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"Als ich gesiezt wurde, merkte ich: Die Zeiten ändern sich."

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jetzt.de: Für dein neues Album "Götterstrasse" hast du eine beeindruckende Schar an Gästen gewinnen können: Iggy Pop, Kanye West, Inga Humpe...
Westbam: Ja, man könnte vermuten, die Platte würde deshalb nach Kraut und Rüben klingen. Doch dem bisherigen Feedback nach zu urteilen, ist es trotzdem eine stimmige Angelegenheit geworden.

Gab es einen Künstler, der dir am wichtigsten war?
Jeder Act ist aus einem bestimmten Grund auf der Platte. Aber am meisten freue ich mich über das Feature von Iggy Pop. Der ist ein Held meiner frühesten Jugend, eine Ikone. Sein Song "I wanna be your dog" von 1969 ist für mich der beste Rock'n'Roll-Song aller Zeiten.  

War es schwierig, ihn zum Mitmachen zu bewegen?
Überhaupt nicht. Ich habe ihm den Track geschickt, kurze Zeit später ließ er ausrichten, er findet’s geil und ist dabei. Bei den Hip-Hoppern war das viel komplizierter. Aber gut: Die haben heute eine ganz andere Wirkungsmacht und greifen sich im Vorbeilatschen allein in Deutschland mal eben 1,5 Millionen Facebook-Freunde ab. Rapper sind die Weltpoeten unserer Zeit. Da kann man sich schon freuen, wenn ein paar Rap-Krümel vom Tisch runterfallen und bei dir auf dem Plattenteller landen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Um ihn herum sind immer noch alle 20: Westbam alias Maximilian Lenz, 48.

"Götterstrasse" wurde als eine "vielstimmige Ode an die Nacht" angekündigt. Liegt dir die Nacht tatsächlich mehr am Herzen als der Tag?
Nein, nicht mehr. Klar, früher habe ich die Nächte durchgeravet, aber im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass ich eigentlich gar kein Nachtmensch bin. Wenn ich meinem eigenen Bio-Rhythmus folge, gehe ich recht früh ins Bett. Bei Iggy Pop ist es übrigens ähnlich: Wenn der nicht gerade auf Tour ist, geht er nach 22 Uhr gar nicht mehr aus dem Haus.  

Trotzdem liegt offensichtlich eine Faszination in der Nacht.
Natürlich, und diese Faszination habe ich schon als 14-Jähriger gespürt. Denn was in der Nacht passiert, die Leute, die man trifft, die Atmosphäre, die Musik – das gibt es tagsüber nicht. Man muss sich zwar wach halten, aber dafür ist das, was dann passiert, umso besonderer. Und in meinem Fall war das wahnsinnig prägend.  

Mit deinen 48 Jahren gehörst du ja längst nicht mehr zur Jugend. Hast du manchmal das Gefühl, zu weit von deiner Zielgruppe entfernt zu sein?
Die Schere geht jedenfalls immer weiter auseinander, denn das Publikum des Nachtlebens ist immer um die 20. Und das wird sich auch nie ändern. Ich sehe im Nachtleben allerdings nie mich selbst, sondern immer nur die anderen, sprich: Um mich herum sind immer alle gleich alt geblieben. Als es aber irgendwann anfing, dass ich gesiezt wurde, habe ich gemerkt: Die Zeiten ändern sich.    

Eine deiner Platten von 1997 heißt "We’ll never stop living this way". Wann wirst du einsehen müssen, dass dieses "never" endlich ist?
Dieses Statement war bereits damals völlig haltlos; das war trotzig gemeint. Das war ein bewusstes Ignorieren biologischer Grenzen, denen ich zumindest mit meinen Statements die Stirn bieten wollte. Den Spruch habe ich übrigens von einem japanischen Disco-Betreiber übernommen, der damals bereits weit über 50 war. Seine Mutter hatte ihm immer vorgebetet, dass er eines Tages aufhören würde, so zu leben. Aber er meinte bloß: "We’ll never stop living this way."  

http://www.youtube.com/watch?v=eSJgf3_3T74 Die erste Single aus dem neuen Album: "You Need The Drugs“

1984 hast du in einem Frankfurter Avantgarde-Blatt geschrieben, dass die neue elektronische Musik von den DJs erschaffen wird – und damit solltest du Recht behalten.
Ja – obwohl das damals niemand für möglich hielt. Zu der Zeit hätte man eher gedacht, dass Acts wie Fat Gadget oder Depeche Mode die Richtung der elektronischen Musik vorgeben.  

Warst du dir dessen denn sicher oder hast du es dir vor allem gewünscht?
Natürlich habe ich mich da als eine Art Politiker hingestellt und versucht, die Leute von meiner Agenda zu überzeugen. Doch das Potenzial habe ich damals schon gesehen. Interessanterweise sollte ich 1989, also fünf Jahre später, einen Text über die Musik der 80er Jahre für das Magazin „Tempo“ verfassen. In diesem Text habe ich geschrieben, dass die DJ-Kultur den Beginn einer neuen Ära darstellt – und das wollten die partout nicht abdrucken.

