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Gekommen, um zu verschwinden

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Die App „Snapchat“ funktioniert so: Foto knipsen mit dem Smartphone, einen Countdown von maximal zehn Sekunden einstellen, verschicken. Sobald der Empfänger den „Snap“ öffnet, bleibt ihm entsprechend wenig Zeit, das Bild zu betrachten. Nach Ablauf des Timers verschwindet das Foto.  



Wozu soll das bitte gut sein? Das Prinzip des sich selbstzerstörenden Fotos erscheint vielen wohl erst einmal überflüssig. Als die Stanford-Studenten Evan Spiegel und Bobby Murphy  ihre Erfindung im Seminar vorstellten, sollen auch ihre Kommilitonen zunächst „freundlich gesagt bescheiden“ reagiert haben. Doch seit dem Launch der App im September 2011 sind ganz offensichtlich viele, die Snapchat auf ihrem Smartphone installiert haben, im Praxistest zu einem anderen Urteil gekommen: Im Dezember 2012 wurden jeden Tag über 50 Millionen Fotos via Snapchat verschickt. Zum Vergleich: Beim hierzulande wesentlich bekannteren Instagram werden täglich bloß fünf Millionen Fotos geteilt. In den USA ist Snapchat inzwischen extrem populär, vor allem bei Teenagern. Auch in Norwegen, Dänemark und Australien ist die App schon deutlich beliebter als bei uns – zumindest noch. Mark Zuckerberg hat den Erfolg der Foto-App offensichtlich aufmerksam verfolgt. Vor kurzem veröffentlichte Facebook mit „Poke“ einen Snapchat-Klon.
     
Was aber reizt Millionen Teenager (und auch einige Nicht-mehr-Teenager) daran, Fotos zu verschicken, die nach spätestens zehn Sekunden für immer verschwunden sind? Eine ziemlich plausible Antwort ist: Das Prinzip der App ist natürlich für gewisse Bilder ideal – Nackfotos.  

In den Medien wird Snapchat daher immer sofort mit Sexting in Verbindung gebracht, also dem Verschicken jener expliziten Aufnahmen übers Handy. Snapchat, ein praktisches neues Tool für Menschen, die sich gegenseitig Nacktfotos schicken wollen – die aber eben bitte nicht für ewige Zeiten auf der Festplatte des irgendwann Verflossenen bleiben sollen? Die Entwickler der App weisen natürlich weit von sich, dass die Millionen täglich verschickte Snaps in erster Linie nicht jugendfrei seien. Gleichzeitig bewerben sie ihre App allerdings auch mit einem Snap zweier höchstens leichtbekleideter Mädchen.      

Auf den Selbstzerstörungsmodus der App sollte man sich ohnehin nicht verlassen: Zwar zwingt Snapchat den Empfänger, einen Finger auf dem Bildschirm des Smartphones zu halten. Das soll verhindern, dass ein Screenshot von dem Snap gemacht wird. Wer eine Suchmaschine bemüht, findet allerdings schnell heraus, wie es dennoch geht, und auch ein Snap lässt sich ja wie alles andere, was auf dem Smartphone-Bildschirm passiert, einfach abfotografieren. Dass die über Snapchat verschickten Bilder nicht mit hundertprozentiger Sicherheit im Nichts verschwinden, dürfte auch vielen Nutzern der App bekannt sein. Screenshots von Sexting-Nachrichten werden schließlich zum Beispiel auf Tumblr gesammelt und so vielen Menschen zugänglich gemacht, die sie niemals hätten sehen sollen.

Warum täglich Millionen Fotos über Snapchat ausgetauscht werden, könnte also auch noch einen anderen Grund haben, der gar nichts mit kompromittierenden Bildern zu tun hat: Die Vergänglichkeit eines Snaps ist womöglich genau das, wonach sich inzwischen viele sehnen, wenn es um Fotos geht.    

Die zunächst irritierende Wegwerfkultur von Snapchat passt zum einen perfekt in unsere Zeit mit Facebook-Chronik und Hunderten Followern, glaubt Markus Weigert, der für netzwertig.com über Internet- und Technikthemen schreibt. Er meint, dass es, gerade weil heute oft so vieles über uns öffentlich wird, ein Grundbedürfnis nach einer Art Kommunikation gebe, „bei der man einigermaßen sicher ist, dass die nur für den Moment Gültigkeit hat und nicht für alle Ewigkeit.“  

Gleichzeitig gibt Snapchat dem Foto zum anderen etwas zurück, was es schon unwiderbringlich verloren zu haben schien: Exklusivität. Als wir noch mit 36-Bilder-Filmen fotografierten und auf das Entwickeln der Bilder warten mussten, da war es immer eine kleiner besonderer Moment, wenn ein Foto geschossen wurde. Entsprechend wurde das Bild hinterher in einem Album dokumentiert, das immer mal wieder hervorgekramt wurde. Fotos waren etwas für die Ewigkeit. Doch seitdem es Digitalkameras und unendlich viel Speicherplatz gibt, fotografieren wir meistens nicht mehr, sondern knipsen. Auf den Computern sammeln sich tausende Fotos, aber die wenigsten schauen wir uns später noch einmal an. Fotos wurden so zu Massenware, zu einem Teil des Datenmülls, der unsere Festplatten blockiert. Wenn wir aber nun nur noch wenige Sekunden haben, um ein Bild zu betrachten, dann kehrt der alte Zauber der Fotografie zurück – auch wenn er völlig anderer Art ist.        



Text: juliane-frisse - Screenshot: snapchat.com

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