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"Höflichkeit ist bloß bequem"

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Prinz Pi, 33, heißt eigentlich Friedrich Kautz und kommt aus Berlin. Er gehört zu den sehr wenigen deutschen Rappern, die es schaffen,Themen mit gesellschaftlicher Relevanz und emotionaler Tiefe auf ehrliche und unpeinliche Art miteinander zu verknüpfen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Gleich mehrere Tracks auf deinem neuen Album setzen sich mit der Jugendzeit auseinander. Warum?
Prinz Pi: Ich bin vor dreieinhalb Jahren Vater geworden und habe dadurch das erste Mal gemerkt, wie es sich anfühlt, erwachsen zu sein. Das ist nicht zu vergleichen mit den kleinen Meilensteinen im Leben – das erste Mal klauen, küssen oder Sex.

Interessanterweise finden die kleinen Schritte wie das erste Mal Sex heute viel früher statt, während die großen Dinge, Heiraten oder Kinderkriegen, immer weiter hinausgezögert werden.
Absolut. Davon handelt auch das Stück „Fähnchen im Wind“ – von dem Gefühl des Wartens darauf, dass endlich das vermeintlich richtige Leben anfängt und diese jugendliche Zwischenwelt endet. Sieh dir die Leute in der Großstadt doch mal an: Statt eine Familie zu gründen, probieren die lieber alle möglichen Drogen aus, sind sexuell vollkommen wahllos unterwegs und hängen bis mittags in irgendwelchen Clubs ab – und zwar bis Ende 30.

In dem Song „Fähnchen im Wind“ beschreibst du die Welt aus der Sicht eines Teenagers, der sein Leben noch vor sich hat. Wünschst du dich manchmal in die Zeit zurück?
Ein paar Irrwege hätte ich mir schenken können, aber eigentlich bin ich ganz zufrieden. Ich bin nicht mehr abhängig von meinen Eltern und kann mich in meiner Musik verwirklichen – dafür bin ich wahnsinnig dankbar. Das setzt mich aber wiederum in eine Position, die ein wenig abseits der Normalität ist, und das versuche ich mit etwas Abstand zu beobachten.

Als Rapper bist du ohnehin Berufsjugendlicher.
Diese Berufsjugendlichkeit zieht aber auch in anderen Branchen immer weitere Kreise. Das Thema der ewigen Jugend ist eines der wichtigsten unserer Zeit. Wir müssen alle ins Fitnessstudio gehen, bis wir wieder so aussehen wie Anfang 20 und mit Kosmetika unsere Babyhaut erhalten.

http://www.youtube.com/watch?v=LyeIlNdUtbc
Die aktuelle Single "100X"

Graut dir schon ein wenig vor dem Moment, in dem deine Tochter ins Teenageralter kommt?
Ich würde sagen: Ich bin sehr gespannt. Für mich war die Pubertät ein einziger Kampf mit meinen Eltern, die sehr restriktiv waren und mir viel verboten haben. Ich hab mir natürlich vorgenommen, vieles anders zu machen und bin gespannt, ob mir das gelingt. Nehmen wir nur mal das Beispiel Musik: Für meinen Vater war die Musik, die ich gehört habe, einfach nur Krach, so wie die Musik, die er früher gehört hat, vermutlich auch für seinen Vater einfach nur Krach war. Mein Vater hätte bei mir die Chance gehabt, etwas anders zu machen, aber das hat er nicht. Ich spiele meiner Tochter heute schon alles Mögliche vor: Klassik, Metal, Rock, Rap. Aber auch das kann zu Problemen führen.

Zu welchen?
Weil ich mich für einen relativ aufgeschlossenen Vater halte, hab ich nun die Angst, dass meine Tochter deshalb gar nichts mehr ausprobieren will. Am Ende rebelliert sie, indem sie hochgeschlossene Kleidung trägt und streng religiös wird. Damit hätte ich auf jeden Fall größere Schwierigkeiten, als wenn ich wüsste, dass sie kifft.

Letztlich kannst du eh nur tun, was du für richtig hältst – was dabei herauskommt, ist zu einem guten Teil Glück.
Stimmt. Interessant ist aber auch, wie sich die Eltern mit der Geburt ihres Kindes verändern. Viele hören plötzlich auf, Menschen mit eigenen Interessen zu sein. Diese Elterngruppen in der Kita sind wie Sekten, in denen nur noch über Kindersitze, Kindernahrung und Kindereinschlafhilfen gesprochen wird. Wenn du gegen irgendwelche Konventionen verstößt und nicht mitmachst, giltst du sofort als potenzieller Kindermörder, der billigend die Schädigung seiner Tochter in Kauf nimmt, bloß weil er nicht den allerneuesten Maxi-Cosi kauft, der bei Stiftung Warentest mit der Bestnote abgeschnitten hat.

