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Ich in anders - Die Nebenrollen-Typologie

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Der spontane Klassenclown

Typischer Ort: Der letzte freie Tisch in der Kantine

Es treten auf: Der stille Kollege von der Buchhaltung, der schüchterne neue Praktikant, ein unbekannter Mann mit rötlichen Wangen

Das sage ich: "Mmh, dieses Schnitzel, der Berlusconi unter den Mittagsgerichten, haha."

Das kommt zurück: Kichern und ein verzagter Blick vom Teller zu mir und zurück.

Natürlich gibt es die Naturclowns. Für sie ist jeder Fahrstuhl eine potentielle Bühne für den neuesten Sketch. Der Clown in mir hingegen ist scheu. Wie ein Ersatzspieler, der still auf der Bank kauert und nur im Notfall aufs Feld rennt. Das passiert typischerweise vor dem Kaffeeautomaten im Büro oder in halbvollen Ski-Gondeln - also immer dann, wenn sich die Anwesenden kaum kennen, ein Ausblenden der zufälligen Schicksalsgemeinschaft aber höchst unsozial wirken würde. Falls in einer solchen Gruppe ums Verrecken kein Witzbold in Sicht ist und die Stimmung vor lauter teigiger Verklemmtheit komplett einzufrieren droht, schlägt mein inneres Humorometer Alarm: Obacht!, durchfährt es mich dann. Diese steife Runde braucht dringend jemanden, der sich mit komödiantisch aufgerissenen Augen räkelt oder eine hirnlose Analogie zwischen Wetter und Tagespolitik zieht. Am besten auf Schwäbisch. Meist wird mein unverhoffter Gastauftritt mit höflichem Kichern goutiert und die heikle Situation ist gerettet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Der verknallte Teenie

Typischer Ort: Die frühere Lieblingsbar, Ecke hinten links, auf dem Sitzsack

Es treten auf: Die Clique aus der Jugendzeit. Der alte beste Freund (plötzlich mit Bartwuchs).

Das sagt er: "Früher war irgendwie alles besser, nicht so kompliziert."

Das sage ich: "Ja." (Und denke: "Wenn du wüsstest.")


Wenn ich mit meinen alten Schulfreunden weggehe, werde ich wieder 16. Und zwar auf die fiese Art, die mich daran erinnert, wie es wirklich war. Es fängt damit an, dass ich eine Stunde zum Fertigmachen brauche, weil ich in meinem Jugendzimmer das Kästchen mit den 25 Lidschattenfarben finde. Eigentlich halte ich Lidschatten für eine sehr heikle Angelegenheit. Das 16-jährige Ich aber findet es cool, also wird er aufgetragen. Zum Abschied sagt meine Mama: "Komm aber nicht zu spät heim". Ich habe keine Ahnung, ob es an unserer Stammbar liegt, am guten fränkischen Bier oder am DJ, der seit acht Jahren dieselbe Playlist spielt - aber jedes Mal, wenn wir da sitzen, passiert es: Neben mir sitzt auf einmal wieder mein bester Freund, quasi Seelenverwandter. Dass wir uns in der Realität höchstens zweimal im Jahr sprechen, ist vergessen. Wenn ich an den Nebentisch schaue, fühle ich mich wieder wie eine graue Maus, weil dort das schönste Mädchen der Schule sitzt, auf das alle scharf sind. Und wenn der Typ gegenüber mit mir anstößt und mich angrinst, wird mir flau im Magen. Denn da sitzt nicht mehr der alte Freund, sondern meine heimliche Jugendliebe. Da sind sie wieder, die Jahre in denen er dachte, wir sind sehr gut befreundet und ich alles für ihn getan hätte. Jahre, in denen ich so oft das Gefühl hatte: "Vielleicht ist da ja doch was", mich aber nie getraut habe, etwas zu sagen. Aber es ist nicht die wehmütige Erinnerung daran, sondern ich stecke wieder mittendrin. Zermartere mir das Hirn, was ich Cooles sagen könnte und versuche krampfhaft gelassen zu sein. Dabei hatte ich ihn erst vor kurzem in München getroffen und mich gefragt, wie dieser Chaot mich damals immer so aus der Bahn werfen konnte. In der alten Bar weiß ich wieder, warum.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Der Bolzplatz-Rowdy
 
Typischer Ort: Die Kabine eines Vorstadt-Fußballplatzes

Es treten auf: Elf Freunde

Das sage ich: "Oida, hier stinkt's!"

