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Nachts im Fernseher

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Das Bayerische Fernsehen hat die Sendung „Space Night“ aus dem Programm seines Wissenschaftskanals BR alpha genommen. Am 7. Januar lief die Sendung zum letzten Mal. Einer der Gründe sollen die gestiegenen Produktionskosten durch die Gema-Gebührenreform sein. Für die vielen Fans, die gegen das Ende der Kultsendung protestiert haben, gibt es Hoffnung: Angeblich arbeitet der BR an einem neuen Konzept für die Sendung.
Bis dahin haben wir ein paar Alternativen zusammengetragen, was man spätnachts sonst noch schauen kann – je nachdem, in welcher Lebenslage man sich gerade befindet.



1. Wenn man nicht schlafen kann: die gute alte Doku

Was: Seit Stunden wälzt man sich herum und kann nicht einschlafen. Weil man Sorgen hat zum Beispiel. Oder weil man besonders früh rausmuss, darum viel dringender Schlaf braucht als sonst und ganz schrecklich angestrengt versucht, ihn zu erreichen. Oder weil man gegen Mitternacht noch drei Tassen sehr starken Kaffee getrunken hat. Warum auch immer man wach liegt, eins hilft ganz sicher beim Wegdämmern: die gute alte Dokumentation mit langsamen Schnitten und sonorigem Sprecher.
Warum: Dokumentationen sind wie ein langjähriger Ehepartner, auf den man sich eingegroovt hat und mit dem man eine Beziehung in absolut geregelten Alltagsbahnen führt: Man kennt sie, man weiß, wie sie funktionieren und was sie von einem wollen, sie bieten keine Überraschungen, erzählen einem aber trotzdem irgendwas, das man sich so nebenbei anhören kann. Egal, was den Körper dazu verführt, sich im Bett hin und her zu wälzen und egal, was die Gedanken im Kopf kreisen lässt, Dokumentationen legen all das still. Vor dem Flimmern von „Wohnungen der Götter – Taizé", „Im Bann des Yukon – Mit Hundeschlittenführern durch Alaska" oder „Unternehmen Mafia" kann man gut reglos und mit schweren Lidern im Fernsehsessel lungern. Man fühlt sich informiert, die Zeit ist also sinnvoll genutzt, wenn man einschläft, ist es aber auch egal, weil man alles bei Wikipedia nachlesen oder eine der unzähligen Wiederholungen gucken kann. Am besten sind Naturdokus, weil die Einstellungen extrem lang sind und der Sprecher oft lange Pausen macht, in denen man den Geparden beim Lauern beobachten und nur die Geräusche afrikanischer Insekten hören kann. Kriegsdokumentationen sind etwas anstrengender, von Kampfjet-Dokus auf N24 ist abzuraten.
Wo läuft's? Auf Phoenix, N24 und in ARTE-Themennächten.
Alternativen: Tatort-Wiederholungen oder deutsche Filmproduktionen (mit wenigen Dialogen und ohne Musik) auf den Dritten.



2. Für Rauschzustände jeglicher Art: Bahn-TV, Bob Ross und Bernd das Brot 

Was: Alle schimpfen immer darüber, dass nichts im Fernsehen läuft, vor allem nicht nachts. Doch der Rauschseher hat den Schlüssel zur Wahrheit gefunden. Er hat die Gabe, den Witz, die Unterhaltung und die Weisheit hinter dem nächtlichen Fernsehprogramm zu sehen. Nach Alkoholgenuss, Drogenkonsum und anderen bewusstseinserweiternden Aktivitäten werden „Die schönsten Bahnstrecken Europas“ zu Achterbahnfahrten durch ferne Galaxien, Bob Ross zum Freund und Lebensberater und Bernd das Brot zum Quell allen Wissens.  
Warum: Der Berauschte muss aufpassen, was er sieht. Es darf nicht zu aufregend sein, denn zu viele Farben, zu schnelle Schnitte oder zu viel Gerede können das erweiterte Bewusstsein schnell überfluten. Ein Horrorfilm oder Sonja Kraus könnten da schreckliche Folgen haben. Er steigt deshalb am besten mit den schönsten Bahnstrecken ein. Es dauert ein paar Minuten, aber dann entfaltet die hypnotische Wirkung der vorüberfliegenden Bäume und Büsche ihre ganze Kraft. Mit offenem Mund sitzt der Rauschseher staunend meist mehrere Stunden vor dem Fernseher und freut sich über jeden Baum, als wäre es der erste. Nach dieser reinigenden Fahrt ist der Berauschte bereit für „Bob Ross – The Joy of Painting“. Mit ihm findet er einen geduldigen Freund, dem er alles erzählen kann. Die halbe Nacht kann der Rauschseher mit ihm zusammensitzen und über alles reden was ihm schon immer auf dem Herzen lag. Bob kommentiert alles mit einem verständnisvollen Lächeln und einer sanften, bestätigenden Stimme, während er ein wunderschönes Bild nach dem anderen malt. Diese Phase endet meist damit, dass der Berauschte Arm in Arm mit dem Fernseher im Wohnzimmer sitzt, dem Apparat alle zwei Minuten einen Schluck von seinem Bier anbietet und sich ein Weltschmerz-Tränchen aus dem Auge wischt. Wenn er dann mit sich und der Welt dank Bob wieder im Reinen ist, sieht er zum Schluss noch zwei bis fünf Stunden „Bernd das Brot“ in der Dauerschleife. In der Regel wundert sich der Rauschseher, wie intelligent doch ein Kastenbrot sein kann, denn er hat immer Recht. Alle zehn Minuten zeigt dieses Brot ein neues Dilemma (eigentlich immer das gleiche, aber das bemerkt der Rauschseher nicht) der Menschheit auf. Von Ehrfurcht gepackt baut der Berauschte aus seinem – gerade zubereiteten und eigentlich zum Essen gedachten – Sandwich einen Schrein und beschließt, nie wieder Brot zu essen, sondern es fortan als allwissende Gottheit zu verehren. Nicht selten erwacht der Rauschseher am nächsten Morgen mit einem Teil der Gottheit an der Backe, weil er auf seinem Schrein eingeschlafen ist.  
Wo läuft’s: „Die schönsten Bahnstrecken Europas“: ARD, „Bob Ross – The Joy of Painting“: BR alpha, „Bernd das Brot“: KiKa  
Alternativen: Ähnliche Zustände können Wahrsager-Sendungen und der „Domian“ auslösen. Verbringen Rauschseher die Nächte mit ihnen, hat das meist eine sehr hohe Handy-Rechnung zu Folge.


