber mehr hatte sie bis jetzt nicht gewollt. Ihr Freund reichte ihr. Außerdem liebte sie ihn, und er liebte sie. Gut, das Prickeln war nicht mehr da, zumindest nicht im Alltag. Im Urlaub stellte es sich gelegentlich schon noch ein, z.B. nach einem schönen Strandtag mit anschließendem romantischen Essen und ausreichend vielen Kuscheleinheiten. Marcel hatte zum Glück auch etwas für Romantik und Zärtlichkeit übrig. „Ja“, dachte sie, während sie auf ihn wartete „wir passen schon sehr gut zusammen.“



Einmal, sie war mit Freundinnen in den Urlaub gefahren, in die Toskana, wäre sie beinahe fremdgegangen. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, obwohl es schon ein paar Jahre her war. Sie hatte am Abend in einer Bar einen Italiener kennen gelernt, dessen Interesse sofort durch ihre blonden Haare geweckt worden war. Er sprach sie an und versprühte seinen Charme. Da er auch sehr gut aussah, dunkelhaarig, braungebrannt und sportlich, war sie ihm fast erlegen. Als er ihr dann einen eindeutigen Vorschlag gemacht hatte, zögerte sie kurz, dachte aber schließlich an ihren Freund und hatte abgelehnt. Sie hatte es damals nicht bereut. Bereute sie es jetzt? Sie war sich nicht sicher, konnte dem Gedanken aber nicht weiter nachgehen, denn es klingelte an der Tür. Das war sicher Marcel, pünktlich wie immer.



Marcel war zwei Jahre älter als seine Freundin Isabel, mittelgroß, sportlich, schlank, dunkelbraune, kurze Haare. Besonders gefielen ihr seine ausdrucksstarken, blauen Augen, die ihr seine Gefühlszustände immer deutlich zeigten. Manchmal waren seine Augen aber auch ausdruckslos. „Na ja, ein Mann kann ja nicht ständig Gefühle haben“, dachte sie dann manchmal mit einem Augenzwinkern. Er war eher introvertiert, ruhig, meist gelassen. Im Bett zeigte er jedoch großes Temperament. Da musste sie ihn manchmal sogar etwas bremsen. Ansonsten war er nachdenklich, zuverlässig und ihr gegenüber sehr respektvoll. Das war ein großes Plus in ihrer gemeinsamen Beziehung, der respektvolle Umgang miteinander. Sie stritten nur selten, und wenn, beleidigten sie sich nie. Bisher war ein Streit zwischen ihnen noch nie eskaliert.



„Hi meine Süße“, sagte er zu ihr, „bist Du fertig?“ „Ja“, antwortete sie. „Schön, Du siehst zum Anbeißen aus. Da darf ich Dich auf der Party ja nicht aus den Augen lassen“, ergänzte er grinsend und überlegte sich, ob er ihr noch an die Wäsche gehen sollte, ließ es dann aber bleiben, sie wollten schließlich los.



Sie gingen zu Marcels Auto, ein zehn Jahre alter dunkelgrüner Opel Corsa und fuhren die etwa 10 Kilometer zur Party. Sie fand auf dem Gelände eines ehemaligen Ausfluglokals statt, sowohl drinnen, wo die Musik aufgelegt und getanzt wurde, als auch draußen, wo Bierbänke aufgestellt waren, und man sich gut unterhalten konnte. Es war Spätsommer und daher abends noch warm. Als sie dort ankamen, war es kurz nach zehn. Viele Gäste waren schon gekommen, auch einige Freunde von Isabel und Marcel. Sie drehten beide eine Runde, unterhielten sich mit ein paar Freunden, tranken und aßen etwas. Dann trennten sie sich, um sich mit unterschiedlichen Freunden zu unterhalten. Da sie schon mehrere Jahre ein Paar waren, hatten sie nicht mehr das Bedürfnis, während der ganzen Party zusammen zu sein, zu tanzen und zu knutschen. Das war am Anfang ihrer Beziehung anders gewesen.



