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Wir Unselbständigen

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Ab und zu geschehen auf meinem Konto erfreuliche Dinge. Mal sind es neun Euro, mal 46, manchmal auch ein bisschen mehr. Unter diesen Gutschriften steht in meiner Online-Banking-Übersichtsseite „Zinsen / Dividende“, dazu eine Kennziffer, die mir nichts sagt und Buchstabenkombinationen, die mir manchmal etwas sagen, manchmal aber auch total fremd sind.  

Es ist nämlich so: Ich besitze Aktien. Ich weiß aber weder, wie viele, welche genau oder wie sie sich in den vergangenen drei Monaten entwickelt haben.  

Die Aktien gehören zwar mir und die Gewinne oder Verluste, die sie abwerfen, landen auf meinem Konto. Verwaltet werden sie von meinem Vater. Er hat Wirtschaft studiert, jahrzehntelang beruflich damit zu tun gehabt. Er liest den Wirtschaftsteil, checkt Aktienwerte im Netz, er hat Spaß an der Beschäftigung mit der Börse und kennt sich mit den Kursen dort tausendmal besser aus als ich. Deshalb habe ich noch nie bei meiner Bank angerufen, um irgendeinen Fonds zu kaufen oder zu verkaufen. Ich weiß noch nicht mal, ob dieser Ausdruck wirklich so stimmt: einen Fonds kaufen.  

Mamas Nummer hat einen festen Platz im Kontaktspeicher des Telefons. Denn auch mit Mitte oder Ende 20 holt man sich ständig Rat.

Ich bin 31 Jahre alt und würde mich durchaus als erwachsen bezeichnen. Aber es gibt Bereiche, in denen ich so selbstständig bin wie ein Küken, das im Nest sitzt und schreiend den Schnabel nach oben reckt. Und ich bin bei Weitem nicht der einzige, dem es so geht. Viele meiner Bekannten zwischen 20 und 35 verlassen sich in manchen Dingen des Erwachsenenlebens noch auf ihre Eltern und nehmen bereitwillig ihre Hilfe in Anspruch, obwohl sie längst alt genug wären, diese Dinge selbst zu erledigen.  

Erstens ist es schlicht und einfach bequemer, einen Knopf nicht selbst anzunähen, sondern jemand anderen das erledigen zu lassen. Zweitens ist das Resultat oft besser, wenn die Eltern die Dinge in die Hand nehmen. Sie haben Erfahrung und können manches einfach besser. Ganz pragmatisch gesehen muss man also fragen: Warum was ändern? Never change a winning team und so. Ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht so regelmäßig so nette Beträge auf meinem Konto eintrudeln würden, wenn ich mich selbst um mein Aktiendepot kümmern müsste.  

Aber: Irgendwann werde ich es tun müssen. Irgendwann wird mein Vater nicht mehr können, nicht mehr wollen oder gar nicht mehr da sein. Dann werde ich plötzlich da stehen und mich selbst mit all dem befassen müssen. Mehr noch: Ich werde mich auch um seine Aktien kümmern müssen, und überhaupt um alles, was er hinterlassen wird. Das ist selbstverständlich. Aber es macht mir auch ziemliche Angst.  

Ich werde dann von Null auf Hundert beschleunigen und ziemlich vieles neu lernen müssen. Ich bin mir bewusst, dass das nicht der optimale Weg ist. Kein Lernprozess geht vonstatten, ohne dass man irgendwann mal auf die Schnauze fliegt. Deshalb wäre es eigentlich klug, sich in diesem Prozess begleiten zu lassen. Wenn man mit fünf Jahren das Radfahren lernt, lässt man es sich ja auch von den Eltern zeigen, und es ergibt durchaus Sinn, dass man die erste Radtour nicht alleine unternimmt, sondern mit Mama und Papa, die einen rechtzeitig warnen, wenn man auf die große Kreuzung zurast.  

Die meisten Eltern lieben ihre Kinder so sehr, dass sie sich für sie aufopfern und ihnen immer helfen. Sie haben auch noch ein Ohr und einen Rat für uns, wenn wir das Teenageralter längst hinter uns haben und seit Jahren nicht mehr unter ihrem Dach wohnen. Damit wir uns dafür bedanken können, gibt es Mutter- und Vatertag. Beide Tage sind aber auch gute Gelegenheiten, mal über uns selbst nachzudenken und über die Dinge, die wir langsam aber sicher vielleicht lieber mal selbst in die Hand nehmen sollten.  

Wir haben in der jetzt.de-Redaktion mal damit angefangen...    


Liebe Mütter, obwohl wir eigentlich zu alt dafür sind, brauchen wir euch noch immer...    

... bei sämtlichen Wehwehchen und Krankheiten als Medikations- und Hausmittelberaterin („Nimm eine Paracetamol!“, „Mach Teebaumöl drauf!“) und als pragmatische Trösterin („Das ist nicht so wild, morgen ist’s wieder weg!“).

... als Finanzamts- und Versicherungsberaterin.

... als Rezeptefundgrube für Eintöpfe und Kuchen.

... als Beraterin für Haushaltsgeräte (Staubsauger, Bügeleisen).

..., wenn wir wissen wollen, wo unser Impfpass liegt.

..., wenn wir wissen wollen, wogegen wir überhaupt geimpft sein sollten.

..., um eine Bügelfalte in eine Anzughose zu bekommen.

... um aufgerissene Nähte von Hosen zu nähen

... um Löcher in Pullis stopfen

... zum Vorhänge bügeln

... um eine Bluse nicht nur so okay glatt zu bügeln, sondern sie perfekt glatt zu bügeln.

... zum Gulasch kochen 

... um einen misslungenen Nudel-, Kuchen- oder Plätzchenteig zu retten.

..., wenn wir mal wieder wissen wollen, wie viele Esslöffel 100 Gramm Mehl sind.

... wenn wir nähen müssen. Wie fädelt man mit der Nähmaschine noch mal ein?

..., um das mit dem Blumengießen auf die Reihe zu kriegen. Wie oft braucht noch mal die Orchidee Wasser? Überhaupt: Zur Blumen- und Küchenkräuter-Pflege.

... zum Dirndl kaufen.

..., wenn wir Geld in Küchenzubehör investieren.      


Liebe Väter, obwohl wir eigentlich zu alt dafür sind, brauchen wir euch noch immer...    

... als Wächter über unser Aktiendepot.

... wenn wir eine Bohrmaschine leihen müssen.

... wenn wir die richtigen Dübel im Baumarkt suchen.

... Generell: bei der Planung von Baumarkt-Besuchen.

... als Arschtrittgeber, damit wir uns um unsere Altersvorsorge kümmern.

... um einem Zahnarzt klar zu machen, dass er übertrieben viele Posten zu übertriebenenen Sätzen in Rechnung gestellt hat.

..., wenn wir einen verstopften Abfluss entstopfen müssen.

... als Fahrer unseres Umzugswagens oder des Autos mit dem Anhänger

... fürs Schrank abbauen.

... um unsere Steuererklärung zu machen

... um neue technische Geräte auszusuchen (Laptops, Smartphones, Drucker)

... wenn wir Geld in Fahrradzubehör investieren.

... beim Schafkopfen. Auch wenn die Mitspieler es gar nicht gerne sehen, dass wir euch mit fragendem Blick ansehen und ihr andeutet, was als nächstes zu tun ist.

... um das Paletten-Regal aus der Wohnzeitschrift nachzubauen.

... um die perfekte Forelle zu grillen.


Text: christian-helten - Foto: zettberlin / photocase.com

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