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Mitgewachsen

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Wenn ich mich daran erinnern möchte, wer die Teeniestars meiner eigenen Teeniezeit waren, dann schließe ich die Augen und stelle mir die Wände meines damaligen Klassenzimmers vor. Da hingen Poster von Nick Carter und Matthias Schweighöfer, Ryan Phillippe und Leonardo DiCaprio. Bei ihrem Anblick gerieten die Mädchen der Klasse ins Schwärmen. Teenistars, das waren diese fünf bis zehn Jahre älteren Jungs mit extrem weichen Zügen, ohne Bartwuchs und mit mittelgescheiteltem Haar, die seichte Rollen spielten oder seichte Musik machten und in das Beute- beziehungsweise Schwärmschema 13-Jähriger passten. Heute kann ich die einstigen Teenistars in zwei Gruppen teilen: Erstens die, die nie aus diesem Schema herausgewachsen sind, die immer so weitergemacht haben oder irgendwann von der Bildfläche verschwunden sind und die ich heute belächele. Und Zweitens die, die mitgewachsen sind und mir darum heute ein gutes Gefühl geben.

Leonardo DiCaprio ganz schön erwachsen als Calvin Candie in "Django Unchained".

Gerade ist der Paradeteeniestar der 90er, Leonardo DiCaprio, im Kino als dekadenter, ziemlich durchgeknallter und schonungsloser Plantagenbesitzer Calvin Candie zu sehen. Er hat einen Bart und schlechte Zähne, nimmt Drinks aus Kokosnüssen und macht Gesichter, die sogar zum Fürchten sind, wenn sie freundlich sind. Als ich ihn so in „Django Unchained" sah, stellte sich wieder dieses Gefühl ein, das ich immer habe, wenn ich Leonardo DiCaprio in einem guten Film sehr gut spielen sehe: Stolz. Oder eine Art Fremdstolz, wie man ihn für einen Bruder empfindet, der etwas erreicht hat.

Leonardo DiCaprio hat natürlich den Vorteil, dass er schon vor „Romeo+Julia" und „Titanic" ein guter Schauspieler war. Aber als „Gilbert Grape" und „Jim Carroll" in den Kinos liefen, sah ich noch „König der Löwen". Als er seinen großen Durchbruch schaffte, war gerade der Startschuss meiner Pubertät gefallen und ich erlebte mit, wie er zum Teeniestar hochstilisiert, von Töchtern vergöttert und von Müttern belächelt wurde. Wer diesen Weg geht oder gehen muss, der wird ganz sicher verehrt, aber ziemlich sicher auch nicht richtig ernst genommen. So wie man selbst zwischen 12 und 15 nicht ernst genommen wird oder sich zumindest andauernd so fühlt. Schon allein darum ist man als Teenager seinen Teenistars nahe und fühlt sich von ihnen, den großen Brüdern, an die Hand genommen. Sie sagen einem „Alles halb so wild, ich bin eigentlich genauso wie du und trotzdem ein Star!"

Wenn diese Teeniestars, die einen durch die Pubertät begleiten, mitwachsen, dann passiert etwas sehr Schönes: Sie werden nicht auf einmal zu den kleinen, komischen Cousins, die irgendwo hängengeblieben sind, sondern bleiben die großen Brüder, mit denen man sich damals verstanden hat und heute noch immer versteht. Leonardo DiCaprio hat vor 15 Jahren mein Bedürfnis nach gescheitelter Weichheit erfüllt und kommt heute meiner Liebe für geniale Bösewichter wie Calvin Candy oder Frank Abagnale jr. entgegen. Darüber freue ich mich und darauf bin ich stolz. Vollkommen zu Unrecht natürlich. Aber vielleicht ist das einer der wenigen Momente, in denen ich eines dieser vielbeschworenen Generationengefühle habe. Das Gefühl, dass man sich nicht irgendwann an anderen Generationen orientieren muss, weil die eigene auf ewig nicht ernst genommen wird, sondern dass auch Kinder meiner Zeit zu seriösen Erwachsenen geworden sind.

Schauspieler wie Leonardo DiCaprio oder Popstars des gleichen Schlags wurden damals in Klassenzimmern von kichernden, rotwangigen Mädchen an die Wand gepinnt und die Erwachsenen schmunzelten. Ich empfinde eine Art Genugtuung, wenn ich sehe, dass einer dieser Posterstars heute so viel Anerkennung bekommt. Seriös gewordene Teenistars helfen mir, den letzten Rest verbliebenes Pubertätstrauma abzuschütteln und führen mir durch den Erinnerungsmarathon, den sie im Kopf auslösen, etwas sehr Wichtiges vor Augen: Dass ja auch die meisten von uns, die wir damals geschwärmt haben, von kichernden Teenagern zu ernstzunehmenden Erwachsenen geworden sind. Deswegen ist der Stolz auf den guten alten Leo DiCaprio am Ende wohl bloß der Stolz auf mich und meinesgleichen. Er hat sich nur einen uneitleren Kanal gesucht und ploppt so nebenbei im Kino auf, wenn Calvin Candie an der Zigarettenspitze zieht. 

Text: nadja-schlueter - Foto: Reuters

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