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Gefahr für den "Ottonormalprobanden"

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Der Medizinstudent Victor S., 26, hat schon Impfstoffe gegen die Vogel- und Schweinegrippe an sich testen lassen. Bei einer Joghurtstudie aß der Münchner 16 Wochen lang jeden Morgen einen Jogurt und führte Tagebuch über seine Verdauung. Medizinische Tests sind für ihn so etwas wie Routine geworden. Sein bisher aufwändigster war eine Antikörperstudie für die Rheumaforschung. Sieben Tage war er dafür in einem Krankenhaus. „Das war wie in Quarantäne“, erinnert er sich. Er durfte keine Leute treffen und sein Zimmer kaum verlassen, nur auf die Toilette oder im Flur spazieren zu gehen war erlaubt. Zwei Mal täglich wurde ihm Blut abgenommen und seine Vitalfunktionen Tag und Nacht überwacht. „So schlimm war es aber nicht“, sagt er, „ich habe die ganze Woche für mein Staatsexamen gelernt. Und 1.900 Euro bekommen. Das waren für mich ein paar Monatsmieten, Geld, das ich im Studium gut gebrauchen konnte.“  



Arzneimitteltests bedeuten schnelles Geld, besonders Studenten verdienen sich oft als Probanden etwas dazu. Meistens werden für die Tests Männer zwischen 20 und 40 Jahren gesucht. Frauen nehmen in der Regel erst an Studien teil, wenn der Wirkstoff schon zugelassen ist. Die Risiken, wenn sie später Kinder kriegen wollen, wären vor der Zulassung zu hoch.

Probanden für medizinische Studien werden eigentlich immer gesucht. Bald vielleicht noch mehr. Die Europäische Kommission plant, Arzneimittelversuche am Menschen zu erleichtern. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, dass dafür künftig unter anderem die unabhängigen Ethikkommissionen bei klinischen Tests nicht mehr beteiligt werden sollen. Lange waren die Pläne von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt geblieben, jetzt regt sich endlich Widerstand. Der Arbeitskreis der 52 deutschen medizinischen Ethikkommissionen bezeichnete die Pläne als "bestürzend".

Probanden sind oft Medizinstudenten wie Victor. Er kann die Gefahren eines Arzneimitteltests abschätzen, weil er das Kleingedruckte versteht. "Ich kenne die Wirkstoffe und lese in der Datenbank an der Uni immer alles, was darüber publiziert ist", sagt er. Er weiß aber auch, dass viele Probanden sich nicht einlesen – oder sich überhaupt nicht informieren. An der siebentägigen Studie haben neben Victor noch sechs andere Männer teilgenommen. "Die hat das gar nicht interessiert, sondern nur das Geld", sagt Victor.

Auch für Victor war das Geld der Hauptgrund, an der Studie teilzunehmen, dass er die Forschung unterstützt, ein schöner Nebeneffekt. Er würde jederzeit wieder bei einer Studie mitmachen. Nur chemische Stoffe würde er nicht ausprobieren: "Antikörper sind Proteine, die werden im Körper wieder abgebaut, bei chemischen Stoffen können gefährliche Spätfolgen auftreten. Und man sollte nicht der erste sein, der ein Arzneimittel testet. Das lohnt sich nicht, auch wenn man dafür gleich sehr viel mehr Geld bekommt." Bisher hat er bei seinen Studien keine Nebenwirkungen gespürt, nur bei den Impfstofftests gegen die Vogel- und Schweinegrippe hatte er Nebenwirkungen wie nach einer normalen Grippeschutzimpfung. Angst hatte er keine. Aber er weiß ja auch im Gegensatz zu den meisten Probanden genau, worauf er sich einlässt.  

Aus diesem Grund sieht Victor die EU-Pläne kritisch. "Im Moment braucht jedes medizinische Projekt die Zustimmung der Ethikkommission. Das ist auch gut so", sagt er. Das Problem sei, dass es Wochen dauert, einen Ethikantrag zu schreiben und noch einmal Wochen, bis man eine Zulassung bekommt, und das für jeden einzelnen Schritt, sobald man zum Beispiel Zellen in einer Petrischale züchten will. "Das Zulassungsverfahren muss man dringend beschleunigen und vereinfachen", sagt er, "viele neue Stoffe haben ein großes Potenzial, noch dauert es zum Teil 15 Jahre, bis sie zugelassen werden. Wenn es schneller ginge, würden Europäer und Amerikaner kritische Trials nicht mehr nach Jugoslawien oder nach Griechenland verlegen. Die Qualität der Studien ist in Deutschland besser und die Tests sicherer."  

Dafür auf unabhängige Ethikkommissionen mit Forschern zu verzichten, ist seiner Meinung nach aber nicht der richtige Weg: "Ich glaube nicht, dass das wirklich geht, und ich weiß auch gar nicht, ob es die Ethik ist, die den Prozess so lange hinauszögert. Viel wahrscheinlicher ist, dass es an der Bürokratie liegt", sagt er. Die "Ottonormalprobanden", die Victor angesprochen hat, müssen geschützt werden. "Natürlich entscheidet jeder für sich selbst, aber es gibt immer Menschen, die für Geld alles tun und die Risiken nicht einschätzen können", sagt er, "sie glauben es einfach, wenn sie erklärt bekommen, dass Nebenwirkungen unwahrscheinlich sind. Auf der anderen Seite ist die Pharmaindustrie, die unheimlich viel Geld macht. Die braucht einen Gegenspieler."

Text: kathrin-hollmer - Foto: jala / photocase.com

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