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„Man darf ruhig sagen: Geiles Teil, aber zu teuer für mich.“

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Kerstin Görling, 31, hatte schon früh die Idee, einmal eine eigene Modeboutique zu eröffnen. Nach ihrem Studienabschluss vor sechs Jahren war es so weit. Sie gründete ihren Laden „hayashi“ in Frankfurt am Main am Börsenplatz. Auf einer Fläche von 130 Quadratmetern und mit drei Angestellten verkauft sie dort Marken wie Acne, Isabel Marant, Kenzo oder Carven, außerdem bloggt sie auf hayashishop.wordpress.com regelmäßig über ihre Arbeit. Im jetzt.de-Interview spricht Kerstin über Beklommenheit in Boutiquen und über echte und nur vermeintliche No-Gos beim Einkaufen. 
 
jetzt.de: Kerstin, denkt man als Boutiquebesitzerin: ,In meiner stylischen Boutique möchte ich nur stylische Leute haben, die viel kaufen‘?
Kerstin: Das ist eine veraltete Haltung. In den meisten Läden, vor allem in Ausland, herrscht mittlerweile ein lockereres Verhältnis. Auch bei den teureren Designern gibt es keinen Kaufzwang und keinen Dresscode mehr wie in einem Club. Da kommt man hin um Spaß zu haben, um sich Inspiration zu holen. Das läuft nicht zwangsläufig in Abendgarderobe ab. Diese Zeiten sind vorbei.

Warum?
Selbst die größten Popstars gehen nach dem Sport in Jogginghose und Gammeloutfit einkaufen, da guckt keiner mehr blöd. Früher gehörte es zur Etikette, dass man sich in die Stadt fein anzog. Heute kleidet man sich generell nicht mehr so anlassbezogen, man kauft sich ja auch zu Weihnachten nicht mehr extra ein Feiertagskleid. Kürzlich bin ich spontan und im letzten Mit-dem-Hund-rausgeh-Outfit zu Chanel gegangen und habe völlig selbstverständlich gesagt: ,Ich möchte bitte diesen Schuh ansehen.‘ Die haben mich top bedient, obwohl ich wirklich alles andere als glamourös aussah. 
 
Man macht sich den Stress also selbst, weil es die Erwartungshaltung, die man fürchtet, gar nicht gibt?
Wenn man schon davon ausgeht, dass es komisch wird, dann wird es auch komisch. Das findet oft im Kopf statt. Wenn man mit einem gesunden, freundlichen Selbstbewusstsein den Laden betritt, kann einem nicht viel passieren.

Ist man als Ladenbesitzer nicht sauer, wenn sich jemand etwas zeigen lässt und dann doch nichts kauft?
Nein, aber ich weiß, dass viele Kunden das denken. Wenn ich einen solchen Verkaufsdruck hätte, dass ich darauf angewiesen wäre, dass jeder, der reinkommt und mit mir quatscht, auch etwas kauft, liefe etwas grundfalsch. Meine Kollektionen sind sowieso recht begehrt und oft schnell ausverkauft. Ständig kommt etwas Neues rein und ich habe Kunden, die beinahe täglich kommen, nur um sich die neuen Sachen mal anzusehen. Dass sie da nicht jedes Mal was kaufen, ist klar.
 
Man sollte also ruhig viel mehr bummeln gehen und Service in Anspruch nehmen, ganz ohne schlechtes Gewissen?
Ich gehe selbst oft in Frankfurt in die Goethestraße und gucke mir einfach nur die neuen Kollektionen an, Chanel, Prada, das kaufe ich ja auch nicht alles gleich ein. Ich stelle trotzdem Fragen oder probiere mal etwas. Als Modeverkäuferin freue ich mich doch über Interesse. Ich verkaufe ja keine Staubsauger. Mode ist etwas Sinnliches, das inspirieren und Spaß machen soll. Wenn man Mode liebt, verbringt man sehr viel Zeit damit nur zu gucken, ohne jedes Mal zu kaufen. Viele meiner Kunden interessieren sich für Mode als Kunst- und Designobjekt und kommen manchmal nur, um Geschichten zu erzählen. Außerdem: Wenn die Stimmung gut ist, steigt auch die Kauflust.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kerstin Görling

Durch deine Präsenz auf Modeblogs kommen bestimmt oft jüngere Menschen in dein Geschäft, die neugierig sind, sich deine Sachen aber nicht unbedingt leisten können, oder?
Die kommen um zu gucken und sich ein Stück auszusuchen, auf das sie dann eben sparen. Oder um es sich von ihren Eltern zu wünschen. Oft kommen auch Mutter-Tochter-Gespanne. Da ich in der Innenstadt bin, habe ich aber ein sehr vielfältiges Publikum. Wir haben sogar ältere Damen hoch bis an die 80. Unsere Zielgruppe liegt eigentlich zwischen 20 bis 50 Jahre, aber die Zeit, in der man so etwas noch kategorisieren kann, ist längst vorbei. Es ist übrigens erstaunlich, wie viele ältere Menschen mich aus dem Internet kennen. 
 
Merkst du es, wenn jemand unbeholfen ist?
Man merkt sofort, wenn jemand nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Das ist dann jemand, der sich kaum traut, etwas zu berühren und den Blicken ausweicht. Das sind aber nicht unbedingt immer die Jüngeren. 
 
