Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Der Punk im Frack

Teile diesen Beitrag mit Anderen:


Könnte sowohl der Spex gefallen als auch Oma: Dagobert

Eine schmale Gestalt im Frack trägt einen mannshohen Leuchtkasten über den Rosenthaler Platz in Berlin. Dieser Mann hat Pomade im Haar, er spricht einen eigentümlichen Dialekt, den man auch in Berlin-Mitte selten zu hören bekommt. Im Berlin Carré am Alexanderplatz wird der Mann im Frack in wenigen Minuten den Leuchtkasten, auf dem DAGOBERT steht, an eine Steckdose anschließen. Er wird rötlich strahlen, und dann wird der Mann namens Dagobert von Liebe singen. Und nicht mehr ganz junge, hip gekleidete Berliner werden applaudieren – immer lauter, je länger der Abend.

Dagobert vereint Widersprüche mit einer Selbstverständlichkeit, als ginge es gar nicht anders. In seinen Liedern singt er von bürgerlichen Sehnsüchten - nach der einen Frau fürs Leben, nach vielen Kindern, nach einem riesigen Haus mit Garten. Dabei lebt Dagobert Jäger, wie er mit vollem Namen heißt, ein Leben frei von "dem ganzen Bürgerpflichtenzeugs". Ein Leben ohne Arbeit und ohne Geld, in dem er sich über einen Schlafplatz in einer Abstellkammer freut.

Als selbst ernannter "Schnulzensänger aus den Bergen" veröffentlicht er kommenden Freitag sein Debüt beim Label Buback, das Mitglieder der Goldenen Zitronen gründeten. Er trägt einen maßgeschneiderten Anzug für 3.000 Schweizer Franken, isst und schläft aber bei Freunden, weil er gerade "komplett pleite" ist und sich mit 19 Jahren geschworen hat, nie zu arbeiten. Dagobert ist ein Punk im Frack.

Hungern und frieren - kann er nicht empfehlen

Vier Jahre vor dem Abend im Berlin Carré lebt Dagobert noch ein Leben ohne Applaus. Zumindest lautet so die Geschichte, die er über sich erzählt - und die schon ein bisschen nach Popstarmythos riecht: Ein einsames Leben sei es gewesen, umgeben von Steinböcken, in einer Hütte in einem Graubündener Dorf namens Panix. Er war 22 und wollte dort "nur ein bisschen Musik machen". Er blieb fünf Jahre, in denen er nahezu keinen Kontakt zu den Dorfbewohnern hatte, deren Sprache er nicht verstand; Jahre, in denen er einmal im Monat zwölf Kilo Reis im Dorf kaufte und sich fast nur davon ernährte; eine Zeit, in der er auf Plastiktüten unter freiem Himmel schlief, um seine Grenzen auszuloten. "In ein paar Sätzen klingt das gut, aber ich habe oft gehungert und gefroren", sagt Dagobert. "Für mich war das gut, aber ich kann’s nicht empfehlen."

Nach einer "beschissenen" Schulzeit im Kanton Aargau, in der er, der hagere Junge, als Junkie und Magersüchtiger verspottet worden war, nachdem er alle sozialen Kontakte abgebrochen hatte, nach zwei Jahren, in denen Dagobert alle 18.000 Franken eines Kulturpreises in Berlin verprasst hatte, wollte er in Panix einfach nur Reis essen und Lieder schreiben. Ehrliche Lieder über eine unerfüllte Liebe zu einer Frau, die er in Berlin kennengelernt hatte.

http://www.youtube.com/watch?v=EsIENZZLyzg
Dagoberts erste Single: "Morgens um halb vier"

In Panix schrieb er hundert solcher Lieder, die man einem Schweizer Chansonnier oder einem unprätentiösen Schlagersänger zuschreiben könnte. Die so klingen, als könnten sie das Kunststück vollbringen, der SPEX und der Oma gleichermaßen zu gefallen. Ein paar davon brannte er auf CD und schickte sie an die Frau in Berlin. "Es kam nie irgendwas zurück."

In einem "schwachen Moment" schickte er eine CD mit sechs Liedern an Universal Music Schweiz. Eine Woche später kam der Verkaufschef "mit einem fetten Wagen vorgefahren", weil Dagobert in seiner Hütte weder über einen Telefonanschluss noch über einen Internetzugang verfügte. Dagobert unterschrieb den Vertrag bei dem Major-Label nicht, doch der Universal-Chef trug die Sage vom jungen Liebesliedermacher aus den Bergen in die Büros der Plattenfirmen. So erzählt es Dagobert. Irgendwie ist es auch egal, ob seine Geschichten über Einsamkeit und Reis in den Bergen und den Plattenboss stimmen. Unterhaltsam sind sie allemal. 

Er liebt die Scorpions und die Flippers

Im Frühjahr 2010 jedenfalls will Dagobert dann die Hütte verlassen haben, um wieder nach Berlin zu ziehen. Ohne Geld und mit dem festen Vorsatz, nie einer anderen Arbeit als der Musik nachgehen zu müssen, fand er kostenlosen Unterschlupf in einem sieben Quadratmeter großen Lagerraum eines Cafés. Abends aß Dagobert die Reste des Tages. In dem Café spielte Dagobert seinen ersten Auftritt und bekam seinen ersten Applaus.

Viele Auftritte später veröffentlicht er nun sein Debütalbum, eine erste Auswahl der Lieder aus Panix. In 13 Studios war Dagobert, bis er zufrieden war. Wieso das so schwierig war, kann er nicht genau sagen. Vielleicht liegt es an Dagoberts Musikgeschmack, der zusammenbringt, was nicht unbedingt zusammengehört: "Crazy World von den Scorpions hat mein Leben verändert", sagt er, aber auch die Songs des US-Countrysängers Hank Williams hätten sich bei ihm "ins Gehirn gefräst". Dreimal hat Dagobert Sonic Youth live gesehen, aber "extrem geflasht" war er vom Abschiedskonzert der Flippers.

Am Abend im Berlin Carré öffnet Dagobert eine Flasche Pils, die ihm der Veranstalter geschenkt hat, mit den Zähnen. Er besteigt die sechs Stufen der Bühne, wählt einen Song auf seinem schwarzen iPod und singt zu dem Playback: "Wir driften in die Dunkelheit der Nacht / In die Welt ohne Zeit, wo die Liebe erwacht". Die Leute wippen im Takt, schmunzeln. "Leb' wohl / Ich verschwinde aus der Zivilisation / Leb' wohl / Wie ein Affe fühlte ich mich immer schon", dann ist das Konzert vorbei. Dagobert wirft das Mikro mit einem lauten Knall auf den Boden. Er verneigt sich höflich.

Weiß er schon, wo er heute schlafen wird? "Da, wo ich seit zwei Monaten immer schlafe", sagt Dagobert. Bei seiner neuen Liebe, für die er jetzt neue Lieder schreibt. Neue, ehrliche Lieder über die Liebe. 

Das selbstbetitelte Debütalbum von Dagobert erscheint am 12. April bei Buback Tonträger.

Text: jurek-skrobala - Foto: Fabian Frost

  • teilen
  • schließen