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„Auch die Schwulen sind hier konservativer“

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Mariana, 32, Grafik-Designerin & Sylvi, 32, Verkäuferin
„Wir sind seit zweieinhalb Jahren ein Paar. Ich, Mariana, bin bisexuell. Bevor wir zusammenkamen hatte ich überwiegend männliche Partner, weil man die einfacher findet – vor allem in München. Als ich während meiner Schulzeit in Freising mit einem Mädchen zusammenkam, war es für meine Eltern am Anfang schwierig. Mittlerweile ist es toll und wir besuchen sie gerne gemeinsam.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sylvi (links) und Mariana können mit der lesbischen Szene in München nicht so viel anfangen, aber fühlen sich hier sehr wohl.

Sylvi kommt aus einem kleinen Dorf bei Würzburg, sie hatte ihr Outing mit 18. Ihre Eltern und ihre Schwester haben super reagiert. Die Älteren im Dorf hielten Homosexualität aber quasi für eine Geisteskrankheit. Von den Jüngeren hatten die Mädchen Angst, dass Sylvi sie angraben, und die Jungs, dass sie ihnen die Mädchen wegnehmen würde. Sylvi ist definitiv deswegen weggezogen. Sie wollte in eine Stadt, in der man frei leben kann, ohne sich verstellen zu müssen. Das haben wir beide hier in München gefunden.

Negative Erfahrungen haben wir hier nie wirklich gemacht. Als Sylvi ihrem Arbeitgeber erzählte, dass sie lesbisch ist, sagte der nur, dass es ihm wurscht sei. Und auch bei unserer gemeinsamen Wohnungssuche war das kein Problem. Aber man wollte wissen, ob wir Türken oder Araber sind. Das fanden wir krass.
Aber natürlich gibt es Unterschiede zu anderen Großstädten. Meine Exfreundin wohnt in Berlin. 80 Prozent ihrer Freunde dort sind homosexuell. Sie wohnt in einem ganz anderen Umfeld, in dem man auch viel offener mit alternativen Beziehungsmodellen umgeht, etwa Beziehungen zwischen drei Menschen.

Auch zum Weggehen gibt es für junge Lesben hier viel weniger, eigentlich nur den Candy-Club und die Amazonas-Party einmal im Monat. Aber die Leute sind dort irgendwie prollig. Man wird da teilweise angeschaut wie Frischfleisch. Die Community ist so überschaubar, wenn da eine Neue kommt, stürzen sich alle auf sie. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Lesbenszene in München viel kleiner und auch öffentlich weniger präsent ist. Schwule werden viel schneller akzeptiert. Wir hören schon manchmal: ‚Naja, die brauch halt noch einen richtigen Kerl.‘ Umgekehrt würden sie zu einem Mann nie sagen: ‚Such dir mal eine richtige Frau.‘ Schwule werden irgendwie ernster genommen. Da äußert sich das Macho-Denken einiger Männer, das vermutlich wirklich am Penis liegt.“


Chris, 25, Student
„Dass ich schwul bin, wusste ich eigentlich schon immer. Mein Outing hatte ich in der ersten Phase als Student in München vor ungefähr drei Jahren. Da habe ich dann auch meine ersten Erfahrungen gemacht. Meine Familie hat es ganz locker aufgenommen und als Freunde suche ich mir Menschen aus, die entsprechend offen sind.

Wie andere Leute reagieren, wenn ich einen Mann küsse, hängt von der Umgebung ab. Im Glockenbachviertel schockt das niemanden. Aber München ist generell keine Stadt, in der man als Schwuler angegriffen wird. Die Realität liegt wohl irgendwo zwischen dem konservativen Klischee, das ich so nicht erlebe, und der Offenheit, die Städte wie Köln oder Berlin ausstrahlen.

Aber auch in München bricht die Schwulenszene auf, die exklusiven Schwulenclubs werden seltener und gewöhnliche Clubs bieten Schwulen- und Lesbenpartys an, die jeder besuchen kann. Es vermischt sich immer mehr. Dieses Aufbrechen ist einerseits gut, weil die Gesellschaft so mit Homosexualität konfrontiert wird und die Berührungsangst verliert. Manchmal kann aber auch der Schutzraum einer geschlossenen Szene sehr positiv sein. Es gibt viele Menschen, denen es aufgrund ihres familiären oder religiösen Hintergrunds schwer fällt, zu ihrer Homosexualität zu stehen. Mit den Schutzräumen brechen für sie die wenigen Orte weg, an denen sie ihre Sexualität zeigen und Menschen mit der gleichen Orientierung treffen konnten.

