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Zu Gast beim Mann mit dem nackten Popo

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Normalerweise sieht man an Orten wie diesem nur Menschen auf der Durchreise. Weil sie auf Toilette müssen, rauchen wollen, sich eine kurze Pause gönnen oder heimgehen. Besondere Beachtung hat der Vorraum eines Clubs noch nie bekommen. Doch neuerdings kommen Gäste ganz gezielt in den Vorraum des „Yip Yab“ in der Thalkirchner Straße. Denn hier öffnet jeden Freitag für drei Stunden „Sir Henry’s Badass Pub“. Der Barchef behauptet: Wer vorbeischaut, erlebt die besten drei Stunden der Woche. Das klingt zwar anmaßend, aber auch vielversprechend.

Das Sir Henry’s, kaum größer als ein WG-Zimmer, öffnet um acht. So früh ist allerdings noch nicht viel los. Joe Gordon, der Mann hinter der Bar, begrüßt jeden Gast persönlich. Und gibt erstmal einen Ouzo aus.
Noch bevor man zum Trinken kommt, wird man allerdings von der Einrichtung abgelenkt. Der Look liegt irgendwo zwischen Kitsch-Kuschelhöhle und Irish Pub: Auf der Theke steht ein goldener Vogelkäfig, aus dem Teelichter in den schummrigen Raum leuchten, von der Decke baumelt ein bunter Kronleuchter und an dem Vorsprung über der Bar kreuzen sich zwei Golfschläger. Am Ende bleibt der Blick an einer der grün gestrichenen Wände hängen. Sie ist komplett mit gerahmten Bildern bedeckt, von einem Portrait der Queen und dem Schriftzug „Fuck that“ über ein Foto von Dirk Bach bis hin zu einem Rahmen ganz oben links in der Ecke, in dem mit grüner Wandfarbe steht: „Sorry Guys, didn’t have enough time to fully decorate pub, it’ll be done by Friday. Cheers H.“ Zwischen den verschiedenen Bildern taucht immer wieder der nackte Hintern eines jungen Mannes auf. Dieser erklärt nicht nur das „Badass“ im Namen des Pubs, sondern führt einen auch direkt zu Sir Henry – alias Joe Gordon, dem gerade mal 21 Jahre alten Geschäftsführer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Joe Gordon.

„Mein Vater kommt aus Nordirland“, erzählt Joe. „Er hat mir einmal eine Karte geschenkt, auf der stand: ,Für Sir Joe Henry Gordon‘, daher kommt der Name der Bar.“ Die Karte hing anfangs auch an der Wand mit den vielen Rahmen, wurde aber gestohlen, genau wie viele andere Bilder, die Joe bereits durch neue ersetzt hat. Doch er scheint seinen Gästen nichts übel zu nehmen. Stattdessen werden alle mit Handschlag oder Fistbump und einem Stamperl begrüßt. Viele der Besucher gehören sowieso zu Joes Freundeskreis, die übrigen werden einfach von vornherein so behandelt als ob. Im ersten Moment ist der Barchef für einige fast schon irritierend herzlich, aber die Gäste gewöhnen sich offensichtlich gern daran. Langsam wird es voller.
Ein zweiter Ouzo, zum „Cheers“ kommt die Aufforderung, sich doch bitte selbst jeden Musikwunsch zu erfüllen. Hinter der Bar steht ein iPad dafür bereit. Was auch immer es sein soll, wird gespielt. Joe legt keinen Wert auf einen bestimmten Stil.

Ende vergangenen Jahres hat er den unspektakulären Club-Vorraum zur Bar umgestaltet. „Ganz alleine“, wie er stolz betont. Auf Werbung hat Joe bisher verzichtet. Nur eine Facebook-Seite gibt es inzwischen, weil in Zukunft auch Konzerte und andere Veranstaltungen außer der Reihe geplant sind, zum Beispiel ein Rap-Contest über acht Runden, der abwechselnd bei Joe und in der Bar „Beverly Kills“ stattfinden soll. Für den Contest kann man sich auf seiner Facebook-Seite anmelden. Aus Vorfreude grinst er jetzt schon über das ganze Gesicht und rückt hibbelig die Mütze auf seinem Lockenkopf zurecht.

Man hat das Gefühl, der junge Barmann kennt alles und jeden in der Münchner Szene. Er war während der Schulzeit schon als Plakatierer für Clubs unterwegs, hat Flyer verteilt und schon in vielen Bars und Cafes gearbeitet. In manchen allerdings nicht länger als 14 Tage. „In einem Cafe haben sie mich nicht einmal einen Tag behalten“, erzählt Joe, „sie haben gesagt, ich habe zwei linke Hände – und sie hatten recht.“
Noch mehr Ouzo: Wenn man sich gerade ein Bild von Joe zurechtgelegt hat als ein etwas chaotischer, alternativer junger Mann, der glücklich ist mit seinem Leben in der Münchner Barszene, kommt jetzt eine Überraschung: Joe studiert BWL im dritten Semester. Das erklärt auch die bunte Mischung der Gäste. „Zur Schulzeit hatte ich sehr viele Freunde von der Hauptschule. Die kommen heute genauso wie meine Studienkollegen oder meine Lehrer von früher“, erzählt Joe. Krumm angeschaut wird hier jedenfalls niemand. Selbst die angetrunkene Dame, die fortwährend versucht, einen der jungen Herren zu Zweisamkeiten zu überreden, wird nicht gebeten zu gehen, sondern hilfsbereit mit Mineralwasser versorgt.

Die Getränke sind verhältnismäßig billig (Bier: 2,50 Euro, Longdrinks: 5 Euro), Trinkgeld will Joe auch keines. Kann sich das bei den kurzen Öffnungszeiten überhaupt rechnen? Kaum vorstellbar, dabei besitzt Joe durchaus Geschäftssinn. Mit einem Freund führt er ein kleines PR-Unternehmen und verteilt professionell Flyer in München. Langfristig möchte er mit seinem Pub Franchising betreiben. Das ambitionierte Ziel: ein Ableger im Bayerischen Hof.

Die wahre Attraktion des Sir Henry’s ist nicht die Bar an sich sondern der Gastgeber. Mit dem Geschirrtuch um den Hals springt Joe von einem Gast zum nächsten, begrüßt, verteilt Getränke und versucht nebenbei, alle gleichzeitig zu unterhalten. Mit dem breiten Grinsen und dem etwas verwirrten Blick scheint er dabei weniger von seiner Arbeit als von der Freude darüber überfordert zu sein. Als gegen elf die Tür zum Yip Yab geöffnet wird, folgen einige von Joes Gästen den ersten Clubgängern. Andere gehen gleich nach Hause. Joe findet das ideal: „Wenn man um acht schon anfängt, ist man um elf betrunken, geht schlafen und hat noch was vom nächsten Tag.“



Text: teresa-fries - Foto: Juri Gottschall

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