Das kommt zurück: Ein Furzgeräusch

In der Grundschule waren meine Schulfreunde und meine Kickkumpels identisch. Irgendwann dividierte das Schulsystem uns auseinander, und je älter wir wurden, desto mehr unterschied sich die Welt, in der wir uns bewegten, wenn wir gerade nicht gegen Bälle traten. Das veränderte uns und führte dazu, dass ich mich veränderte, sobald ich das Vereinsgelände betrat. Jemand schien mir eine unsichtbare Testosteronspritze in den Arm zu rammen: Ich fluchte lauter und derber als auf dem Schulhof und machte fleißig mit beim unaufhörlichen Verbalschwanzvergleich. Auch heute sitze ich manchmal in Runden mit überdurchschnittlichem Fußballer-Anteil. Da wird über Bundesligaspieler geredet, deren Vereinszugehörigkeit ich gar nicht kenne, und manche sagen "meine Alte", wenn sie ihre Freundin meinen. Ich weise dann niemanden darauf hin, dass das respektlos ist. Ich bin im Proll-Modus. Auf den bin ich nicht stolz, aber es macht Spaß, diesen Schalter manchmal umzulegen. So wie eine durchzechte Nacht einen glücklich macht, solange sie andauert - am nächsten Tag aber ein nagendes Gefühl der Peinlichkeit hinterlässt. Und schlimme Kopfschmerzen.

christian-helten


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Sphinx

Typischer Ort: Das Heimatdorf, nach der Christmette auf dem Platz vor der Kirche

Es treten auf: Die Anführerin, und eine Handvoll ehemaliger Schulkameraden, die nach der Schule ebenfalls im Dorf geblieben sind.

Das sage ich: (leise) "Und? Wie gehts euch so?" Danach lieber nichts mehr.

Das kommt zurück: "Voll super, ich mach jetzt Yoga und arbeite im Laden von meinem Papa, und der Tobi auch, und die Susanne ist jetzt mit Alex zusammen und..."

Die Anführerin hat schon ein Jahr, nachdem ich in die große Stadt gezogen bin, herumerzählt, dass ich "jetzt ja voll arrogant" bin. Wie sie zu der Auffassung kam, weiß ich nicht. Ich habe sie auch nie gefragt. Seitdem sage ich aber nur noch das Allernötigste, wenn ich daheim in Smalltalk verwickelt werde. Wenn sie am Schluss höflichkeitshalber fragt, was ich so mache, antworte ich kurz, nach langem Zögern und so leise, dass man mich fast nicht hören kann: "Ja, äh, so... 'n paar freie Sachen." Noch bevor ich außer Hörweite bin, setzt hinter mir ein hysterisches Getuschel ein. Ich hasse diese stammelnde, noch leisere Version von mir, in die ich mich in diesen Momenten verwandle. Noch mehr hasse ich es aber, in meinem Heimatdorf als arrogant zu gelten.

kathrin-hollmer


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die saupeinliche große Schwester

Typischer Ort: Das elterliche Wohnzimmer

Es treten auf: Die kleine Schwester (Arme verschränkt, Augen verdreht)

Das sage ich: "Auf der Party gestern hab ich getanzt wie eine Bekloppte. Alle haben geglotzt. Super."

Das kommt zurück: "Ich will's gar nicht wissen, meeegapeinlich."

Ich studiere und habe eine eigene Wohnung. Wenn ich will, kann ich mich über den Gerechtigkeitsbegriff von Aristoteles unterhalten. Ich wirke oft älter, als ich eigentlich bin. Besonders dann, wenn ich am Wochenende feiern gehe. Ich weiß auch, dass man beim Essen nicht die Ellenbogen auf den Tisch legt. Nur - wenn ich bei meinen Eltern bin, verhalte ich mich anders. Denn als große Schwester ist es oft schwer: Meine Eltern wollen, dass ich ein gutes Vorbild für meine jüngeren Geschwister bin. Gleichzeitig erwarten die, dass ich als coole Schwester auftrete. Bloß nicht kindisch oder pubertär wirken. Wenn ich zu Hause bin, tue ich aber gerade das: Mich wie 15 verhalten. So alt, wie meine Schwester. Schließlich ist das der Ort, an dem ich mal so richtig aufdrehen kann. Die kennen mich ja. Ich singe laut durchs ganze Haus, erzähle peinliche Geschichten der letzten Party und hüpfe auf dem Sofa herum. Warum? Weil meine jüngere Schwester oft schon so reif wirkt, dass ich mich unbewusst verhalte, als wäre ich die 15-Jährige. Eine muss es ja tun.

feline-gerstenberg



Text: jetzt-redaktion - Illustrationen: katharina-bitzl

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