Was machst du dann?
Meistens hilft das offene Gespräch. Ich sage dann: ,Probier’s doch einfach mal.‘ So etwas hilft, Beklemmungen aufzuheben. Es gibt ja nichts Schlimmeres als das Gefühl: ,Oh Gott, darf ich das überhaupt anfassen, wie läuft das denn hier, gleich bekomme ich sicher auf die Finger gehauen.‘ 

Auf meine Frage nach einer klassischen, schwarzen Acne-Jeans antwortete mir eine Boutiqueverkäuferin mal ziemlich genervt: „Äh, der Satz ist schon mal falsch. Acne hat so etwas nicht, eine klassische schwarze Jeans.“ Ist so eine gewisse Arroganz in hippen Boutiquen üblich, kennst du das von Kollegen?
So etwas darf nie passieren. Dem Kunden Ahnungslosigkeit zu unterstellen geht gar nicht. Das gebieten doch schon die ganz normalen Umgangsformen. Einige Leute können aber einfach nicht damit umgehen, teure Sachen zu verkaufen. Gerade bei Markensachen passiert es oft, dass da so eine Überidentifikation mit den Preisen und den Labels stattfindet, die leben dann nur noch in diesem Kosmos und werden darüber arrogant. Wenn man Klamotten zwischen 100 und 1000 Euro oder mehr verkauft, findet man irgendwann ein 80 Euro T-Shirt günstig. Es hilft, dann mal wieder sein eigenes Bankkonto mit einem bescheidenen Verkäufergehalt anzugucken, da sieht man schnell, dass 80 Euro auch ein Preis ist. Das oberste Gebot im Verkauf ist es, den Respekt vor dem Preis und dem Kunden zu behalten. Das ist wie mit dem arroganten Kellner im Fünf-Sterne-Hotel, der könnte sich selbst auch nicht leisten, dort zu übernachten.
 
Hast du Verhaltensregeln für deine Verkäuferinnen?
Früher gab es ja immer diesen Standardsatz: ,Kann ich Ihnen helfen?‘ Das ist bei uns ein absolutes No-Go. Dadurch fühlt man sich bedrängt, als brauche man sofort ein konkretes Anliegen, um da sein zu dürfen. Wir sagen: ,Wenn was ist, ich bin in der Nähe.‘ Wichtig ist es, den Kunden in Ruhe ankommen zu lassen. Ansprechen sollte man ihn aber schon. Ich bin immer total genervt, wenn ich in Läden komme, wo jemand hinter dem Computer sitzt und nur grüßt, wenn ich grüße und ich eigentlich das Gefühl habe, mit jeder Frage nur zu stören. Das ist auch so etwas: Es gibt überhaupt keinen Grund, im Laden hinter dem Laptop zu stehen. Mich irritiert das selbst in anderen Läden, weil ich ja weiß: Da ist gar nichts, außer das Kassensystem. Der oder die surft nur im Internet. Was ich auch hasse, ist, wenn ich etwas anprobieren will und kein Verkäufer weit und breit ist. In der Nähe sollte man deshalb auch bleiben, aber nie so, dass der Kunde sich beobachtet fühlt.
 
Gibt es für Kunden bestimmte Benimm-Regeln?
Ich empfehle ganz normale Höflichkeit. Wenn jemand nicht grüßt, die Kleidung grob behandelt, grußlos wieder abrauscht, oder von draußen herein schon etwas schreit, denke ich immer: So verhält man sich doch nicht. Wir sind ja keine Roboter. Ich stehe in meinem Laden, weil ich Mode liebe und wer das auch tut, kann doch grüßen und reden. Das Blog zum Laden hat in dieser Hinsicht aber eine Menge geleistet. Die Leute sind seither viel offener. Ich glaube, wenn man die Verkäuferin zu kennen glaubt, ist man gleich netter. Anonymität verleitet eher zum Unhöflichsein.
 
Was ist mit dieser Situation, wenn man in einen Laden kommt, beim ersten Schritt aber schon merkt: ,Ich habe mich total geirrt, das ist alles gar nicht mein Stil, schnell wieder raus.‘ Sollte man dann eine Höflichkeitsrunde drehen?
Nein. Ich bin immer für Ehrlichkeit. Man kann freundlich grüßen und sagen: ,Ach nee, ich glaube das wird nichts.‘ Und wieder gehen. Damit kann ich besser umgehen, als wenn jemand völlig tonlos abhaut oder sich aus Höflichkeit irgendetwas zeigen lässt. Genauso übrigens, wenn einem etwas zu teuer ist. Man darf ruhig sagen: ,Geiles Teil, aber zu teuer für mich.‘
 
Gibt es etwas, was du in der Begegnung mit Kunden nicht ausstehen kannst?
Es gibt Damen, die kaufen Sachen, um sie über das Wochenende zu tragen und dann zurückzugeben. Wenn ich rieche, dass etwas getragen wurde, gibt es Stress. Das ist mein Alptraum. Streit im Laden ist immer ätzend. Um so etwas einzudämmen, erstatte ich statt Bargeld nur noch Gutscheine. Auch das wurde schon missbraucht: Kleid gegen Kleid gegen Kleid. Wenn jemand zum vierten Mal etwas zurückgeben will, mache ich das nicht mehr. Glücklicherweise passiert das aber selten.

Text: mercedes-lauenstein - Foto: al73/photocase.com

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