Marcel unterhielt sich hauptsächlich mit seinen Freunden über belanglose Themen und trank dabei Bier, aber nicht zuviel, schließlich war er mit dem Auto da. Gelegentlich ging er ins Haus, um der Musik zu zuhören, den anderen beim Tanzen zu zuschauen und bei einem passenden Stück auch selbst zu tanzen. Hin und wieder suchte er seine Freundin auf, um zu schauen, was sie machte und wie es ihr ging. Sie unterhielt sich schon des Längeren mit einem Kerl in seinem Alter, den er nicht kannte. Sie schien sich zu amüsieren, denn sie lachte viel bei dem Geplauder. Marcel stellte sich kurz dazu, um den anderen kennen zu lernen und seiner Freundin ins Gedächtnis zu rufen, dass er auch noch da war. Der andere, dessen Namen er nicht richtig verstanden hatte, machte einen freundlichen und sympathischen Eindruck. So ließ Marcel die beiden wieder allein. Er wollte nicht eifersüchtig wirken.



Etwa zwei Stunden nach Mitternacht verließen Marcel und Isabel die Party und fuhren zu ihr. „Wer war das noch mal, mit dem Du dich da unterhalten hast?“, fragte Marcel. „Das war Andreas. Er ging auf die gleiche Schule wie ich, etwa zwei Jahre über mir. Er studiert jetzt Architektur.“ „Ihr habt euch ja recht lange unterhalten.“ „Ja, wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen und uns viel zu erzählen gehabt. Stört Dich das?“ „Eigentlich nicht“, antwortete er, um eine Diskussion zu vermeiden. Er wollte schließlich schnell zu Isabel nach Hause, um mit ihr dann endlich ins Bett zu gehen. Er war richtig heiß auf sie und hoffte, sie auch auf ihn. Zuhause stellte sich dann raus, dass er Glück hatte.



Auf der Heimfahrt hatte Isabel noch an Andreas gedacht. Er gefiel ihr. Er sah gut aus, wirkte intelligent, kannte sich mit Kunst und Architektur aus, und war zu ihr sehr freundlich und liebenswürdig gewesen. Sie hatte leichte Gewissensbisse Marcel gegenüber, da sie sich so lange mit Andreas unterhalten hatte, und sie sich eingestehen musste, dass sie ihn nicht nur sympathisch fand. Daher gab sie ihrem Freund zu Hause gerne nach, als er begann, sie leidenschaftlich zu küssen und sie dann in Richtung Bett steuerte.



Die nächsten Wochen nahmen ihren gewohnten Gang. Dann eines Abends sagte Isabel: „Andreas hat mich für nächsten Freitag auf seine Party eingeladen.“ „Aha“, antwortete Marcel knapp. „Ich möchte da alleine hin.“ „Ok…, warum?“, fragte er nach einer kurzen Pause überrascht. „Du brauchst wohl Freiraum“, antwortete Marcel gleich selbst, was Isabel ganz Recht war. So konnte sie sich irgendwelche Ausreden ersparen. Marcel kam seiner Freundin meistens gerne entgegen, hatte bei dieser Sache dennoch kein gutes Gefühl. Aber er schob es beiseite. Wieso? Diese Frage stellte er sich später nicht nur einmal.



Marcel dachte an den folgenden Tagen nicht mehr an die bevorstehende Party. Es lief gut mit seiner Freundin, das zeigte sich fast jeden Tag. Kein Streit, guter regelmäßiger Sex. Was will man mehr.



An jenem Freitag war er mit Freunden zusammen, also ein ganz normaler Freitagabend. Plötzlich hatte er aber wieder ein komisches Gefühl, das ihn kurz aufhorchen ließ. Dann amüsierte er sich mit seinen Freunden weiter.



