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Der Fluch der Introvertiertheit

Text: EmilyvanHill

Ich habe ein Problem. Das heißt, eigentlich hat die Gesellschaft ein Problem mit mir. Ich bin einer dieser bemitleidenswerten Menschen, denen die Fähigkeit sich selbst zu präsentieren, vollkommen abgeht. Damit bin ich in der heutigen Welt bereits zum Scheitern verurteilt. Denn egal, ob es darum geht, einen Job zu bekommen oder einen Partner zu finden, wer sich nicht selbst darstellt, existiert nicht. Introvertiertheit ist für das gesellschaftliche Leben schlimmer als jeder noch so eklige Hautausschlag – mit dem wird man wenigstens nicht einfach übersehen.



Ich lebe in einer Zeit, in der Selbstoptimierung dazugehört und verlangt wird: Zu große Nase? - Weg damit! Zu fett? – Abspecken! Seien es äußere oder innere Makel, wichtig ist, dass etwas dagegen getan wird, denn alles andere wird als Schwäche ausgelegt.



Logisch also, dass auch ich mein "Problem" in den Griff bekommen muss und entgegen meiner Natur zu einem extrovertierten Selbstvermarktungsgenie werde. Wenn ich das alleine nicht schaffe, ist das gar nicht schlimm. Es hat sich bereits eine eigene Branche etabliert, die es sich zur Aufgabe macht, fehlgeprägten Menschen wie mir zu helfen und sie zu wettbewerbsfähigen, Selbstpromotern zu machen. Da gibt es Workshops mit klanghaften Titeln wie "Souveräne Selbstdarstellung – so werden sie erfolgreich" oder "Sie haben Ellbogen? - Dann nutzen sie sie!". Klar, habe ich Ellbogen, aber deren primäre Funktion liegt für mich nicht darin, sie stahlkappenverstärkt gegen andere auszufahren.

Diejenigen unter uns, die sogar für einen Workshop zu verklemmt sind, können sich zuhause erst einmal mit entsprechender Fachliteratur briefen und im Schlaf selbstbewustseinsstärkenden Mantras vom Band lauschen.



So und auch auf die Gefahr hin, dass mich mancher jetzt als realitätsfernen Schwächling tituliert: Ich mag mich, genauso wie ich bin - still, nachdenklich, zurückhaltend und ich verspüre nicht den Wunsch, mich zu optimieren. Mir fehlt nichts! Ich bin nicht krank und ich brauche keine Hilfe!



Also bitte, bitte, hört auf, mir einzureden, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt. Ich bin genau richtig, so wie ich bin. Und wer mich übersieht, nur weil ich mich nicht in den Vordergrund dränge, dem entgeht was – so einfach ist das!

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