Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Gegen den Bilderfriedhof

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Das Wochenende in den Bergen: 138 Fotos. Der zweiwöchige Urlaub in Marokko: 682 Fotos. Rumalbern in der WG-Küche: 68 Fotos. Das Leben produziert Fotos am Fließband. Wir knipsen und knipsen, die Digitalkameras sind immer im Anschlag, ein Daumenwischen auf dem Smartphone genügt, schon ist der Moment gebannt für ... – ja, für was eigentlich? Für die Ewigkeit? Für die Gäste eines Fotoabends? Für ein Album als Geschenk zum Geburtstag? Oder vielleicht doch nur für die Festplatte?  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Auf dem Bildschirm laufen die Fotos, mit dem iPad als Fernbedienung kann man verschiedene Einstellungen ändern. Hauptsache, keine 0815-Diashow.

Es ist doch so: Wir häufen Bilder an, schicken uns gegenseitig nach dem Urlaub Bilder hin und her. Und wir haben fest vor, sie zu sortieren, die schlechten zu löschen, vielleicht sogar ein paar davon zu entwickeln, „demnächst, wenn mal ein bisschen Zeit ist.“ Nur ist halt nie Zeit. Irgendwas gibt es immer zu tun, selbst an einem verregneten Sonntagnachmittag hat etwas anderes Priorität. Und insgeheim wissen wir ja auch, dass ein Nachmittag längst nicht mehr reicht, um sich durch all die Ordner zu wühlen. Also sind unsere Bilder zwar vorhanden, aber trotzdem nicht greifbar. Wir sind zu undiszipliniert, um wirklich etwas von ihnen zu haben. Die Festplatte wird zum Bilderfriedhof.  

Stefan Landrock will deshalb eine Software auf den Markt bringen, die die Bilder, die im Dunkel unserer Ordnerstrukturen auf dem Rechner schlummern, zum Leben erweckt. „Wir brauchen ein Werkzeug, das uns hilft, die Bilderflut wieder kontrollierbar zu machen“, sagt er.

Dieses Werkzeug heißt „Eternal Light“ und ist eine Art Zeitraffer-Generator für Fotos. Man zieht seine Fotos auf dem Rechner in das Programm und kann sie dort wie einen Film chronologisch abspielen, egal ob es sich um 100 oder 10.000 Aufnahmen handelt. Ein iPhone oder iPad fungiert als Fernbedienung, mit der man die Übergänge und die Abspielgeschwindigkeit verändern und auf verschiedene Art und Weise mit Musik synchronisieren kann. Die Fotos aus einem ganzen Jahr können so in wenigen Minuten gezeigt werden. Die Bilder prasseln dann auf den Betrachter ein. Ehe man sie richtig wahrgenommen hat, sind sie längst wieder weg.  

Eine solche Rezeption hat zwar mit dem Betrachten von Bildern im Fotoalbum auf der Wohnzimmer-Couch nicht mehr viel zu tun, und bestimmt ist sie nur ein unvollkommenes Hilfsmittel, um dem eigentlichen Problem, unserer Maßlosigkeit beim Fotografieren, Herr zu werden. Aber wenn wir uns schon nicht am Riemen reißen und weniger knipsen können, und uns auch nicht dazu aufraffen können, unsere Bilder zu sortieren, dann müssen wir uns vielleicht auch von dem Gedanken verabschieden, Fotos so anzuschauen wie zu Zeiten des großen dicken Fotoalbums. Vielleicht muss man diesen Zeiten auch gar nicht nachtrauern. Denn Fotos dienen den meisten von uns ja vor allem dazu, Erinnerungen zu bewahren. Sie sollen Auslöser sein, um die vergangene Momente wieder lebendig werden zu lassen oder Stimmungen wieder heraufzubeschwören. Dazu, so findet Stefan, muss man sie gar nicht unbedingt alle einzeln betrachten und jedem eine halbe Minute Aufmerksamkeit widmen. Ein Aufblitzen genügt, um die Situation wieder lebendig werden zu lassen. „Wenn man die Fotos so extrem verdichtet abspielt, kommt die Essenz des Erlebten auch rüber.“  

http://vimeo.com/63815070

Stefan, der Fotografie und Kommunikationsdesign studiert hat, hatte schon seit fast zehn Jahren den Plan, alle seine fotografischen Erinnerungen in einem Film so schnell wie möglich hintereinander abzuspielen. Mit Eternal Light hat er das immerhin schon für das Jahr 2011 versucht: 37.000 Fotos und Screenshots sind in einem einstündigen Film-Arrangement zusammengeführt. Man sieht dort Urlaubsbilder, die Straßen von Berlin, Party-Fotos, aber auch Screenshots von Stefans Rechner, die geöffnete Fenster von Nachrichtenseiten zeigen, Fukushima, der arabische Frühling, daneben offene Skypefenster während eines Gesprächs mit seiner Freundin. „Ich mache sehr viele Screenshots. So kann ich festhalten, was mich beschäftigt und beeindruckt hat und was los war in der Welt. Wenn ich das mit meinen anderen Fotos zusammenbringe, entsteht insgesamt ein anderer Kontext.“  

Noch ist „Eternal Light“ nicht fertig. Stefan sammelt seit kurzem Geld auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter, um die drei Monate Entwicklungsarbeit bezahlen zu können, die er und sein Vier-Mann-Team noch bis zur Fertigstellung brauchen werden. Drei Monate, in denen sich wieder Tausende von Bildern auf seiner Festplatte sammeln werden.

Text: christian-helten - Fotos: Screenshots eternallight.io

  • teilen
  • schließen