Am nächsten Tag wartete er auf einen Anruf von seiner Freundin. Es wäre der normale Ritus der beiden gewesen, dass sie sich im Laufe des Vormittags melden würde, und sie sich dann träfen. Tat sie aber nicht. Also rief er an, erreichte sie aber nicht. Er wartete weiter, las in der Zeitung, schaute Fernsehen. Dann war es Nachmittag. Sie hatte immer noch nicht angerufen. Er probierte es wieder, erreichte sie wieder nicht. Schließlich nahm sie bei seinem dritten oder vierten Versuch den Hörer ab. „Warum hast Du Dich nicht gemeldet? fragte er sie etwas wütend. „Ich war mit Freunden im Kino.“ „Warum hast Du mich nicht gefragt, ob ich mitkommen möchte?“ „Weiß nicht.“ „Was heißt, weiß nicht“, fragte er etwas gereizt, aber vor allem verständnislos „Du fragst mich doch normalerweise bei solchen Gelegenheiten. Warum denn heute nicht?“ „Es kam etwas dazwischen.“ „Ja was denn? Was kam dazwischen?“, fragte Marcel ungeduldig und langsam auch etwas besorgt. „Ja wie soll ich das jetzt sagen? Gestern ist auf der Party etwas passiert. Ah ist das blöd. Andreas…Andreas und ich haben uns geküsst und…“, sagte sie plötzlich aufgeregt. „Puh. Na toll. Was soll denn das?“, entgegnete Marcel verärgert. „ Da lass ich dich alleine auf die Party gehen und dann so was!“ „Ich weiß, das tut mir ja auch leid, aber da ist noch mehr!“ „Habt ihr etwa miteinander geschlafen?“ „Nein das nicht, aber…“, sprach Isabel nervös weiter „aber ich hab mich in Andreas verliebt. Und….“ Das traf Marcel. „Und ich weiß nicht, ob ich Dich noch liebe“. Es ging nicht darum, ob er ihr verzieh. Isabel hatte ihn nicht nicht angerufen aus Angst vor seiner Reaktion. Nein, es war viel schlimmer. Es klang, als wollte sie Schluss machen. „Ok, ich fahre zu Dir, dann reden wir weiter“, sagte er schnell, „bis gleich“ und legte auf.



Er sprang in sein Auto und fuhr los. Er dachte an fast nichts, fühlte sich gelähmt, wie unter Schock stehend.



Isabel wartete zu Hause, „Wie soll ich es ihm beibringen?“ fragte sie sich. „Wie wird er es aufnehmen?“ Sie fühlte sich plötzlich so allein und unsicher. Sie machte sich einen Tee, schaltete die Musik ein. Es klingelte an der Tür. Als sie sie öffnete, stand Marcel mit besorgtem Gesicht vor ihr. Sie gingen hinein. „Hi, wie ist das denn gestern gekommen?“ „Wir haben zusammen getanzt, auch zu einem langsamen Lied. Dann haben wir uns geküsst.“ „Das ist doch nicht so schlimm“, sagte er, obwohl er mittlerweile wusste, dass das nicht der Punkt war. „Aber ich hab mich in Andreas verliebt. Und für Dich, für Dich spür ich jetzt nichts mehr. Ich glaub, ich liebe Dich nicht mehr.“ „Bedeutet Dir denn unsere gemeinsame Zeit gar nichts? Vor kurzem waren wir noch zusammen im Urlaub. Das war doch sehr schön, oder? Wir haben uns immer so gern gehabt.“ „Ja das stimmt natürlich. Aber das wirkt alles so weit weg. Und gestern, das ist noch so frisch“, gab sie zurück. „Jetzt warte doch mal ab. Das ist doch nur ein augenblickliches Gefühl.“ „Es fühlt sich aber so real an.“ „Ja, weil Du noch unter dem Eindruck von gestern stehst. Das vergeht wieder. Du spürst momentan keine Liebe zu mir, aber Du weißt doch, dass Du mich liebst, oder? Wenn man sich streitet, und man ist auf den anderen wütend, dann fühlt man in diesem Augenblick auch nicht die große Liebe. Dennoch stellt man sie und die Beziehung doch nicht gleich in Frage, oder? Du kannst Dich doch nicht nur von Deinen kurzzeitigen, schwankenden Gefühlen leiten lassen“, versuchte er, fast flehentlich, zu erklären und hoffte, dass das bei ihr ankam, was er sagte. „Du hast mit einigem Recht. Aber ganz so ist es nicht. Denn ich fühle mich zu Andreas sehr hingezogen. Das kann ich nicht so ohne weiteres ausblenden. Ich kann nicht mit Dir zusammen sein und die ganze Zeit an ihn denken. Das würdest Du doch auch nicht wollen. Ich brauche zumindest Zeit, um mir über das, was ich möchte, klar zu werden“. Isabel spürte, dass es nicht so einfach war. Ok, dann lass uns eine Pause machen“, sagte er resigniert, „bis Du wieder weißt, was Du willst. “Eine tiefe Traurigkeit überkam ihn. Gleichzeitig fühlte er sich ohnmächtig. Isabels Gewissensbisse wurden größer, als sie in Marcels verzweifeltes Gesicht blickte, seine Augen sah. Aber sie fühlte nicht wirklich etwas für ihn. Der gestrige Abend war noch so präsent. Sie hatte sich mit Andreas so gut amüsiert wie schon lange nicht mehr. Sie hatten gelacht, getanzt. Und jetzt, keine 24 Stunden später, schaute sie in Marcels traurige Augen. Das war zuviel. Sie brauchte eine Pause. „Ok, wenn ich wieder klarer sehe, melde ich mich bei Dir“, antwortete sie. „Na gut“, sagte Marcel. Er konnte nichts weiter tun. „Ciao“, ergänzte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „ich liebe Dich noch immer, trotz des gestrigen Abends. Ich liebe Dich“, sagte er ihr zum Abschied fast flehentlich und verzweifelt. Dann ging er.



