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„Unseren Kindern später mal von Facebook erzählen“

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jetzt.de: Was war eure erste Erfahrung mit dem Internet?
Dani Polak: Das Erste, an was ich mich erinnern kann, war ICQ. Damals war ich auf dem Gymnasium, mittags haben wir immer gechattet. Das muss um 1998 gewesen sein.
Joeri Bakker: Bei mir war es wohl noch drei Jahre früher. Altavista war eine meiner ersten Websites, die ich besucht habe. Die habe ich noch gut vor Augen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Von links nach rechts: Dani Polak, Joep Drummen, Joeri Bakker, Internet-Archivare

Ihr habt das erste Internet-Museum der Welt eröffnet. Warum?
Dani: Früher gingen wir mit unseren Eltern oder Großeltern ins Museum, wo wir uns Dinge von früher angeschaut haben. Wir dachten, wenn wir mal Kinder haben, wollen wir das auch noch können. Nur: Zu einem der wichtigsten Dinge in unserem Leben gab es bisher noch kein Museum.
Joeri: Außerdem vergeht alles so schnell. Es wäre schade, wenn all diese Ideen vergessen würden. Auch was wir heute als ganz selbstverständlich ansehen wird es irgendwann nicht mehr geben. Wir wollen unseren Kindern später mal von Facebook erzählen können. Was das war.  

Was wird ausgestellt im „Big Internet Museum“?
Dani: Altes und Neues. Dinge, die es noch gibt; und Dinge, deren beste Tage vorbei sind. Wir zeigen die erste E-Mail, das AOL-Logo, GIFs, Emoticons. Aber auch eine Webcame und ein 56K-Modem. Es sind alles Stücke, die großen Einfluss auf das Internet hatten und es zu dem gemacht haben, was es heute ist.  

Es werden auch Clips von einer fliegenden Katze und einer tanzenden Banane gezeigt. Wie habt ihr ausgewählt?
Joeri: Erstens, Dinge müssen Einfluss haben. Das zweite Kriterium ist, dass es um das Internet geht, und nicht bloß um Computer oder Technik. Und die Dinge müssen weltweit bekannt sein. Das neuste Ausstellungsstück zum Beispiel ist der „Gangnam Style“, der Tanz des südkoreanischen Popstars Psy. Der „Gangnam Style“ ist zu einem globalen Phänomen geworden und das am meisten gesehen YouTube-Video bisher.
Dani: Außerdem können Besucher selbst Gegenstände vorschlagen und darüber abstimmen. So ist jeder Besucher ein möglicher Kurator, es entsteht eine demokratisch zusammengestellte Sammlung. Das finden wir wichtig – denn eigentlich funktioniert das Internet ja genau so.  

Müssten nach diesen Kriterien nicht auch Pornos ausgestellt werden?
Joeri: Darüber haben wir diskutiert. Ja, Pornos machen einen großen Teil des Internets aus. Wir wollen aber eine hochwertige Sammlung schaffen – wie ein echtes Museum.
Dani: Wir haben das Thema aber indirekt aufgegriffen: mit „Jennicam“, dem ersten Webcam-Girl. 1996 hat sie eine Kamera aufgestellt und ihr Leben live ins Internet übertragen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

So sieht es aus im Netzmuseum.

Was sind die umstrittensten Gegenstände in der Ausstellung?
Joeri: Am meisten wird über nationale Dinge diskutiert – warum zum Beispiel Social-Networks nicht aufgenommen werden, die in manchen Ländern eine große Rolle spielen. „StudiVZ“ in Deutschland beispielsweise. Solche Websites haben wir nicht aufgenommen. Zurzeit gibt es knapp siebzig Ausstellungs-Gegenstände. Es sollen noch mehr werden. Andere wiederum werden irgendwann ins Archiv verschwinden.

Die Sammlung ist also nicht statisch...
Dani: Nein, überhaupt nicht. Alles wird ständig verändert, wie auch sonst im Internet. Es geht dabei aber nicht um Vergrößerung, wir streben nicht nach Vollständigkeit. Wir wollen ein Museum sein und keine Wikipedia des Internets.  

Wie wollt ihr es schaffen, mit der Geschwindigkeit mitzuhalten? Ist das nicht ein Kampf gegen die Flüchtigkeit?
Dani: Zu dritt könnten wir das nicht. Das Schöne ist, dass wir unglaublich viel Unterstützung bekommen aus der ganzen Welt. Leute übersetzen die Website ins Portugiesische, machen Vorschläge und beobachten Entwicklungen. Das Internet macht mit und schafft sich also sein Museum. Nur so können wir - zusammen mit Gast-Kuratoren - die Vergänglichkeit und die Geschwindigkeit bewältigen.  

In den ersten vier Wochen seit der Eröffnung Mitte Dezember haben fast 200.000 Besucher die Seite angeklickt. Wie erklärt ihr euch das?
Joeri: Ehrlich gesagt sind wir davon selbst überrascht. Vielleicht hat es mit unserem Konzept zu tun: Wie in einem echten Gebäude gibt es verschiedene Museums-Flügel, Kuratoren und Schildchen mit Erklärungen. Wir richten uns nicht nur an Nerds.
Dani: Vielleicht hat es aber auch mit einer größeren Bewegung zu tun...  

… einem Verlangen nach Erinnerung?
Dani: Genau. Das war für uns persönlich ja auch der Ursprungsgedanke. Es gibt so viele Dinge, die wir noch kennen, aber vergessen haben – bis zum Moment, wo wir sie wieder sehen. Dieser Moment der Einnerung ist ein erleichterndes und beruhigendes Gefühl.  

Ist die Geschwindigkeit nicht auch beängstigend? Die Hochzeit von „Second Life“, „MySpace“ oder „Napster“ ist noch gar nicht so lange her.
Dani: Stimmt, einerseits machen die Geschwindigkeit und die Vergänglichkeit einem Angst. Andererseits ist die schnelle Entwicklung auch etwas Positives: Dadurch enstehen neue Ideen, nur durch die Dynamik werden Innovationen überhaupt erst möglich.
Joeri: Dazu kommen die enormen Veränderungen für unser Leben. Ein Großteil der Zugriffe auf die Seite kommt interessanterweise aus Brasilien und Mexiko, wo das Internet vielen Leuten neue Möglichkeiten eröffnet. Die Geschwindigkeit hat uns viel gebracht – und wird uns noch vieles bringen.  

Werdet ihr irgendwann auch offline ein klassisches Museum über das Internet eröffnen?
Joeri: Eher nicht. Wir haben uns bewusst für die Online-Variante entschieden, weil sie besser zu unserer Idee und dem Internet selbst passt. Wir denken aber zurzeit darüber nach, mit anderen Museen Stücke auszutauschen. Es könnte also sein, dass bald etwas aus dem „Big Internet Museum“ in einem echten Museum ausgestellt wird.
Dani: Toll wäre zum Beispiel ein Monitor mit unseren Ausstellungsstücken im „Stedelijk“, dem großen Kunstmuseum in Amsterdam. Damit wäre die Grenze zwischen Online- und Offline-Welt wieder um ein Stück durchbrochen.    

Das „Big Internet Museum“ ist online geöffnet: www.thebiginternetmuseum.com. Es wurde von Joeri Bakker (31), Dani Polak (26) und Joep Drummen (36) gegründet.

Text: benjamin-duerr - Fotos: Big Internet Museum

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