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Der Entschuldigungsticker

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In einem offenen Brief entschuldigt sich ein Mike auf seinem Blog für etwas, das er in der achten Klasse getan hat: Er hatte vorgegeben, in ein Mädchen verliebt gewesen zu sein. Sein Text beginnt mit den Worten:

"Dear Tracy Dolan,
Every gay teenager has a different strategy for surviving adolescence. Some join the choir, some write or paint, some play sports, some try to make themselves invisible. And some, like me, make themselves as visible as possible. "

In 5.680 Worten erzählt er ihr seine Geschichte. Er erzählt, wie er in der siebten oder achten Klasse merkte, dass er auf Jungs steht, auf Tracys Zwillingsbruder um genau zu sein, den schönsten Jungen, den er je gesehen hatte. Er erzählt davon, wie er verhindern wollte, dass es jemand merkt, aber trotzdem versuchte, dem schönen Mark nahe zu sein. Und er erklärt, warum die einfachste Lösung war, Tracy dafür zu benutzen und so zu tun, als wäre er in sie verliebt. „In another world we could have been friends. In this one, you’re the girl who told me, on the last day of school, to go fuck myself. And I’m the guy that deserved it.”

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Geschichte ist bestimmt nun schon lange Zeit her und Tracy ist wahrscheinlich schon längst glücklich verheiratet und hat zwei Kinder. Aber es gibt Geschichten aus unserem Leben, die lassen unser Gewissen auch nach Jahren einfach nicht in Ruhe.

Ich persönlich hielt mich nie für ein besonders fieses Kind. Eher so die Art Klassenkameradin, auf die man sich einigen konnte und die man zur Klassensprecherin wählte. Aber natürlich hab auch ich das Mädchen mit den fettigen Haaren nicht zu meiner Geburtstagsfeier eingeladen, den kleinen Jungen mit dem offenen Hosenstall ausgelacht, als er in Mathe an die Tafel musste und die Lehrerin, die sich nicht durchsetzen konnte, mit meinen Mitschülern zum Weinen gebracht. Kinder sind eben manchmal grausam und ich war keine Ausnahme. Für all das würde ich mich gerne an dieser Stelle entschuldigen.

Im Gegenzug hätte ich aber auch gerne eine Entschuldigung von Carola, meiner (eigentlich) besten Kindergartenfreundin, die mich eines Tages einfach in der falschen Ecke des Spielplatzes warten ließ, damit sie woanders mit ihrer neuen coolen Freundin und deren noch coolerem Bruder alleine Mutter-Vater-Kind spielen konnte. Eine halbe Stunde habe ich gewartet! Unsere Freundschaft hielt noch ein paar Jahre, aber so richtig darüber hinweggekommen bin ich nie.

Bestimmt hast auch du so eine Geschichte: Für was würdest du dich gerne entschuldigen? Wer hat die fiese Kinderversion von dir abbekommen? Und auf welche Entschuldigung wartest du noch heute?


Text: teresa-fries - Foto: ohneski / photocase.com

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