Marcel lag in seinem Bett und grübelte. Was war das bloß für ein beschissener Tag gewesen. Erst hatte sie sich nicht gemeldet und dann das. Das Gespräch mit ihr ging ihm noch im Kopf herum. Er hatte versucht zu retten, was noch zu retten war. Viel war das nicht gewesen. Aber immerhin war die Tür noch nicht ganz zu. Sie liebe ihn nicht mehr, hatte sie gesagt. Das kann doch nicht sein nach der langen Zeit, die sie zusammen waren, dachte er sich. Er verstand das nicht. Aber so war es nun einmal. Also hatte er ihr Zeit geben wollen. „Das wird sich schon wieder einrenken“, hoffte er. Hatte er zu schnell aufgegeben? dachte er sich jetzt. Es war alles so unvorbereitet gekommen, so plötzlich. Bei ihr zu Hause war er sich zunehmend ohnmächtig vorgekommen. „So ein verdammter Mist. Und ich hab sie doch so gern. Ich hätte sie nicht alleine auf die Party gehen lassen sollen“, sagte er sich. Aber was wäre denn das für eine Beziehung, seine Freundin nicht aus den Augen lassen zu können. Das wäre auch keine Lösung gewesen. Und wer war eigentlich dieser Andreas, dieses blöde Arschloch, sich einfach an seine Freundin heranzumachen. Diesen Typen würde er am liebsten verprügeln. Aber das würde auf Isabel auch keinen guten Eindruck machen. Und so gingen die Gedanken noch eine Weile weiter. Schließlich beruhigten sie sich langsam, und er schlief ein.



Die folgenden zwei Tage meldete sich Isabel nicht. Marcel versuchte, sich auf seinen Alltag zu konzentrieren. Er wollte Isabel Zeit geben. Aber es fiel ihm verdammt schwer. Er dachte andauernd an sie. Wenn er morgens aufwachte, war das erste, an was er dachte, dass sie ihn nicht mehr liebte und einen anderen hatte. „Reiß dich zusammen“, dachte er sich.



Isabel ging es besser, aber nicht viel. Einerseits war sie sehr verliebt in Andreas, andererseits tat ihr Marcel leid, und sie hatte ihm gegenüber große Gewissensbisse. Er war so ein netter, liebenswürdiger Kerl. Aber die Beziehung war irgendwie langweilig geworden. Und mit Andreas war es so aufregend. Alles war so neu. Andreas war neu. Er war witzig, angehender Architekt, und…und er wollte sie. Das schmeichelte ihr, musste sie sich eingestehen. Marcel war ihr sicher. Aber Andreas…Nein so durfte sie nicht denken. Damit tat sie Marcel unrecht. Das hatte er nicht verdient. Und hatte er Recht mit seiner Meinung, dass das Gefühl der Liebe manchmal nicht spürbar ist, man aber weiß, dass man den anderen trotzdem liebt? Ja, das stimmte schon. Wenn man auf seinen Partner wütend ist, spürt man gerade keine Liebe, weiß aber darum. Aber mit Andreas war es doch anders, oder? Schließlich war sie in ihn verliebt. Damit war ihr Marcel nicht bedeutungslos geworden. Aber reichte das, um die Beziehung mit Marcel fortzuführen und Andreas aufzugeben? Das war nicht nur ein kurzes Abenteuer mit ihm, oder doch? Sie wusste es nicht. Auf jeden Fall würde sich heute Abend wieder mit Andreas treffen. Und sie freute sich darauf.



