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Mädchen, warum setzt ihr euch immer auf den Beifahrersitz?

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Die folgende Beobachtung entnehme ich jahrelangen Feldversuchen in meinem Bekanntenkreis und meiner Familie: Nähern sich ein Mann und eine Frau gemeinsam einem Auto, zieht es die Frau zuverlässig auf die immer gleiche Seite des Fahrzeugs, als wäre der Wagen ein Stabmagnet und die Frau einer dieser Eisenspäne aus dem Physikunterricht. Ich schwöre Stein und Bein, dass in mindestens drei von vier Fällen die Frau sich unaufgefordert auf den Beifahrersitz fallen lässt und der Mann fährt. Warum ist das so?

Auf ein paar Erklärungsmodelle bin ich mit ein wenig Denkaufwand selbst gekommen: Vielleicht sind wir Jungs statistisch gesehen häufiger Fahrzeughalter als ihr Mädchen. Ihr müsstet also, um selbst zu fahren, dem Jungen ständig seinen eigenen Zündschlüssel abschwatzen, und dazu fehlt es euch vielleicht an Ehrgeiz. Womöglich ist es auch eure generelle Gleichgültigkeit gegenüber den meisten Dingen, die mit Verbrennungsmotoren und Pferdestärken zu tun haben, schließlich sichtet man ja auch Autozeitschriften fast nie außerhalb von Männer-WGs.

Aber irgendwas sagt mir, dass diese Vermutung einen Zacken zu nah am Klischee liegt, um des Rätsels ganze Lösung zu sein. Habt ihr vielleicht Angst, in unserer Gegenwart etwas falsch zu machen? Sind wir so unausstehliche Beifahrer, dass ihr sagt: Dann fahr halt gleich du? Warum bloß, liebe Mädchen, wollt ihr nicht selbst fahren?

Auf der nächsten Seite liest du die Mädchenantwort von mercedes-lauenstein.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Gedanken ans Autofahren machen mich immer furchtbar müde. Ich interessiere mich etwa so sehr für Autos wie für Kleintierzubehör - und mit dieser Haltung passe ich natürlich wunderbar in die Zielgruppe deiner Frage. Ja, ich bin tendenziell eher ein Beifahrermädchen, eine Automimose. Trotzdem muss ich vorweg mal eben im Namen der Autofahrerinnen dieser Welt das weibliche Fahrertum verteidigen. Immerhin sprichst du hier mit einem Mädchen, das in der Provinz aufgewachsen ist. In der Provinz kann man ohne Auto sein komplettes Sozialleben knicken, weiß ja jeder. Ich kenne also eine Menge cooler Automädchen, die ich so unfassbar oft Auto fahrend gesehen habe, dass sie gleich autofahrend in meiner Erinnerung haften geblieben sind: Aus ihren Vehikeln winkend wie Handpuppen aus der Sesamstraße, die wegen fehlendem Komplettkörper immerzu irgendwo drin sitzen müssen. Viele dieser Mädchen haben ihre Autos nach dem Abschluss mit in die Stadt genommen und ich weiß, dass bis heute nicht sie, sondern ihre überurbanen Jungs auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.

Ich glaube deshalb nicht, dass so besonders viel Geschlechtskram hinter dem Beifahrersitzmechanismus steckt. Ich denke vielmehr, das Fahrverhalten folgt, du hattest es ja auch schon angedeutet, der ungeschriebenen Gleichung: Fahrer=Vehikelbesitzer. Wenn ich mit meiner kleinen Schwester auf ihrem Motorroller zum See fahre, setze schließlich ich mir den Zweithelm auf und schwinge mich auf die Hinterkante des Sitzes, nicht etwa andersherum. Wenn meine Stiefmutter und mein Vater im Auto meiner Stiefmutter irgendwo angefahren kommen, sitzt sie am Steuer. Fahren sie in seinem Auto, fährt er. Kann man eigentlich seinen Hintern drauf verwetten. Es kann natürlich trotzdem sein, dass zahlenmäßig mehr Männer als Frauen ein Auto besitzen auf dieser Welt. Da müsste man jetzt Statistiken heranziehen, die ich gerade nicht vorliegen habe. Um den Rahmen nicht zu sprengen, kann ich dir nur erklären, warum ich zum Beispiel froh bin, kein Auto zu besitzen. Ich habe zwar mit 18 meinen Führerschein gemacht und würde mir sogar andichten, ganz solide fahren zu können. So weit aber, dass ich Lust hatte, mein Geld in eine Karre und unzählige Reparaturen zu stecken, ging es mit mir und der Autofahrerei nie.