Im Stück „Schwarze Wolke“ sprichst du über manische Depression. Hast du selbst damit zu kämpfen?
Ja, das liegt bei uns in der Familie, in der sich auch schon einige Leute das Leben genommen haben. Das Bild der schwarzen Wolke stammt übrigens aus dem Videospiel Mario Kart, das ich früher gern gespielt habe. Wenn man da mit dem Auto über einen Stern fährt, erscheint eine Wolke, dann ein Blitz, man wird ganz klein und alle Leute können einen überfahren. Diese Vorstellung ist für mich die Versinnbildlichung einer Depression. Da hängt auch permanent eine schwarze Wolke über dir, und wenn die zu regnen beginnt, schrumpfst du und kannst von jeder Nichtigkeit überrollt werden. Das Gefühl kenne ich gut.

Manche Künstler behaupten, sie profitierten davon.
Auf jeden Fall. Diese Krankheit liefert viel Stoff für meine Texte. Aber das ist ja häufig so: Nur wenige Künstler schaffen große Kunst, wenn es ihnen super geht, sondern erst dann, wenn sie Krisen haben. Als Künstler braucht man das wohl. Leider.

Hast du den Eindruck, dass es heute mehr Depressive gibt als früher?
Ich glaube, früher hat man das bei vielen Leuten einfach nicht diagnostiziert. Seit mehr darüber gesprochen wird, können die Menschen das auch entsprechend einordnen. Das Bewusstsein dafür ist geschärft.

Anderes Thema: Im Song „Kompass ohne Norden“ ziehst du ein Resümee über deinen Abi-Jahrgang. Hast du noch Kontakt zu deiner ehemaligen Klasse?
Ja, aber ich war beim zehnjährigen Abitreffen nicht da, weil sich das mit der Geburt meine Tochter überschnitt. Ab und an sehe ich noch zufällig alte Klassenkameraden, bin aber mit niemandem mehr wirklich befreundet.

Begreifen die denn, was du beruflich machst?
Nein. Ich bin ja auf einem vermeintlichen Elite-Gymnasium gewesen, dessen Klientel vorwiegend aus Nerds und Rich Kids bestand. Wenn ich denen sage, dass ich Musik mache, fragen die mich, ob ich bei den Philharmonikern bin. Und wenn ich dann sage: Nein, ich singe, dann fragen die: Wo denn, im Chor? Die haben von dem, was ich mache, überhaupt keine Ahnung. Die interessieren sich eher für Autos und Jahreseinkommen.

Auf der Platte sagst du auch, du kannst keinen Smalltalk, kannst nicht schleimen, kannst nicht lügen.
Ich bin tatsächlich sehr undiplomatisch, was manchmal nicht ganz leicht ist und mir sicherlich auch schon manches verbaut hat. Aber Ehrlichkeit ist wichtig, auch wenn sie im ersten Moment wehtut.

Du bist lieber ehrlich als höflich?
Höflichkeit ist oft bloß bequem. Als meine Freundin sich mal richtig viel Mühe gegeben und für mich gekocht hatte, fragte sie mich, wie es mir schmeckt. Ich habe dann gesagt, dass ich es nicht mag und erklärt, warum. Daraufhin war sie beleidigt und fand, ich würde ihre Mühe nicht wertschätzen.

Und dann . . . ?
. . . habe ich ihr gesagt, dass ich sie sogar sehr wertschätze. Denn wenn meine Intention die ist, den Rest meines Lebens mit ihr zu verbringen, dann muss ich auch ihr Essen den Rest meines Lebens zu mir nehmen. Damit ich es aber schaffe, mit ihr ein Leben lang zusammenzubleiben, muss mir auch ihr Essen gut schmecken. Wenn ich ihr also ganz ehrlich sage, dass mir das Essen in der Form nicht schmeckt, zeige ich ihr damit, dass ich beabsichtige, mein Leben lang mit ihr zusammen zu sein. Sonst könnte es mir schließlich scheißegal sein, wie sie kocht. Insofern ist diese Ehrlichkeit ein Zeichen meiner Wertschätzung ihr gegenüber.

Aha. Hat sie das verstanden?
Nach anfänglicher Kränkung schon.
 
Das Album „Kompass ohne Norden“ ist am Freitag erschienen.

Text: daniel-schieferdecker - Foto: dpa

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