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Mädchen, was hat die Sexismus-Debatte mit euch gemacht?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Es war eine, nun ja, etwas komplizierte Woche, was das Verhältnis zwischen Männern und Frauen angeht. Zeitungen, Blogs, Radiosendungen und Talkshows waren voller Berichte und Diskussionen zum Thema Sexismus, losgetreten vom Stern-Artikel über Rainer Brüderle, beschleunigt vor allem über Twitter und den Hashtag #aufschrei. Ob man wollte oder nicht, man wurde damit konfrontiert und musste sich mit dem Thema auseinandersetzen. Diese Debatte liegt jetzt in der Luft zwischen uns und euch. Deshalb wollen wir heute in der Jungsfrage darüber sprechen, was sie bei uns ausgelöst hat, und fragen, wie ihr sie erlebt habt.

Also erstmal zu uns: Ich habe diese Woche auf Jungsseite verschiedene Reaktionen festgestellt. Manch einer machte es sich in einer trotzigen Verteidigungshaltung bequem, sprach von Sippenhaft für Männer. Vor allem in Gesprächen, in denen Jungs unter sich waren, kommentierten viele das Geschehen einfach mit einem Witz, wie auch so viele Tweets unter dem Hashtag #aufschrei es taten. Aber es war daneben (und manchmal auch hinter den Witzen und Verteidigungen) ein bisschen Unsicherheit zu spüren. Man merkte: Viele von uns begannen diese Woche nachzudenken, auch über das eigene Verhalten. jetzt-user synthie_und_roma schrieb nach der Lektüre der Aufschrei-Tweets einen Text über dieses Nachdenken. Darin hieß es: 

„Ich habe schon Zoten in Meetings gerissen, oder über blöde Herrenwitze gelacht, wenn andere Frauen dabei waren. Selbstverständlich schaue ich bei allen Frauen erst mal auf den Arsch und stimme mich mit den Kollegen über deren Aussehen ab.“ Er kommt zu dem Ergebnis, dass jeder von uns einen Brüderle in sich habe, selbst wenn wir uns niemals sagen lassen würden, Sexisten zu sein: „Ich halte mich für einen modernen Mann, der Frauen ernst nimmt und für die Gleichberechtigung und die Frauen-Quote eintritt. Trotzdem bin ich in einigen Dingen nicht besser als ein Ol’ Dirty Brüderle oder ein Franz-Josef Wagner, der eine Bildungsministerin zunächst mal nach dem Äußeren bewertet.“  

Wahrscheinlich treffen es diese Sätze ganz gut. Kaum einer von uns ist vollkommen frei von sexistischen Gedanken oder Verhalten. Uns rutschen frauenfeindliche Witze heraus, bei 90 Prozent aller Junggesellenabschiede steht der Besuch einer Tabledancebar oder Schlimmerem auf dem Programm und wir können nicht ausschließen, jemals eine Anmache etwas vehementer vorgetragen zu haben als dem Mädchen lieb war. Seit vergangener Woche haben wir allerdings neue Sensoren für derlei Verhaltensweisen entwickelt. Die vielen Tweets von Frauen und Mädchen, die von unangenehmen bis widerlichen Begegnungen mit unseren Geschlechtsgenossen berichteten, haben uns ein bisschen erschüttert. Natürlich wussten wir auch vorher, dass es sexuelle Belästigung und Sexismus gibt. Sie in dieser Geballtheit präsentiert zu bekommen, in diesem scheinbar nicht enden wollenden Strom – das ist uns bisher aber nicht passiert, und ich glaube, das hat uns ein bisschen verändert. Wir werden nicht von heute auf morgen eine Komplettmutation hinlegen. Es ist auch mit Sicherheit noch nicht der letzte Herrenwitz dieses Planeten erklungen. Aber ich glaube, es gibt einen Unterscheid zwischen Jungs vor der #aufschrei-Debatte und danach.  

Jetzt seid ihr dran: Was ist bei euch diese Woche geschehen? Wie habt ihr die Debatte erlebt und was hat sie mit euch gemacht?

Auf der nächsten Seite: Wie die jetzt-Mitarbeiterinnen #aufschrei erlebt haben.  


Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Liebe Jungs,

auch uns hat das Thema die ganze Woche beschäftigt. Wir haben sehr viel gelesen, sehr viel gesehen und sehr viel darüber geredet, so dass ungefähr tausendundein Gedanke in unseren Köpfen herumschwirrte. Einige davon sind diese hier:

Gut, dass da endlich mal drüber geredet wird. Aber ist Twitter der richtige Ort?  

Talkshows sind es offensichtlich nicht.

#aufschrei wird am Ende doch auch nur eine aufgeregte Mediendebatte sein. Leider.  

Was habe ich bisher für ein wohlbehütetes Leben gehabt. Was für ein Glück gehabt, dass mir so krasse Dinge nie passiert sind.  

Die Diskussion, die gerade geführt wird, ist wichtig, ich hoffe, dass sie nicht nur eine Woche in den Medien bleibt und danach wieder verschwindet.

Es wird sich sowieso nichts ändern.  

Wie sich die Männer wohl unter diesem Generalverdacht fühlen, Sexistenschweine zu sein?  

Zuerst war ich wütend darüber, was Frauen sich täglich gefallen lassen müssen. Inzwischen bin ich wütend, weil Frauen sich das gefallen ‬lassen‪.

In vielen Bloggern und Menschen im Internet schlummerten viele kluge Gedanken zu diesem Thema. Ich bin froh, dass sie nun öffentlich sind.

Andere hätten ihre auch für sich behalten können.

Müssten wir uns nicht auch anders verhalten? Anders auftreten? ‪

‪Darf ich in der Gegenwart von Männern mit anderen Frauen darüber reden, dass dieser Moderator oder jener Schauspieler schon ziemlich scharf ist? Ist das nicht am Ende genau das, was wir den Männern vorwerfen?  

Männer sind Frauen fast immer körperlich überlegen und deshalb wird sich nie, nie, nie etwas ändern.  

So, wir sollen also einfach mehr den Mund aufmachen, wenn wir belästigt werden. Genau. Mach das mal, wenn es dein Prüfer, dein Praktikumsbetreuer oder dein Chef ist.   

Doch, eigentlich sollten wir genau das. Dass diese ganzen Situationen auf Twitter oder, wie bei Laura Himmelreich ein Jahr später in einem "Stern"-Artikel verarbeitet werden müssen, zeigt vor allem, dass viele Frauen sich nicht wehren, wegen irgendwelcher Machtverhältnisse, aus Schüchternheit, vielleicht auch, weil sie überrumpelt worden sind. Vielleicht reicht es schon, auf ein "Du brauchst doch bestimmt keinen Dirndl-BH" zu entgegnen: "Sag mal, was willst du mir damit eigentlich sagen? Kannst du mir das erklären?"

‪Ja, auch Männer werden Opfer sexueller Gewalt. Aber darauf zu insistieren und zu behaupten, dass deswegen die gesamte Debatte gerade falsch läuft, weil sie nur Männer als Täter sehe, macht mich fassungslos. Ich google nach einer Statistik: Im Gender Datenreport des entsprechenden Bundesministeriums heißt es: „Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Männer, Mädchen und Jungen wird zu 95 bis 99 Prozent von Männern ausgeübt.“  

Inzwischen wurde alles gesagt. Aber noch nicht von jedem. Oder jeder.  

Erika Steinbach. Wie kommen die bei der „Welt“ auf die Idee, die zur #aufschrei-Debatte zu interviewen?  

„Ich komme gut mit Herrn Brüderle aus.“ „Mein Mann wurde von 70-jähriger Jungfrau belästigt.“ Oder auch: überaus wertvolle Beiträge zur Sexismus-Debatte. Kotz.

Ich hoffe, dass uns diese Diskussion sensibler macht. Dann überlegt ihr euch vielleicht zwei Mal, ob ein frauenfeindlicher Witz, eine anzügliche Anspielung wirklich sein muss, oder nicht. Ein Tipp, die Antwort ist immer: nein. Und wir, wir erkennen, dass wir das nicht hinnehmen müssen, sondern antworten einfach. Das ist dann viel gleichberechtigter und cooler als das Ganze auf Twitter zu verarbeiten.‬

Manche (Männer und Frauen!) können, wollen und werden es nie verstehen.

Text: christian-helten - Illustrationen: katharina-bitzl

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