Was sich in München noch ändern sollte ist die Befangenheit, mit der viele an das Thema Homosexualität herangehen. Auch junge Menschen. Man wird zwar akzeptiert, aber man hat trotzdem noch den Exotenstatus. Ich wohne in einem Studentenwohnheim, dort verhalten sich viele mir gegenüber etwas unentspannt. Wenn es zum Beispiel um das Thema Beziehungen geht, werde ich oft ausgespart und nicht gefragt. Da könnten so einige also noch lockerer werden. Ob das nur speziell an meinem Wohnheim liegt, weiß ich nicht.“


Julia*, 25, Studentin
„Ich komme aus einem kleinen Vorort von München. Deswegen war ich schon im Teenageralter viel in der Stadt unterwegs. Schon mit 13 wusste ich nämlich, dass ich lesbisch bin. Also war es früher für mich total spannend hier, weil ich in München eben andere Homosexuelle treffen konnte. Ich wurde bald Teil der Community, man kannte sich ja schnell untereinander. Es gab damals aber auch noch viel mehr Orte, an denen sich die Szene getroffen hat. In der Roten Sonne zum Beispiel war früher ein Schwulenclub. Seit ich 20 bin, gehe ich allerdings eher in gemischte Bars, meine Freunde sind auch zu einem großen Teil heterosexuell.

Die Schwulenszene in München ist viel größer ist als die lesbische. Das hat, glaube ich, mehrere Gründe: Viele Schwule sind doch noch gerne unter sich und suchen häufiger nur Sex. Die können sich in Schwulenclubs besser ausleben. Bei Lesben ist diese Nachfrage geringer, womit ich nicht sagen will, dass alle Frauen nur in einer festen Beziehung Sex haben wollen. Aber ein Schwuler, der eine monogame Beziehung sucht, hat es definitiv schwerer.

Wenn ich mit meiner Freundin in München unterwegs bin, dann halten wir uns schon etwas zurück mit dem Austausch von Zärtlichkeiten. Wir sind beide sehr feminin, im Gegensatz zu manchen sehr burschikosen Lesben. Das löst anscheinend doch bei einigen Männern Phantasien aus. Wenn wir uns küssen, kommen dann schon oft Sprüche wie: ‚Kann ich mitmachen?‘ Das ist keine richtige Beleidigung, eher eine nicht sehr klug gewählte Anmache. Da kann ich leicht drüber stehen.

Ansonsten liebe ich München und fühle mich hier sehr wohl. Schwul oder lesbisch zu sein, steht für mich und auch sonst für die wenigsten an erster Stelle. Zuerst kommen der Beruf oder das Studium, persönliche Interessen und Charakter – und erst dann die sexuelle Neigung. In München kann man sehr gut nach dieser Reihenfolge leben, weil man nicht ständig gezwungen ist, sich als Lesbe zu positionieren oder sich mit Vorurteilen auseinander zu setzen.“

*Name von der Redaktion geändert



Kai, 32, Projektleiter HIV-Prävention im „Sub“
„Mein Opa kapiert es nicht so richtig, aber ansonsten hatte niemand aus meiner Familie oder von meinen Freunden Probleme damit, dass ich schwul bin. Als Mitarbeiter im schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum ‚Sub‘ bekomme ich viel über die Münchner Szene mit. Ich denke, Kneipensterben ist in dem Zusammenhang gerade das wichtigste Stichwort. Früher gab es ganz viele ‚Men-only‘-Bars, in denen sich Männer treffen konnten. Wir Jüngeren brauchen das nicht mehr. Heute läuft das Kennenlernen, Treffen und auch Sex sehr viel übers Internet, also über Portale wie ‚Gayromeo‘ oder ‚Grindr‘. Die meisten sagen, dass sie es scheiße finden, aber jeder ist dabei.

Viele von den Älteren verstehen nicht, was da passiert. Sie mussten sich hier in den 80ern erst einmal befreien und sich ihren Raum erkämpfen. Sie wollten weg von der normalen Gesellschaft. Daraus entsteht ein Generationenkonflikt. Denn wir Jungen wollen, dass es normal ist, schwul oder lesbisch zu sein. Wir sind wieder in der Gesellschaft angekommen.

Mit Berlin kann man die Szene hier nicht vergleichen. Da kommen die Leute sogar extra aus den USA für eine Woche Sexurlaub hin, weil es so viele Möglichkeiten gibt. Auch die Schwulen sind hier konservativer als in anderen Großstädten. Es existieren hier zwar auch ein paar Clubs, in denen es einen Darkroom gibt, aber exzessive Sexpartys wie in Hamburg oder Berlin gibt es hier nicht. Es würde auch keiner kommen.
In der Öffentlichkeit erlebe ich hier nie Anfeindungen. Einmal nannte mich jemand ‚Schwuchtel‘. In der Schule hätte mich das getroffen, aber heute nicht mehr. Ich schnauzte ihn so an, dass er erschrocken weglief. Insgesamt fühle ich mich als schwuler Mann in München sehr wohl. Richtig gut an dieser Stadt ist der Oberbürgermeister. Er setzt sich sehr dafür ein, dass Vorurteile abgebaut werden und läuft sogar beim Christopher Street Day mit.“


Text: teresa-fries - Foto: Juri Gottschall

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