Meine Abneigung der gesamten Automechanik und Autoelektronik gegenüber ist etwa dieselbe wie meine Angst davor in ein schmuddeliges Hafenbecken zu fallen und dort mit rostigen Schiffsschrauben und altem Metallmüll zu kollidieren. Mir ist das zu bedrohlich und unübersichtlich. In Autos ist viel zu viel drin, dieses ganz rußige Gekabel in der Motorhaube, diese ganzen aneinanderschweißten Blechbehälter, der Auspuff, das rostige Geklüngel. Mir ist das alles zu röhrend, das Potential des Motors ist mir nicht geheuer und der stickige Hitzewall, der mir entgegenkommt, wenn ich die Motorhaube öffne, gibt mir den Rest. Ach, und dann wäre da noch meine beknackte Angst vor explosiven Stoffen. Es wird jetzt leicht bescheuert, aber da musst du durch: Ja, ich hasse es, tanken zu gehen. Auch wenn ich noch nie, nicht einmal bei James Bond, gesehen habe, dass ein Auto beim Tanken explodiert, habe ich eine fürchterliche Angst vor diesem Szenario. Deshalb – und ich weiß, es ist eine furchtbar egoistische und scheinheilige Haltung – bin ich froh, wenn die anderen ein Auto haben und ich es lediglich ab und zu benutzen, beziehungsweise einsteigen darf.

Wenn mein Freund und ich in seinem Auto irgendwohin fahren, fährt also grundsätzlich er. Weil es sein Auto ist und weil es mir egal ist. Nur manchmal habe ich akut Lust zu fahren. Dann sage ich das: Heute will ich fahren! Aber eigentlich komme ich mir dabei auch immer ein bisschen kindisch vor, wie früher, als man es furchtbar cool fand, vorne zu sitzen und dann unter den Geschwistern extra angemeldet hat: Heute sitze ich aber vorn! Schon allein deshalb finde ich es heute die erwachsenere Geste, einfach einzusteigen, zack, Tür zu, los geht's, nicht lang drumherum reden.

Zu deiner Frage, ob wir uns vielleicht auch ein bisschen vor dem Fahren drücken, weil wir Angst haben, etwas falsch zu machen oder keinen Bock auf dumme Kommentare eurerseits haben – was mich betrifft: Nö. Mein Gott, ich fahre eben selten, wenn ich dann mal den falschen Gang reinhaue, kann ich das mit ironischer Distanz betrachten und schäme mich nicht gleich in Grund und Boden. Angst vor Streit habe ich auch nicht. Was mich vom vielen Fahren abhält, ist eine ganz andere Angst, eben diese diffuse Angst vor der undurchsichtigen Maschine unter meinem Hintern. Vor ihrer Geschwindigkeit und vor der völligen Willkür ihrer Richtung, vor Geisterfahrergrusel und Wildwechsel, vor Todesfällen, die sich bereits im eigenen Umfeld ereignet haben – und, naja, vor Explosionen. Was weiß denn ich, was da alles passiert im Inneren dieser Kiste? Ständig blinkt irgendwo etwas, hilfe, hilfe der Katalysator, halt mal an! Und dann sehen diese Zeichen auch immer noch gleich aus wie Organe, selbst die Öllampe. Ich kriege dann so Not-OP-Gefühle und sehe Kabel durchbrennen und in den Benzinkanister fallen und zack, schon sehe ich die Zeitungsschlagzeile vor meinen Augen: Mädchen, 25, bei Autoexplosion gestorben, Ursache noch ungeklärt.

Ab und zu fahre ich mit dem Auto meines Freundes in meinen Heimatort, 1000 Kilometer sind das, und wenn ich dann so stundenlang mit 150 auf der A7 allein vor mich hin sause, ist mir das in wacheren Momenten, in denen ich nicht in landschaftsträger Fahrroutine versunken bin, ziemlich ungeheuerlich. Ich greife dann fester ans Lenkrad und denke: Was machst du denn hier, du Stümperine? Kannst du das überhaupt? Das sind doch Geschwindigkeiten, die du gar nicht überblicken kannst, da muss doch nur der da vorn im Frankenbrunnen-Laster einmal niesen und das war's. Oder was, wenn ich eine nervöse Zuckung kriege und das Lenkrad rumreiße? Schon eine bescheuert lebensmüde Unternehmung, dieses Autofahren. Aber gut, welche Unternehmung ist das nicht?

Jedenfalls, was soll ich sagen: Mir sind Autos auf die Dauer einfach zu anstrengend. Soll sie doch jemand anders fahren. Soll doch jemand anders machen, dass sie nicht explodieren. Ich guck lieber aus dem Fenster.

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