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Mit 22 geht's den Bach runter

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Nicht nur Journalisten, sondern Medienmenschen generell denken sich gern plakative Label für komplexe Phänomene aus. Der jüngste Neuzugang, der es in den Artikel „The No-Limits Job“ in der New York Times geschafft hat, ist die Figur des „22-22-22“. Dort wird ein anonymer, offenbar hauptberuflicher Zyniker und nebenberuflicher Manager aus der Branche der Neue Medien mit dem Satz zitiert: „We need to hire a 22-22-22.“  

Der gesuchte Kandidat kann einem nur Leid tun. Die dreifache 22 steht für die Rahmendaten: 22 Jahre alt, bereit, 22 Stunden täglich zu arbeiten, für ein Jahreseinkommen von 22.000 Dollar (umgerechnet knapp 17.000 Euro). Davon abgesehen, dass wohl niemand körperlich in der Lage ist, dauerhaft 22-Stunden-Arbeitstage zu leisten, hält Autor Teddy Wayne den von dem Ausdruck des 22-22-22 beschriebenen Negativtrend für zutreffend: US-Amerikanische Berufseinsteiger werden heute immer häufiger ausgebeutet. Sie sollen sich im Prinzip rund um die Uhr für ihren Job aufopfern, werden dafür aber nur mies bezahlt. Wenig überraschend, dass es sich auch selten um echte Jobs handelt, sondern um Praktika, Stipendien und andere Ausbeuter-Konstrukte, deren einzig positive Eigenschaft ihr unter Umständen wohlklingender Titel ist.      

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Besonders in den „rock-star professions“, jenen Berufen, die hierzulande unter das Label „Irgendwas mit Medien“ fallen, und anderen kreativen Tätigkeiten gebe es solche 22-22-22-ler. Allerdings nicht ausschließlich. Den jungen Berufstätigen in den USA gehe es insgesamt schlecht, stellt Wayne mit einem Blick in die Statistik fest: Erstens ist nämlich das mittlere Haushaltsvermögen der unter 35-Jährigen von 1984 bis 2009 um 68 Prozent gesunken, was sich laut Wayne auch nicht mit der Wirtschaftskrise erklären lasse. Denn im gleichen Zeitraum ist es bei den Haushalten der über 65-Jährigen um 42 Prozent gestiegen. Zweitens lebten die 25- bis 34-jährigen 2011 sehr viel häufiger im Hotel Mama als noch vier Jahre zuvor.  

Auch wenn die Figur des bemitleidenswerten 22-22-22 womöglich etwas überspitzt ist, offenbar existiert in den USA tatsächlich eine Art „Generation Praktikum“. Deren Angehörige sollten gut qualifizierte Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss sein, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln, weil sie keine Existenz sichernde Anstellung finden. Um diese „Generation Praktikum“ wurde sich in Deutschland Mitte der Nuller Jahre zwar viel gesorgt, sie war aber vor allem ein Medienmythos und kein Massenphänomen, wie eine Absolventenstudie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) später zeigte.  

Das gilt noch immer, sagt Kolja Briedis vom HIS: Während in den krisengeschüttelten europäischen Nachbarstaaten die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist und auch Hochqualifizierte oft keinen Job finden, so dass die internationale Arbeitsorganisation schon vor einer „verlorenen Generation“ gewarnt hat, „leben wir in Deutschland ein Stück weit auf einer Insel der Seligen“, sagt Briedis. Natürlich gebe es zum Beispiel in kreativen Branchen das Phänomen, „dass Berufseinsteiger sich auf ungünstige Konditionen einlassen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen“, erklärt Briedis. „Das gilt aber nur für die Etablierungsphase. Ein paar Jahre später lässt sich auch in kreativen Berufen fast niemand mehr darauf ein.“ Klingt so, als könnten wir hoffen, genau wie der Generation Praktikum auch dem 22-22-22 zumindest hier in Deutschland glücklicherweise nicht allzu oft zu begegnen.      



Text: juliane-frisse - Illustration: Marie-Claire Nun

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