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Blei im Mund

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„Eine lockere oder eine feste?“ war in der fünften bis siebten Klasse eine häufig gestellte Frage wenn eine Person davon erzählte, dass sie eine Zahnspange bekommen sollte. Antwortete sie „’Ne feste“ riss man mitleidig die Augen auf und stöhnte: „Oh Gott wie ätzend“. Es folgten für die gebeutelte Person mindestens eineinhalb Jahre Eisenbeißeridentität mit immer irgendwie leicht geschwollener und geröteter Mundpartie und einer sehr großen Angst davor, dass überhaupt nie wieder jemand mit ihr gehen wollte.

Dass dieses eitle Leiden ein sehr wohlstandsgesättigtes ist, wird einem spätestens klar, wenn man sich den neuesten Modetrend unter südostasiatischen Teenagern ansieht: Das Einsetzenlassen falscher Zahnspangen ist dort in etwa so angesagt, wie sich eine Fake-Louis-Vuitton-Tasche oder eine neue Glitzerhülle für das Handy zu kaufen. Wer sich in Asien eine medizinische Behandlung beim Kieferorthopäden leisten kann, hat Geld, verdient Ansehen - und ist nicht selten eine Popikone. Die Idole der thailändischen und indonesischen Jugend, der Sänger Andika Kangen oder die Sängerin Earn the Star tragen bunte Spangen und sind stolz drauf. Die asiatische Popkultur kopiert die westliche, denn die ist wohlhabend, hip und damit stilbestimmend. Auf Blogs kursieren Berichte und Bilder westlicher Stars wie zum Beispiel Katy Perry oder Gwen Stefani mit Zahnspange. Gwen Stefani erzählte in einem Interview, sie habe sich ihre Zahnspange in den 90ern aus Modegründen einsetzen lassen, als sie zum ersten Mal richtig viel Geld hatte. Geschichten wie diese befeuern den Trend zusätzlich.

Die Zahnspange: Für viele ein Alptraum, in Asien beliebtes Modeaccessoire.

Ein solcher Hype um die Zahnspange wäre hierzulande beinahe wünschenswert. Er würde Eltern und ihren Kindern viel Geheule, Streit und Pubertätskrisen ersparen und den Ärzten das Geschäft erleichtern. Das große Problem des Trends in Südostasien ist allerdings, dass sich die gut 1300 Dollar für eine medizinische Spange keine durchschnittliche asiatische Familie leisten kann. Und so besorgen sich die Jugendlichen, egal ob medizinischer Bedarf besteht oder nicht, die Fake-Brackets für gut 100 Dollar auf dem Schwarzmarkt, auf Flohmärkten, in Straßenbuden oder Kosmetiksalons. Je bunter, desto süßer. Die falschen Spangen gibt es mittlerweile in unzähligen Farben und Formen zu kaufen, als Herzen, Sterne oder mit der Silhouette von Hello-Kitty oder Mickey-Maus. Sie werden meist unter hygienisch mangelhaften und medizinisch stümperhaften Umständen montiert. Es kommt leicht zu Infektionen und das Risiko, dass sich von dem billigen Material Teilchen lösen, die in den Rachen abrutschen können, ist groß. Die Spangen können Fehlstellungen der Zähne bewirken und enthalten oftmals giftige Metalle wie Blei. In Thailand habe es laut des Vice-Magazins bereits zwei Tote aufgrund des Trends gegeben. Obwohl das Modeaccessoire angeblich seit bereits seit vier Jahren Erfolg verzeichnet, versucht der thailändische Staat nach den bekanntgewordenen Todesfällen das Geschäft nun erstmals zu unterbinden. Wer beim Verkauf illegaler Spangen erwischt wird, muss bis zu 1000 Dollar Strafe zahlen und kann zusätzlich bis zu sechs Monaten ins Gefängnis kommen. In China und Indonesien gibt es hingegen noch keine Strafen.

Die Zahnspange ist in unserer Kultur nicht umsonst in vielen Highschoolfilmen, Comics und sogar in Serien wie Sex and the City (man erinnere sich an die die Folge, in der Miranda als Erwachsene noch eine Zahnspange bekommt und ihr im Restaurant der Kaviar daran hängen bleibt) ein beliebtes Motiv. Es illustriert auf den ersten Blick, wer eventuell später als Schwan der Geschichte davon kommt, erst einmal aber noch als hässliches Entlein um die eigene Würde strampeln muss.

Dass sich dieses Bild fast eins zu eins auf die trendbewusste asiatische Jugend übertragen lässt, zeigt das Elend dieses Trends. Denn die Zahnspange ist ja nur ein kleines Symptom einer noch viel größeren Sehnsucht: Wie in vielen Schwellenländern und -regionen orientieren sich die jungen Menschen in Asien an der westlichen Popkultur und ihren Schönheitsidealen. Neben Taschen, Sonnenbrillen, Schmuck und Zahnspangen haben auch Blondfärbemittel für das Haar, Hautaufheller und blaue Kontaktlinsen Konjunktur. Sogar Augen-OPs, die die Augen größer und runder machen sollen, sind keine Seltenheit. Das Vice-Magazin berichtet auch von einem Blog, auf dem sogar von einer Ausweitung des Zahnspangentrends auf Erwachsene erzählt wird: In Indonesien, wo die gefälschten Spangen bisher noch legal sind, soll es Hotels geben, in denen kein Angestellter mehr ohne Drähte im Mund herumläuft. Sie alle träumen davon, eines Tages vom hässlichen Entlein zum Schwan zu werden. Wie Gwen Stefani. Und all die anderen glitzernden Stars an ihrem Horizont.

Text: mercedes-lauenstein - Foto: dpa

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