3. Gegen akute Einsamkeit: Talkshow-Wiederholungen

Was: Zu Schulzeiten überkam einen manchmal ein diffuses Gefühl von Leere und Einsamkeit, wenn man bei der besten Freundin übernachtet, ergo die ganze Nacht gekichert und Bibi Blocksberg gehört hatte und am Sonntagvormittag plötzlich wieder alleine war. Ein ähnliches Phänomen ist die Post-Ausgeh-Einsamkeit, für manche ein ständiger Begleiter des Erwachsenlebens. Um nach einem geselligen Abend die Geister der Leere in den eigenen vier Wänden zu vertreiben, sind nächtliche Talkshow-Wiederholungen genau das Richtige.  
Warum: Es geht nicht um Inhalte. Meistens ist man sowieso zu müde, zu betrunken oder zu abgelenkt, um sich auf das Programm zu konzentrieren. Kommt man nach einer durchtanzten Nacht oder einem gemütlichen Abend im Freundeskreis in eine leere Wohnung, hallen die Geschichten, das Gelächter und die Beats der letzten Stunden umso lauter in der Stille nach. Man könnte sich ja schnell hinlegen, aber irgendwie wäre das eine zu starke Zäsur – oft ist man zu entschlossenen Aktionen sowieso nicht mehr in der Lage und bleibt lieber eine halbe Stunde lang mit glasigem Blick auf der Toilette sitzen. Beim Zähneputzen in Zeitlupe ist es jedenfalls schön, eine Klangkulisse zu haben, und zwar eine möglichst facettenreiche, die an die Geselligkeit des Abends erinnert. Hier sind Talkshows gefragt, bei denen fünf bis zehn Leute überengagiert durcheinander plappern, bis das Gefühl einer angeregten Diskussion im Raum schwebt - und man sich plötzlich nicht mehr ganz so verlassen fühlt.
Wo läuft’s? Wiederholungen diverser Polit-Talkshows findet man im Nachtprogramm der Öffentlich-Rechtlichen. Allein durch die fünf wöchentlichen Formate der ARD ist der Bedarf mehr als gedeckt.   Alternativen: „Jörg Pilawa“ auf Sat1 oder „Zwei bei Kalwass“ auf RTL. Von Letzterem ist allerdings als Aufmunterung in einsamen Stunden eher abzuraten.    


4. Wenn man wach bleiben muss: die Home-Shopping-Tour

Was: Manchmal muss man sich zwingen, wachzubleiben. Wenn man zum Beispiel am nächsten Morgen um 5 Uhr nach Amerika fliegt. Oder die Freundin vom Bahnhof abholen soll, die mit dem Nachtzug aus Palermo kommt. Oder weil man ein Ferngespräch mit Südamerika ausgemacht hat. Dann ist die Zeit des Home-Shopping-Kanals gekommen.  
Warum: Man möchte sich ja zu so nachtschlafender Zeit geistig nicht überfordern. Und wann sonst kann man guten Gewissens den größten Trash anschauen, der auf dieser Welt produziert wird? Es ist vor allem die Dringlichkeit, mit der auf diesen Sendern die Waren an den Mann gebracht werden, die in schönem Kontrast steht zu ihrer absoluten Überflüssigkeit. Und wenn dann auch noch ein Exzentriker erster Güte wie Harald Glöööckler an mittelalterlichen „Models“ herumzupft und lang und breit erläutert, warum seine Satin-Stretch-Hosen auch den breitesten Rentner-Hintern zu einem glänzenden Auftritt verhelfen, während die Damen tapfer weiter lächeln, dann ist in so einem banalen Verkaufsgespräch mitunter sogar Poesie drin. Noch schöner wird es, wenn Frisur- oder Schminksachen verkauft werden und dann arme Damen mit ihren ganz normal-attraktiven Gesichtern und Haaren mit dubiosen Produkten zugekleistert werden und am Ende aussehen, als hätten sie ihr Gesicht einmal in rotem Wüstensand gewälzt und ihre Haare mit Kleister in Form gebracht.   
Wo läuft’s? HSE 24, HSE 24 Extra, HSE 24 Trend, QVC, 1-2-3.tv, sonnenklar.tv  
Alternativen: Ähnlich inhaltslos wie das Programm auf den Home-Shopping-Kanälen ist nur Sonja Kraus’ Geplapper bei „Talk Talk Talk“.


Text: jetzt-redaktion - Foto: kallejipp / photocase

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