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Ein Facebook voller Essstörungen

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Angestrichen:
„Friends who seem to post a photo of every meal they eat on Instagram or Twitter may not just be annoying, they may have a problem.“  

Wo steht das denn?
In einem Bericht von Tyler Kingkade in der „Huffington Post“. Darin geht es um Dr. Valerie Taylor, die Leiterin der Psychiatrischen Abteilung im Women's College Hospital in Toronto, und ihren Vortrag beim „Canadian Obesity Summit“ in Vancouver mit dem Titel „Food Fetish: Society's Complicated Relationship with Food“. Sie sprach darin über Essstörungen und die Rolle von Essen in unserer Gesellschaft und stellte die These auf, dass das Fotografieren von Essen und das Teilen von Food-Bildern auf Instagram, Facebook, Twitter und Blogs Anzeichen für eine Essstörung sind.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Und was bedeutet das? 
Was soll man über die vielen Pizza-, Nudel- und Tortenbilder sagen, die einem auf Facebook, Instagram und Twitter nebenbei begegnen (die Blogs lassen wir mal außen vor, die surft man ja absichtlich an)? Manchmal nerven sie, manchmal machen sie ein bisschen neidisch. Normalerweise war's das. Es gibt aber auch Situationen, in denen Food-Fotos ein flaues Gefühl hinterlassen. Zum Beispiel, wenn ein Mädchen erst ihre knochig dünn gewordenen Arme und danach einen Burger fotografiert, den sie angeblich gleich isst.  

Die Psychiaterin Valerie Taylor argumentierte in ihrem Vortrag nicht über so viele Ecken. Ihr geht es mehr um die Quantität. Essensfotos in sozialen Medien zu teilen, sei relativ weit verbreitet, sagt die Psychiaterin, viele würden das tun, weil es ihnen Spaß macht; manche würden allerdings alles andere vernachlässigen. Und dann wird es kritisch.  

Wenn wir obsessiv dokumentieren, was wir essen, wenn wir nur noch oder jedes Essen fotografieren und posten, könne das auf eine Essstörung hindeuten, auf eine ungesunde Hauptbeschäftigung mit Essen, sagt Valerie Taylor. Die Psychiaterin beobachtet, dass manche Menschen Mühe haben, Essen nicht als Schlüsselelement in ihrem Leben anzusehen, weil sie nur noch interessiert, „was sie essen, wann sie gegessen haben, wann sie wieder essen werden“. Eine Studie, mit der sie diese These belegen könnte, gibt es nicht. Neben sozialen Medien verweist sie auch auf Tattoos mit Essensmotiven, etwa dem Satz „I love McDonald’s“, diese seien ein ähnliches Warnsignal.  

Über die negativen Auswirkungen von „Food Porn“ wurde bislang wenig diskutiert, von Restaurants, die sich gestört fühlen (oder denen die Fotos, die ihre Gäste schießen, nicht schön genug sind) mal abgesehen. Eine Ausnahme gibt es, die der Huffington-Post-Autor auch in seinem Text aufgreift: Mehmet Oz, der Gesundheitsexperte in der „Oprah Winfrey Show“, sagte in einem Beitrag in seiner eigenen Show „Dr. Oz“, dass „Food Porn“ die Menschen dick mache. Wie Pornografie mache Food Porn Lust auf mehr, weil es einem erlaube, nach dem „Orgasmus des perfekten Bissens“ zu gieren. Lauter als Mehmet Oz waren damals die Gegenstimmen. In der Huffington Post wurde die Argumentation, dass Food Porn dick macht, verglichen mit der Annahme, dass ein normaler Porno sexsüchtig macht.  

Taylors allgemein gehaltener, auf Quantität angelegter These dürfte es ähnlich ergehen. Natürlich ist es ein Anzeichen für eine Störung, wenn sich jemand nur noch mit Essen beschäftigt. Das gilt aber für alles, für Sex ebenso wie für Alkoholkonsum und Computerspielen. Das Fotografieren treibt die Sucht nicht voran, sie macht sie nur für andere sichtbar. Außerdem gibt es auch andere Gründe, aus denen man sich viel mit Essen beschäftigt und das auf Facebook und Instagram mit Freunden und Followern teilt, zum Beispiel weil man Food-Blogger, Food-Journalist, Cafébesitzer, Hobbykoch und -bäcker ist. Im Text wird Gail Simmons vom Magazin „Food & Wine“ zitiert: Food-Fotografie sei nichts neues, sagt sie, ihr Arbeitgeber mache das schon seit Jahrzehnten.
Darum beginnt das Problem auch nicht beim Essenfotografieren, sondern woanders. Wer Essen teilt, will sympathisch wirken, wie ein Genussmensch. Und manchmal will er von anderen Dingen ablenken.

Text: kathrin-hollmer - Collage: marie-claire-nun

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