Wie stehst du denn zu der Behauptung, Leute wie Paul Kalkbrenner hätten dich entmachtet?
Das empfinde ich nicht so. Das Zusammenmixen von Soundcollagen solcher Leute wie Kalkbrenner, Skrillex oder Paul van Dyk ist eine konsequente Weiterentwicklung des Urknalls der 80er Jahre. Insofern sehe ich das weniger als einen Akt der Entmachtung, sondern als gesunde Weiterführung einer Tradition, die als Post-Disco in den 80er Jahren seinen Anfang nahm.  

Über deine Anfänge hast du mal gesagt, „die Energie, die Subkultur, das Hardcore-Ding, das Martialische – das war krass.“ Wie viel ist in deinen Augen heute noch davon übrig?
Eigentlich ist erstaunlich wenig davon verloren gegangen. Viele sagen ja, früher war es Underground, heute sei es Mainstream. Aber die Wahrheit ist, dass sich sowohl Sub- als auch Popkultur weiterentwickelt haben. Wenn die älteren Leute heute voller Nostalgie behaupten, dass es heute keine Underground-Clubs mehr gibt, dann ist das falsch. Die älteren Leute bekommen davon bloß nichts mehr mit.  

Wo ordnest du denn einen Club wie das Berghain ein? Ist das noch ein Ort der Sub- oder schon der Popkultur?
Der Laden steht in jedem Fremdenführer drin – Merkmale eines subkulturellen Phänomens sehen wohl anders aus. Trotzdem ist das Berghain sicherlich näher dran als irgendein anderes Großdisco-Schiff. Das Schöne an Berlin ist aber: Es gibt immer alles. Auch heute noch kannst du über irgendwelche rostigen Leitern in einen feuchten Keller gelangen, in dem obskure 150 Leute zu der abgefahrensten Musik rumspasten. Es gibt immer ein paar durchgeknallte Kids, die sich irgendwo ein schmutziges Kellerloch suchen, in dem dann genau der gleiche Scheiß abgeht wie damals. Und das ist toll.  

Registrierst du noch bahnbrechende Neuerungen in der elektronischen Tanzmusik?
Sagen wir so: Elektronische Tanzmusik ist letztlich immer dasselbe. Als die ersten Menschen damals im Takt auf einen hohlen Baum gehauen haben und dazu rumgesprungen sind, war das letztlich nichts anderes als es das heute ist. Aber es gibt eben immer eine Generation, die diese Faszination neu für sich entdeckt. Was mich nach wie vor flasht, ist daher gar nicht so sehr der innovative Moment der Musik, sondern die unaufhörliche Euphorie.  

Wenn eine Subkultur plötzlich groß wird, gibt es immer auch Leute, die diese Subkultur gerne für sich behalten wollen, weil sie Angst haben, dass alles an den Mainstream verloren geht. Hast du diese Ängste auch gehabt?
Eigentlich nicht. Ich fand es immer toll, wenn etwas aus unserer Ecke die Populärkultur beeinflusst hat – solange es nicht total berechnend daherkam. Als damals Rave aufkam, war das ein Moment der totalen Irritation für die gesamte Popkultur: Die Sänger hatten plötzlich Angst, sie müssten jetzt alle wie Mickey Maus klingen und die Konzertveranstalter haben befürchtet, Raves würden ihnen ihre Geschäftsgrundlage rauben. Wir haben anarchistische Irritationsmomente in die Popkultur getragen und einem ganzen Jahrzehnt damit unseren Stempel aufgedrückt.  

Du hast mal erzählt, die erste Ecstasy-Pille wäre dir bereits 1982 angeboten worden. Wie wichtig waren Drogen für die Entwicklung der Techno-Szene?
Da ein Großteil der Wurzeln von Techno in Detroit liegen und dort alles recht drogenfrei ablief, haben Drogen für die Entwicklung der Soundästhetik in meinen Augen keine große Rolle gespielt. Für das Publikum und den Vibe mag das anders gewesen sein. In Deutschland hatte der Fall der Mauer aber einen sehr viel größeren Einfluss auf die Szene als Ecstasy. Der Mauerfall und das damit einhergehende Gefühl der Befreiung und des Aufbruchs hat Techno in den 90er Jahren vorangetrieben.  

Stimmt es eigentlich, dass du besagte erste Pille von 1982 abgelehnt hast?
Ja. Das hat mich auch gereizt, aber die sollte damals 60 DM kosten – das war mir als westfälischem Pfennigfuchser viel zu teuer.  

Das Album "Götterstrasse" von Westbam erscheint am Freitag über Universal.

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