Nachdem sie sich mehrere Tage nicht bei ihm gemeldet hatte, hielt es Marcel nicht mehr aus. Er musste Isabels Stimme hören. Also rief er bei ihr an. „Hi“, sagte sie, nachdem sie wusste, wer am Telefon war. „Warum hast Du dich nicht gemeldet“, wollte Marcel wissen. „Wir hatten doch ausgemacht, dass Du wieder anrufst.“ „Ich wollte mich erst wieder melden, wenn es etwas Neues gibt. Es hat sich bei mir aber nichts geändert“, musste sie zugeben. Marcel hatte dies schon befürchtet, es schmerzte ihn dennoch sehr. Einerseits ihre vertraute Stimme, die er so vermisst hatte, und dann ihre Aussage. Das war genug und sie beendeten das Gespräch. Er fühlte sich nach dem Telefonat noch schlechter als davor, resigniert und traurig. Isabel hatte seine traurige Stimme am Telefon bemerkt, und diesmal hatte es sie auch berührt. Ihr Schuldgefühle wurden größer.



Es vergingen zwei weitere Wochen. Marcel traf sich öfters als zuvor mit seinen Freunden, um sich abzulenken. Aber das gelang nur unzureichend. Immer noch hatte er am Morgen nach dem Aufwachen die gleichen Gedanken, dass Isabel mit ihm Schluss gemacht und nun einen anderen hatte. War er abends mal alleine zuhause, vermisste er sie besonders. Manchmal fühlte sich der Verlust wie eine Amputation an, als hätte er nicht nur einen anderen Menschen verloren sondern einen Teil von sich selbst. Und was den plötzlichen Verlust an Sex anging, fühlte er sich wie ein Drogensüchtiger auf Entzug. Na ja, vielleicht nicht ganz, dachte er sich.



Isabel hatte zwar weiterhin ihren Spaß mit Andreas, dachte aber öfters an Marcel. Dabei hatte sie vor allem Gewissensbisse. Dadurch, dass die Beziehung zu Andreas nicht mehr ganz so frisch war, das Prickeln in ihrem Bauch schon etwas nachgelassen hatte, bekam Marcel wieder mehr Platz in ihren Gedanken und Gefühlen. Sie erkannte jetzt den Unterschied zwischen ihrer Beziehung zu Andreas und wie es mit Marcel die letzten Jahre war. Mit Andreas war alles neu, das meiste aufregend, das Kribbeln im Bauch bezaubernd, zum ersten Mal Sex mit einem anderen Mann als Marcel. Und der Unterschied, den sie bei beiden im Bett ausmachte, war doch ziemlich groß, und das verblüffte sie. Das hatte sie nicht erwartet. Die Beziehung zu Marcel war nicht mehr aufregend gewesen. Es hatte nur noch wenig Überraschendes gegeben. Jedoch war Marcel ihr so vertraut geworden. Sie hatten viel gemeinsam erlebt, den anderen über mehrere Jahre auf seinem Lebensweg begleitet. Marcel hatte sie immer respektvoll behandelt, hatte ihr oft seine Zuneigung gezeigt, sich bemüht, ein guter Partner zu sein. Würde sich Andreas auch so über Jahre verhalten? Sie wusste es nicht. Auf jeden Fall hatte er sich respektlos gegenüber Marcel verhalten. Aber das war nicht das gleiche. Schließlich kannten sich die beiden nicht. Und Isabel hatte es Andreas wirklich leicht gemacht. Nein dafür konnte sie Andreas nicht kritisieren. Ihre Gewissensbisse gegenüber Marcel wurden jedoch immer größer. Wie musste er leiden. Und sie war daran schuld. Für sie war die Situation viel leichter als für ihn. Wie hätte er sich verhalten, wäre er an ihrer Stelle gewesen? Hätte er sie wegen einer anderen verlassen? Hätte er die Verliebtheit der Vertrautheit vorgezogen? Hätte er sie so leiden lassen? Vermutlich nicht, musste sie sich eingestehen.



