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Schau mir in die Augen, Kleines!

Text: Hilde_Kisten

BVG Geschichten III



http://youtube.com/watch?v=2fhpLbngUPI



Wer kennt das nicht?



Dieser Moment, das Fühl in der U- Bahn, wenn man sich seinen ureigenen Ängsten stellen muss, weil man jemandem direkt in die Augen geschaut hat! Wie nackt steht man da, wenn man seinen Blick hat schweifen lassen, an einem wach schauenden Augenpaar hängengeblieben ist, weil man seine Scheuklappen für einen kurzen und gefährlichen Augenblick fallengelassen hat.
Jede Sekunde, in der man nicht gleich desinteressiert seinen Kopf in eine andere Richtung lenkt, könnte zu viel und bedenklich sein.



Was zum Teufel ist los in dieser Stadt?



In keiner anderen Stadt der Welt sind die Leute in den Verkehrsmitteln so sehr damit beschäftigt wegzugucken, wie in Berlin.
Ich würde ja eh behaupten, dass ist so ein Großstadtphänomen, aber egal ob ich in Hamburg, London, Paris oder Rom war – überall sind mir die Meisten als freundlich gestimmt in Erinnerung geblieben und ich hatte das Gefühl, sie müssen sich nicht einmal bemühen, dich in aller Herrgottsfrühe, auf dem Weg zur Arbeit anzulächeln.
Bei uns stattdessen, wird man schon mal schräg beäugt, wenn man jemandem überhaupt länger als fünf Sekunden direkt in die Augen schaut. Peinliche Schamesröte steigt einem ins Gesicht, wenn man doch mal den Fehler begangen hat und ab da ist die Situation eigentlich nur noch mit sofortigem Aussteigen zu retten oder aber man liest fortan höchst interessiert die Berliner Fenster News, die nur den hinterletzten Trottel fesseln können.  Mist, das ist auch keine sinnvolle Alternative, zum Glück gibts noch Smartphones, aber trotzdem ist man nach so einem Blickwechselfauxpas schon schwer damit beschäftigt, nicht aus Versehen den Blick zurück zu dem Augenpaar schweifen zu lassen, bei dem man ja fataler Weise schonmal hängengeblieben war.



Die meisten Leute, die mir in der BVG begegnen, interessieren mich zwar nicht die Bohne, aber aus reiner Höflichkeit und Menschlichkeit, wäre es doch kein Beinbruch, zur Abwechslung auch mal freundlich in die Runde zu lächeln…



Aber irgendwie ist das mindestens genauso schwer, wie der Kassiererin beim Einkauf noch einen schönen Tag zu wünschen oder dem dritten bettelnden Obdachlosen, der seine Motz loswerden will, wenigstens in die Augen zu blicken und nicht nur beschämt auf seine Füße zu schauen.



Blickkontakt zu vermeiden ist sowas wie ein ungeschriebenes Gesetz in dieser Stadt!



Aber wie so üblich: Wunder, die dich eines Besseren belehren, geschehen immer wieder.
Letztens ist mir am Sonntagmorgen, auf den Weg zur Arbeit, was Erstaunliches passiert: Am Kotti stieg einer zu, der sichtlich vom Feiern kam und der mich nach einer Station angesprochen hat. Ob es mir gutgehe, wollte er wissen, ich sähe so fertig aus.
Ha! Guter Witz! Da bin ich einmal ausgeschlafen, fühle mich halbwegs wach und der fragt mich ernsthaft, ob es mir gutgehen würde! Hat der sich in den letzten Stunden mal im Spiegel betrachtet?
Irgendwas in mir hat sich dagegen gesträubt, überhaupt mit ihm zu reden, aber ich habe es einfach getan und ehe ich mich versah, waren wir mitten drin im smalltalk. Er käme aus New York meinte er und sowas wie gerade mit mir, sei ihm in Berlin noch nie passiert. Ich habe auch gleich vehement erwidert: I never talk to strangers! und dachte noch im selben Moment – boah, wie schade eigentlich! Als ich Weinmeister aussteigen musste, haben wir gleich erstmal Nummern ausgetauscht, uns herzlich umarmt und uns geschworen, uns mal auf einen Kaffee zu treffen.



Nach diesem kurzen Intermezzo bin ich sowas von glücklich und gut gelaunt zur Arbeit gelaufen, wie schon lange nicht mehr. War das eine herzliche Begegnung! Und überhaupt: wie nett von ihm, mich nach meinem Wohlergehen zu befragen und mich nicht einfach – wie ich und jeder andere Fahrgast es getan hätte – zu ignorieren. Hach!



Natürlich hat der Typ sich nie mehr gemeldet, weil das eine oberflächliche Begegnung war und es erfahrungsgemäß in englischsprachigen Ländern einfach eher üblich ist, Leute nach ihrem Wohlbefinden zu fragen, obwohl man nicht wirklich daran interessiert ist. Aber so ein Minimum an Freundlichkeit und Höflichkeit im Umgang mit den Mitmenschen gibt gehörig viele Punkte auf dem Karmakonto und beschwingt irgendwie schon.



Aber immerhin – dafür liebe ich die Menschen in dieser Stadt – wenn man sich hier dann einmal überwunden hat,
dann kann schon mal sowas passieren:



http://youtube.com/watch?v=EeauvE1M7qc



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http://imbildemithilde.wordpress.com/2013/05/06/schau-mir-in-die-augen-kleines/

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