Marcel dachte immer noch ständig an Isabel und vermisste sie. Der Liebeskummer ließ einfach nicht nach. Er wollte sie wieder sehen. Er rechnete zwar damit, dass es ihm danach noch schlechter ging, aber das war ihm egal. Er hatte noch ein paar Sachen von ihr zuhause. Dadurch hatte er einen Vorwand, sie zu besuchen und musste nicht zugeben, dass er sie einfach nur sehen wollte, weil er sie so vermisste. Also fuhr er eines Abends wie vereinbart zu ihr. Auf dem Weg dorthin hatte er großes Herzklopfen. Endlich sah er sie nach Wochen wieder. Er sehnte sich so nach ihr. Dabei war es ihm völlig egal, dass sie einen neuen Freund hatte. Er ignorierte diesen Umstand einfach. Er stellte sich den Verlauf des Abends nicht weiter vor, er wollte Isabel einfach nur wieder sehen.



Isabel sah diesem Treffen mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits freute sie sich darauf, Marcel wieder zu sehen. Andererseits wusste sie nicht recht, was sie von dem Treffen erwarten sollte. Würde er um sie kämpfen, würde er ein Drama machen? Andreas hatte sie von der Verabredung nichts gesagt. Sie hatte entschieden, dass ihn das nichts anginge. Auch wollte sie einer eventuellen Meinungsverschiedenheit aus dem Weg gehen.



Es versetzte Marcel einen Stich ins Herz, als er Isabel wieder sah, nachdem sie ihm die Tür geöffnet hatte. „Hi“, sagte er schwach und wie betäubt. „Hi, komm erst mal rein“, antwortete sie, sein trauriges Gesicht betrachtend. Wie glücklich sah er noch vor Wochen aus, wenn sie sich trafen. Und jetzt das. „Wegen mir“, dachte sie sich. „Hier sind Deine Bücher. Und ein paar Klamotten habe ich auch noch gefunden“, sagte er mit schwacher Stimme, nachdem er Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, und sie ins Wohnzimmer gegangen waren. „Danke, wie geht es Dir? Was machst Du so?“ fragte sie ihn. „Es geht so, gehe viel mit meinen Freunden aus. Und Du?“ „Mir geht’s ganz gut. Muss im Studium gerade ziemlich viel lernen. Aber das passt schon.“ „Und Andreas? Wie läuft es mit ihm?“ „Willst Du das wirklich wissen?“ „Nein eigentlich nicht“, gab er zu. Sie hatten sich inzwischen auf die Couch gesetzt. Isabel hatte zuvor Musik angemacht. Die Vertrautheit und Intimität setzte Marcel stark zu. „Möchtest Du ein Bier? Ich hole Dir eins.“ Es war fast wie früher, nur dass sie nicht mehr zusammen waren. Die vertraute Wohnung, die Musik, sie beide sitzend und sich unterhaltend auf der Couch. Das gab Marcel den Rest. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Er fing an zu weinen. Dass Isabel gerade in der Küche war, machte es ihm leichter. „Warum hast Du mich verlassen? Warum? Es war so schön mit Dir? Wie konntest Du mir das antun? Ich halte es nicht mehr aus! Es tut so weh!“ sprudelte es aus ihm heraus. Isabel war mittlerweile zurückgekehrt und sah ihn auf der Couch zusammengekauert und schluchzend. Es brach ihr fast das Herz. Zuerst wusste sie nicht, was sie tun sollte. „Es tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Ich wusste nicht, dass es Dich so treffen würde.“ „Ich halte das nicht mehr aus. Ich denke die ganze Zeit an Dich. Schon in der Früh beim Aufwachen denke ich an Dich. Ich schlafe schlecht. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren.“ Schluchzte er weiter. „Es tut mir ja wirklich leid. Aber was soll ich machen?“ Marcel rang um Fassung: „Komm doch wieder zurück zu mir!“

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